bîbôz
Band II, Spalte 15
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bîbôz m. a-St., nur in Gl. und dem 1. Basler
Rezept, 8. Jh. (Steinmeyer, Spr.denkm. 39, 8)
und ausschließlich im Nom. und Akk.Sg.: Bei-
fuß, artemisia, ambrosia, valeriana, valentina,
matricaria, mater herbarum
(Artemisia vulgaris
L.), auch ein paarmal übertragen auf die Me-
lone, melo
(Cucumis melo L.) und einmal auf
die Runkelrübe, beta (Beta vulgaris L.) Var.:
pipoz, piboz, bipoz, biboz, bibez, bibot, mit
anderem Anlaut der zweiten Silbe: biuot, -voz,
-vuz (12.13. Jh.), -uuz (Juniusgl. 13. Jh.),
oder, wie E. Karg-Gasterstädt ausgerechnet
hat, 47 Belegen (in 59 Hss. aus dem 9.
14. Jh.) für inlautend b, p stehen nur 11 (in 11
Hss.) mit v gegenüber
(PBB 62 [1938], 56).
Im Mhd. beginnt sich die Form bîvuoz st.m.
neben gelegentlichem bîbôz u. a. durchzuset-
zen; frühnhd. begegnen noch beiposz, peipus-
(kraut) neben häufigerem beifusz u. ä. In der
Hochsprache von heute gilt nur noch Beifuß
m.; zu der unabsehbaren Zahl von mdartl. Va-
rianten und Volksetymologien vgl. Marzell,
Wb. d. dt. Pflanzennamen I, 435 f.; Hegi, Il-
lustr. Flora VI, 2, 637; die Formen mit anl. -b-
der zweiten Silbe halten sich nur noch in einem
schmalen md. Streifen vom Riesengebirge über
Thüringen nach Lothringen und der Pfalz (s.
auch unten).

Ahd. Wb. I, 1002; Splett, Ahd. Wb. I, 94; Schütz-
eichel⁴ 75; Starck-Wells 51. 792; Graff III, 22; Schade
59; Lexer I, 264; Benecke I, 115; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 51 (artemisia); Dt. Wb. I, 1370 f.; Götze,
Frühnhd. Gl.⁶ 25; Kluge²¹ 62; Kluge²² 71; Pfeifer, Et.
Wb. 145.

Ahd. bîbôz stehen nur im Ndd. und Ndl. ver-
gleichbare Bildungen zur Seite: mndd. bībōt, bī-
vōt, bīfōt (daraus wohl lett. vībuōtne); mndl.
bivoet, nndl. bijvoet, bivoet (vgl. dagegen ne.
mugwort, ndän. bynke usw.). Das Wort wurde
schon von J. Grimm, Dt. Gr.a III, 372 zutref-
fend als Zss. aus dem Präfix bî- und einer Ab-
leit. von ahd. bôzen (zer)stoßen, (-)schlagen,
(-)stampfen
(s.d.) analysiert; es entspricht also
formal dem ahd. anabôz Amboß (s.d.) genau;
dazu die knappe Notiz nhd. entstellt in bei-
fuß
. Auch Grimms mit Fragezeichen vorge-
brachte Erklärung, daß dieses Kraut so benannt
sei, weil es, getrocknet, als würzende Beigabe
zu der Speise gestoßen, d. h. im Mörser zer-
stampft wurde, dürfte der Wahrheit näher kom-
men als die Vermutung von E. Karg-Gaster-
städt, daß sich im Namen bîbôz zauberische
oder medizinische Vorgänge
spiegeln (PBB 62
[1938], 55 ff.); so übrigens auch der spätere J.
Grimm, Dt. Wb. I, 1370 f.

Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 271. 273;
Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 347 f.; Verdam, Mndl.
handwb. 100 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 66; Vries,
Ndls. et. wb. 59. Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt.
Wb. IV, 633 f.

Verkehrt war es auch, wenn immer wieder die
Meinung aufkam, (so noch Fischer, Schwäb.
Wb. I, 794), daß bîvuoz / Beifuß das Ursprüng-
liche sei, aus dem nachträglich die lectio diffici-
lior
, bîbôz, gemacht worden wäre! Vielleicht
hielt sich diese Ansicht darum so hartnäckig,
weil bîvuoz gerade durch den meisterwähnten
volksmedizinischen Brauch bestätigt zu werden
schien, daß ein Beifußbüschel, wenn bei Fuß
getragen, des Wanderers Füße vor Ermüdung
schütze, und diese heilkräftige Tradition sollte
so alt sein wie Plinius’ Historia naturalis (2379
n. Chr.), Kap. XXVI, 89: Artemisiam (= Bei-
fuß
) alligatam qui habeat viator negatur lassitu-
dinem sentire
. Weitgefehlt! Denn es steht kein
Wort von des Wanderers Füßen bei Plinius,
auch Albertus Magnus spricht nur von cruribus
Schenkeln, erst mittelalterliche Naturalisten,
die unter dem unverständlich gewordenen bî-
bôz, im unverschobenen Deutsch wohl auch bī-
vōt (da zwischenvokal. hd. b meist einem ndd.
b, v entspricht, vgl. Gl. 3, 719, 34, westfäl.
13. Jh.: biuot), ein Beifuß verstehen wollten,
bezogen eine Jahrhunderte alte Überlieferung
speziell auf die menschlichen Füße (vgl. Höfler,
Volksmediz. Botanik 74 [aber sprachlich ganz
verfehlt]; Marzell, Dt. Heilpflanzen² 284 ff.).
Wie E. Karg-Gasterstädt im einzelnen nachge-
wiesen hat, war das heute völlig abgegangene
ahd. Verb bôzen (ae. bēatan) im Ndd. noch frü-
her als im Hd. ungebräuchlich geworden, so
daß die volksetym. Umdeutung zu Beifuß wohl
von dorther ihren Anfang genommen hat (vgl.
ahd. anabôz und seine Verdrängung durch
ana-, ambolt im Ndd., s. d. d.).

Für einen knappen Überblick über die Entsprechungen
von ahd. bîbôz in den dt. Mdaa. von heute, s. Schweiz.
Id. I, 1093 (bī-fuess); Fischer, Schwäb. Wb. I, 794
(bǝifuǝs; alt auch Beiboss); Schmeller, Bayer. Wb.² I,
226 (Beyposz in ält. Spr.); Follmann, Wb. d. dt.-lothr.
Mdaa. I, 32 (Beibes); Christmann, Pfälz. Wb. I, 664 f.
(Beiwes, Babus, Bawus); Müller, Rhein. Wb. II,
938 ff.; Müller-Fraureuth, Wb. d. obersächs. Mdaa. I,
80 (peips: Leipzig); Woeste, Wb. d. westf. Mda. 32 (bī-
faut); Scheel, Hamb. Wb. I, 315 (Bifoot); Mensing,
Schleswig-holst. Wb. I, 347 (Bifoot [bīfōd]).

S. auch anabôz.

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