angust f. i-St. ‚seelische Bedrängnis, Angst,
Sorge, Unruhe; Leid, Krankheit, Krampf; angu-
stia, anxietas, cura, aestus‘; andere Formen sind
angist, später angest, doch erscheinen „Belege
für Abschwächung des -u- erst vom 11. Jh. an“
(Ahd. Wb. I, 523). — Mhd. angest st.f., auch m.
(s. u.), nhd. Angst f.
Ahd. Wb. I, 523 ff.; Schützeichel³ 8; Starck-Wells 29;
Graff I, 342; Schade 20; Lexer I, 71; Benecke I, 43;
Dt. Wb. I, 352; Kluge²¹ 22.
Die Bildung auf -st, die als Erbwort weder im
Altengl. noch Anord. bezeugt ist, findet sich
mndd. als angest, anxt m.; andfrk. angust f.
(Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 60, 49. 161
[§ 62 a]); mndl. anxt (auch ang[e]st, ancst u. a.)
m., daneben anxte f., nndl. angst; afries. ongost
(onxt, angst) m. (mit dat. ongosta nach der u-
Flexion, s. Helten, Aostfries. Gr. § 179*), wäh-
rend dän. angst, älter angest, sowie aschwed. an-
gist, nschwed. ång(e)st, nnorw. ang(e)st, nisl. an-
gist f. aus dem Mndd. entlehnt sind (also nicht
zum anord. Typus hollusta sw.f. ‚Huld‘ gehörig,
s. S. Bugge, Ark. f. nord. fil. 2 [1885], 225).
Fick III (Germ.)⁴ 12; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 87; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 89;
Verdam, Mndl. handwb. 42; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 18; Vries, Ndls. et. wb. 16; Holthausen, Afries.
Wb. 3; Richthofen, Afries. Wb. 964; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 28; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 29; Ordb.
over d. danske sprog I, 607 ff.; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 1422.
Ahd. angust gehört in seinem Kern zu dem
auch in ahd. engi (s.d.) vertretenen St. germ.
*ang- (< idg. *ang̑h-, **H₂eng̑h-) ‚eng‘, der in
fast allen idg. Sprachen wiederkehrt. Noch im-
mer problematisch bleibt jedoch die Analyse
der -st-Erweiterung des Wortes, die nur in lat.
angustus ‚eng, mißlich‘, angustiae pl. ‚Enge,
Schwierigkeit‘ sowie im Balt.-Slav. (s. u.) eine
Parallele findet. Doch legen Formen wie lat.
angor ‚Würgen, Angst‘ (mit analogischem r für
ursprüngliches s aus den obliquen Kasus; vgl.
auch lat. anxius < *ang-[e]s-i̯os), aind. áṁhas-
‚Enge, Angst‘, av. ązah- ‚Zuschnürung der
Kehle, Bedrängung, Not‘, ksl. ǫzoz-tь ‚Been-
gung‘, lit. añkštas (mit -k-Einschub < *ang̑h-s-
tos) ‚eng, schmal‘ sowie anord. angr ‚Sorge‘ (mit
stammhaftem -r < -z- < -s-, gen.sg. angrs, s.
Noreen, Aisl. Gr.⁴ § 358 Anm. 2), aschwed. ängs-
la ‚beängstigen‘ auch für das Germ. den Ansatz
eines alten -es-/-os-/-s-St. nahe, der nachträg-
lich durch -t- erweitert wurde. Gerade der
mehrfach begründete Ansatz eines ursprl. -es-
St. auch fürs Germ., die parallelen -st-Bildun-
gen im Slav.-Balt. sowie der begriffliche Inhalt
des Wortes machen eine Entlehnung aus dem
Lat. wenig wahrscheinlich.
Brugmann, Grdr.² II, 300 (onustus u. a.). 327; Grimm,
Dt. Gr.a II, 350 („auffallend schwankt das Genus“);
Kluge, Nom. Stammbildung³ § 160 a; Wilmanns, Dt.
Gr. II § 267; H. Krahe, PBB 71 (1949), 225 ff., bes.
238.
Umstritten ist auch die Herkunft des -u-Vokals in
der Ableit.silbe von ahd. angust (vgl. ernust u. a.), s.
Braune, Ahd. Gr.¹³ § 64 und Anm. 2; Zupitza, Germ.
Gutturale 98 f.
Ältere Erklärungen, die darin eine besondere Ablauts-
stufe, idg. *-ǝ-, sehen wollten (Streitberg, Urg. Gr.
§ 56. 162; E. Sievers, PBB 16 [1892], 235 ff.), haben
seit W. von Unwerths eindringenden Untersuchun-
gen der Ansicht Platz gemacht, daß es sich um ein ur-
sprüngliches Nebeneinander von u- und es-/os-Bil-
dungen handle (PBB 36 [1910], bes. 7 und 15), wie
etwa in gr. βαρύς ‚schwer‘ und βάρος, lat. acuō (acū-
tus) ‚schärfe‘ und acus, -eris ‚Granne‘, aind. aṁhú-
‚eng‘ und áṁhas- ‚Enge, Angst‘ (vgl. auch Leumann,
Lat. Laut- u. Formenlehre § 256 e. 317 b. 331 A. und
B.). Damit konkurriert allerdings die durchaus plausi-
ble Erklärung, daß der Mittelvokal in lat. angustus
lautgesetzlich auf älteres -o- zurückzuführen sei (vor
mehrfacher Konsonanz, s. Sommer-Pfister, Lat. Laut-
u. Formenlehre⁴ § 74 D 2) und daß man das -u- in ahd.
angust als analogische „Umvokalisierung“ von *ango-
sti- nach dem adj. -u-Stamm *angu- zu erklären habe
(Pokorny 43). Walde-Pokorny I, 62; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 47 (angor). 49 (angustus);
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 14; Bartholomae,
Airan. Wb. 362; Frisk, Gr. et. Wb. I, 17 f. (ἄγχω). 98
(ἄμφην); Lex. d. frühgr. Epos I, 102 ff. („auch Ansatz
eines gr. u-Adj. wahrscheinlich“); Vasmer, Russ. et.
Wb. III, 178; Fraenkel, Lit. et. Wb. 11. 579 f.; Fick II
(Kelt.)⁴ 15 (*engos-).
Mdartl. ist das Wort besonders im Obd. (in katholi-
schen Gegenden oft im Sinne von ‚Christi Angst‘ [auf
dem Ölberg]) noch vielgebraucht, während im Nor-
den des dt. Sprachgebietes das Synonym Furcht weit-
gehend an seine Stelle getreten ist. Lautlich begegnen
häufig umgelautete Formen, die wohl als Verallge-
meinerung des Plurals zu erklären sind (nicht etwa
der umgelauteten(?) Casus obliqui des Sing., wie zu-
weilen vermutet): Schweiz. Id. I, 337 f.; Ochs, Bad.
Wb. I, 51; Fischer, Schwäb. Wb. I, 213; Kranzmayer,
Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. I, 241 ff.; Müller, Rhein.
Wb. I, 191 (sg. auch Ängst, bes. moselfrk., neugebilde-
ter pl. Ängster, -en); Maurer-Mulch, Südhess. Wb. I,
252 f. (über emphat. Gebrauch der umgelauteten
Form); Mensing, Schleswig-holst. Wb. I, 125 f. (auch
Angsten als sg.).