*agastra f. n-St. ‚Elster, pica‘ (Corvus pica L.)
〈Var.: agistra 11./12. Jh., agestra 10. Jh., agister
14. Jh. (Hs. hat -t̄); einmal erscheint agaistra
(Trier, 11./12. Jh.), nach Katara, Gl. d. cod. sem.
Trev., s. v., und Ahd. Wb. I, 60 vielleicht ver-
schrieben für agistra, ist aber wahrscheinlicher
in agalstra zu verbessern in Anbetracht der hs.
Überlieferungsverhältnisse, so Neuß, Stud. z. d.
ahd. Tierbez. 61〉; den zitierten Formen ent-
spricht oft in anderen Hss. an paralleler Stelle
ahd. agalstra u. ä. (mit -l-), einmal aga
(s.d.d.).
Im Mhd. begegnen Formen ohne -l- wie agera-
ster, agrest, egerst selten gegenüber agelster (<
agalstra s.d.); für Frühnhd. verzeichnet Götze
egerste. Nhd. Elster ist aus dem Ostmd. adop-
tiert, aber die Mdaa. besonders im Süd- und
Nordwesten des dt. Sprachgebiets bezeugen
noch weithin Entsprechungen der -l-losen
Form (s. u.).
Ahd. Wb. I, 60; Starck-Wells 17; Graff I, 131 (nur
Formen mit -l-); Schade 6 (desgl.); Lexer Nachtr. 15;
Benecke I, 12; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 432; Schmel-
ler, Bayer. Wb.² I, 48; Götze, Frühnhd. Gl.⁶ 60; Dt.
Wb. I, 189.
Im Hinblick auf ahd. aga mit derselben Bedeu-
tung ‚Elster‘ (s. d.) wird auch der Stamm von
aga-stra auf die idg. Wz. *a- zurückzuführen
und auf den spitzabstehenden Schwanz des Vo-
gels zu beziehen sein. Dann aber ist der zweite
Teil des Wortes nicht, wie des öfteren vorge-
schlagen (vgl. die knappe Übersicht verfehlter
Deutungen bei J. W. Bruinier, Zfvgl.Spr. 34
[1897], 348 Anm. 1), mit einem ursprünglich
selbständigen Kompositionsglied identisch,
sondern mit der Ableitungssilbe idg. *-stro-,
*-strā-, die ihrerseits sich aus einer Verbindung
der Suffixe *-tro-, *-trā- mit Dental- (oder -s-)
Stämmen entwickelt hat, vgl. got. -blōstreis <
urg. *blōstrija- < idg. *bhlōd-tro-, ahd. bluo-
star ‚Opfer‘ (s. d.) oder got. gilstr < urg. *gel-
stra- < idg. *gheldh-tro, ahd. gelstar ‚Tribut‘
(s.d.); einer der relativ seltenen fem.
ō(n)-Stämme dieser Bildungsweise ist ahd. rio-
stra (neben riostar ‚Pflugschar‘, s.d.) < *reustrō
zu idg. *reu̯dh-trā(?).
Brugmann, Grdr.² II, 1, 339 f.; H. Osthoff, Zfvgl.Spr.
23 (1877), 315 ff.; Wilmanns, Dt. Gr. II § 219.
Westgerm. Verwandte von ahd. agastra/agistra
mit seinem zwischen -a- und -i- wechselnden
Mittelvokal sind mndl. aexter (aus älterem aek-
ster < agistra), nndl. ekster, sowie as. agastria
(nom. pl. -un) und agistra, denen mndd. egester
entspricht. Die Endung des nur einmal belegten
as. agastria (Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 107,
29) ist wohl ein Überbleibsel des germ. For-
mans -astrjōn- (-istrjōn-). Zwar hat E. Schröder
einst darauf bestanden, daß das mlat. Suffix
-istria in Wörtern wie tympanistria, *meletristria
in den römisch besetzten Gebieten zum Gras-
sieren des Formans -estra beigetragen habe;
aber mit der Endung von agastria und ähnlicher
Bezeichnungen einheimischer Vögel und Pflan-
zen hat diese sprachliche Modeerscheinung ge-
wiß nichts zu schaffen.
Kluge, Nom. Stammbildung³ § 48 ff.; E. Schröder, Nd.
Jb. 48 (1922) 1 ff.; Th. Frings, PBB 56 (1932), 23—40;
J. H. Kern, ebd. 364 ff.; F. Mezger, Arch.f.d.Stud.d.
neueren Spr. 168 (1935), 180 ff.; Henzen, Dt. Wortbil-
dung² 155.
Die meisten Reflexe von adt. agastr(i)a/agistra (ohne
-l-) sind auf ndd. (und ndl.) Boden lebendig geblie-
ben, wobei sich häufig Kontraktion der zwei ersten
Silben eingestellt hat sowie ein prothetisches h-, das
man wohl mit Recht einer Kontamination mit dem
Worte für ‚Häher‘, mndd. heger, zur Last gelegt hat:
Schambach, Wb. d. ndd. Mda. 55: ëkster, hëkster; Woe-
ste, Wb. d. westf. Mda. 66: Ekster. 101 f.: Hiǝkster (vgl.
die Extern-Steine daselbst, a. 1093 Agisterstejn,
1126—33 Egesterenstein, Förstemann, Adt.
Namenbuch2—3 II, 1, 33; vgl. J. O. Plassmann, PBB 82
[Sonderbd. Halle, 1961], 126 ff.); Jungandreas,
Ndsächs. Wb. I, 304: Ekster, Akster (um Göttingen Al-
ster, neben Elster und Atzel!); Kück, Lüneb. Wb. I,
660 f.: Haist’r u. a.; Frischbier, Preuß. Wb. I, 283:
Hei(g)ster, Hegster, Haster u. a. (Die I, 34 vermeldete
Form Atzel ist kolonialer Import aus dem Ostmd.). —
Dagegen überrascht es, im alem. Südwesten, d. h. in
der Schweiz, im Elsaß, im südl. Baden und Württem-
berg auf ein weiteres Verbreitungsgebiet der -l-losen
Varianten zu stoßen und zwar in der Form ägerst(e),
die schon C. Geßner in seiner Historia animalium
(1555) vermerkt hat (S. 666): Schweiz. Id. I, 125; Mar-
tin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. I, 21: ägerste; Fischer,
Schwäb. Wb. I, 117: ägeršt; Jutz, Vorarlb. Wb. I, 55:
agǝšt(ǝ), egištǝ, ageršt. — Vgl. auch die Übersicht bei
Suolahti, Dt. Vogelnamen 195—8 und J. W. Bruinier,
Zfvgl.Spr. 34 (1897), 354—8 (spr.wiss. unzuverlässig).
Dazu die Wortkarte ‚Elster‘ in Mitzka-Schmitt, Dt.
Wortatlas XV (1966), Karte 3, Text 32—41 (mit fast
1400 Varianten).