atel
Band I, Spalte 381
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atelAWB m. a-St. (nur Gl. 3, 119, 36 in zwei Hss.
belegt, beide 13. Jh., also mhd., und aus obd.
Sprachgebiet stammend) Schlamm, Morast,
schlammiges Wasser, uligo
. Spätmittelalterl.
adel wird für die Gegend von Cleve (Nieder-
rhein) durch Gert v. d. Schueren bezeugt und
glossiert als sump, poil, onreyn(heit), cenum
(Teuthonista 6). Die nhd. (nur mdartl. ge-
brauchte) Form Adel verdankt ihr -d- wohl der
Tatsache, daß das Wort vorwiegend in den
nicht-lautverschiebenden Teilen des dt. Sprach-
gebietes weiterlebt (s. u.).

Ahd. Wb. I, 687; Starck-Wells 36; Diefenbach, Hoch-
u. nd. Wb. 31; Dt. Wb. I, 177 und VI, 2267 (Mistadel).

Aber es fehlt nicht an Gegenstücken zu ahd.
atel in sämtlichen germ. Dialekten (außer dem
Got. und Asächs., wo sich vermutlich kein An-
laß zu seiner Verwendung bot), so westgerm.:
mndd. ādel(e), addel, eddel, auch kontrahiert āl
garstige Feuchtigkeit, Jauche; mndl. adel, nndl.
aal(t); nordfries. ethel Harn, ostfries. adel(t),
wangeroog. īdel; ae. adel(a, gen. -an) Schmutz,
schmutziger Platz
, dazu das Komp. adelsēað
sewer, cloaca, me. adel(e), auch addul, adle (pl.)
adj. faulig; verwirrt, ne. addle(d) (egg), d. i.
ōvum ūrīnum, schott. addill, addle Urin; desgl.
nordgerm.: norw. dial. aale, dän. aile, dän.
schwed. dial. adel, al, dazu schwed. koadel
Kuh-Harn, adla, ala harnen. Aufgrund dieser
Belege scheint ein Ansatz von urg. *ađ-la- (also
nicht homonym mit urg. *aþ-la- Adel, nobili-
tas
) verbürgt.

Fick III (Germ.)⁴ 10; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 13; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 14;
Verdam, Mndl. handwb. 6; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 2; Vries, Ndls. et. wb. 2; Outzen, Gl. d. fries. Spr.
3; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 10;
Holthausen, Ae. et. Wb. 2; Bosworth-Toller, AS Dict.
6 f.; Suppl. 7; ME Dict. AB, 91; OED I, 104 f.; Oxf.
Dict. of Engl. Et. 12; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
17; Torp, Nynorsk et. ordb. 12 (Aale Urin vom Vieh);
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 4.

Einwandfreie sprachl. Verwandte in anderen
idg. Sprachen fehlen. Zwar hat man immer wie-
der gr. ἄσις herangezogen, wohl im Hinblick
auf dessen vermeintliche Bedeutung Schlamm,
Kot
, so etwa J. Scheftelowitz, IF 33
(191314), 167 (< idg. *atis). Und doch hat
das gr. Wort, was W. Krause, Zfvgl. Spr. 67
(1942), 211 f. und O. Szemerényi, Glotta 33
(1955), 261 mit Recht beanstandet haben, so-
wohl in Homers Ilias 21, 321 wie bei Hesych I,
260 Z. 72: ἄσις κόνις Staub viel eher den Sinn
von Flußsand, Sediment; vor allem aber ist der
formale Zusammenhang von gr. ἄσις mit lat.
āter (tief)schwarz (Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. I, 75 f.; âtar, atrament) und gar mit den
in lat. sentina Kielwasser vermuteten Stamm-
formen abzulehnen, s. J. Schmidt, Kritik d. So-
nantentheorie 63 und Walde-Hofmann, ebd. II,
514 f. (gegen: F. Froehde, BB 7 [1883], 85; K.
F. Johansson, IF 2 [1893], 58; O. Hoffmann,
BB 18 [1894], 290; Lidén, Stud. z. aind. u. vgl.
Spr.gesch. 38; F. A. Wood, Lang. 3 [1927], 185);
abwegig ist auch W. Krause, a.a.O., mit seinem
Vorschlag: thrak. ἄσις aus idg. Wz. *a- spit-
zer Sand, Steingries
. Statt dessen neigen man-
che mehr zu W. Schulzes Verknüpfung von gr.
ἄσις mit dem aind. belegten adj. ásita- dun-
kelfarbig
und zu einer idg. Grdf. mit Nasalis
sonans, die auch das intervok. -s- rechtfertigen
würde, also *si-.

Schulze, Kl. Schriften 116 ff.; Schwyzer, Gr. Gram. I,
307; H. Hoenigswald, Lang. 29 (1953), 291; Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. I, 64 (ásita); O. Szemerényi,
Glotta 33 (1954), 261 und Anm. 1 (precarious equa-
tion
); P. Thieme, Lang. 34 (1958), 512 ff. (method.
Befürwortung); Frisk, Gr. et. Wb. I, 162; Chantraine,
Dict. ét. gr. 123; Lex. d. frühgr. Epos I, 1401 (ἄσις).

So bleibt als letzter Ausweg nur ein möglicher
Zusammenhang mit gr. ὄνθος, auf den wohl E.
Lidén, Uppsala univ. årsskrift 18914, 81 Anm. 1
(auch BB 21 [1896], 113 und Anm. 2) zuerst
hingewiesen hat. Das Wort, das in Homers Ilias
23, 775 ff. für den Inhalt der Gedärme getöteter
Rinder steht (s. R. Roth, Zfvgl. Spr. 19 [1870],
221 f.) und das bei Hesych II, 763 Nr. 86 f. als
κόπρος κτηνῶν bzw. βοῶν glossiert wird,
stimmt jedenfalls semantisch aufs beste zu dem
germ. Terminus. Doch hapert es mit der etym.
Analyse von gr. ὄνθος: Lidén, Stud. z. aind. u.
vgl. Spr.gesch. 38 f. verglich damit russ.-ksl. s-
dra geronnene Flüssigkeit, tschech. sádra
Gips (dazu ahd. sinter [Kalk]-Sinter) < idg.
*sendh-ro-, was natürlich jeden Anschluß an die
Sippe von ahd. atel verbietet. Andrerseits veran-
laßt die in vorgr. ON häufige Endung -νθ-(Kό-
ρινθος u. a.) auch für ὄνθος an nicht-gr. Ur-
sprung zu denken, so Schwyzer, Gr. Gram. I,
510, und als eine Möglichkeit erwähnt bei
Chantraine, Dict. ét. gr. 802 (Substrat-Wort?),
obwohl derselbe Verfasser, Formation des noms
en gr. 369, sich dafür ausgesprochen hatte, daß
nichts Entscheidendes für vorgr. Entlehnung
spräche, zumal nicht für -νθ-Bildungen mit ein-
silbiger Stammform. (Eine pelasgische Erklä-
rung
des Wortes durch v. Windekens, Le pélasgi-
que 13, wurde von D. Hester, Lingua 13 [1965],
335 ff. als lautgesetzlich unannehmbar zurück-
gewiesen.) So wird man sich weiterhin mit dem
Ansatz einer durch -l-Formans erweiterten idg.
Grdf. *odh- bescheiden müssen, die mit noch
immer ungeklärtem Nasalinfix in gr. ὄνθος vor-
liegen und in Form und Bedeutung ein Gegen-
stück zu ahd. atel bilden könnte. (Peterssons
Vorschlag, Idg. Heteroklisie 37 f., von einer
Grdf. mit variierendem Formans, etwa *odh-el
gen. *odh-nés [> *ondh-nes] auszugehen, be-
ruht auf rein spekulativen Manipulationen.)

Walde-Pokorny I, 42; II, 497; Boisacq, Dict. ét. gr.
703; Curtius, Grdz. d. gr. Et.⁵ 261; Frisk, Gr. et. Wb.
II, 394 (unerklärt); Chantraine, Dict. ét. gr. 802.

Wörter aus einer Bedeutungsebene wie sie atel
vertritt sind bekannt dafür, daß sie sich der
etym. Analyse gegenüber spröde verhalten. Das
ändert nichts an der Tatsache, daß die z. T. nur
noch mundartlich bezeugte, aber weite Verbrei-
tung eines urg. *ađla- auf ein relativ hohes Al-
ter dieser Wortbildung schließen läßt. Dasselbe
gilt für die heutigen mdartl. Reflexe von ahd.
atel innerhalb des dt. Sprachraums: neben ihrer
relativen Häufigkeit im Nordwesten des Ndd.
und im Südosten des Obd. tauchen noch allent-
halben größere oder kleinere Reliktgebiete
oder gar vereinzelte Reliktformen (bes. in Ei-
gennamen) auf, die von einer ehemals ausge-
dehnteren und geschlosseneren Verwendung
des Wortes zeugen, von einer Zeit, ehe das
aus dem Poln. übernommene Jauche (poln. ju-
cha Brühe) sich von Osten her meist auf Ko-
sten des durch Homonymie (und boshafte
Scherze) bedrohten adel ausbreitete, so daß es
heute schon als ziemlich gemeinhd. gilt
(Kretschmer).

Zum mdartl. Weiterleben von ahd. atel im einzelnen
s. Fischer, Schwäb. Wb. I, 103 (Flurname Adelwiese;
sw.v. adeln; sonst allg. Gülle); Schmeller, Bayer. Wb.²
I, 34; Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. I,
416 ff. (auch im Mittel- und Nordbair. ist -t- vor fol-
gendem -l- zu -d- lenisiert); Lexer, Kärnt. Wb. 3;
Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 8 (auch atelecht adj. ko-
tig
); Müller, Rhein. Wb. I, 57 ff. (auch āl und in vie-
len Komp.); Christmann, Pfälz. Wb. I, 135; Vilmar,
Id. von Kurhessen 4 (Adel, Adelsutte; allg. Sutter);
Mitzka, Schles. Wb. I, 27 f. (auch Atel und Odelt m.
f.); Woeste, Wb. d. westf. Mda. 4 (al); Jungandreas,
Ndsächs. Wb. I, 93 ff. (mit Karte); Dähnert, Platt-Dt.
Wb. 3; Kück, Lüneburger Wb. I, 41 ff.; Bremisch-Nds.
Wb. I, 10 und 292; Scheel, Hamb. Wb. I, 39 (Adel, Aal,
Addel); Mensing, Schleswig-holst. Wb. I, 43 f. (addel;
addeln sw.v.); Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. I, 74;
Bretschneider, Brandenb.-Berlin. Wb. I, 107; Frisch-
bier, Preuß. Wb. I, 16; Ziesemer, Preuß. Wb. I, 92
(allg. Jauche oder Sumpf). Vgl. auch B. Martin, Teu-
thonista 2 (192526), 134 ff. (mit Karte); Dial. Atlas
von Österr. Karte 136; Kretschmer, Wortgeographie
2413.

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