bilidi
Band II, Spalte 50
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bilidiAWB n. ja-St. Var. p- und -th-, -dh- sowie
bilde, fast immer bei Notker; daneben pilodi,
piladi, aber zahlenmäßig völlig hinter dem
schon für Gl. 1, 758, 12 (8. Jh.) bezeugten bilidi
zurücktretend: im besonderen steht alem. bili-
di, daneben biladi bereits im 8. Jh. dem bair.
pilodi des Abrogans gegenüber, das Fränk. hat
nur bilidi, wie das Asächs., das Bair. im 9. Jh.
überwiegend -adi; biludi kommt einmal in der
Freisinger Otfrid-Hs. (90205: 4, 15, 35) vor;
im 10. Jh. wird bilidi allgemein. So erhebt sich
die Frage: Hat einmal in vorliterarischer Zeit
obd. -ôdi/ adi gegen frk.-ndd. -idi gestanden
und ist dann dem von Norden und Westen ein-
dringenden Ansturm erlegen, etwas früher im
Alem., vom 10. Jh. an auch im Bair.?
(I.
Schröbler u. E. Karg-Gasterstädt, PBB 66
[Halle, 1942], 291 ff. mit weiteren Einzelhei-
ten).

Bedeutungsmäßig zeigt sich die Neigung, mit
bilodi das lat. exemplum oder ein Wort seiner
Sphäre wie exemplar(is), similitudo u. ä. zu glos-
sieren, während das Lemma von bilidi im Obd.
meist lat. forma ist; darüber hinaus zeichnen
sich folgende Bedeutungen ab: Bild(werk), Ab-
bild(ung), Darstellung, Ebenbild, Wesen, ima-
go
; Merk- (oder Wund-)mal, vestigium, pla-
ga
; Beispiel, Gleichnis, Vorbild, Sinnbild,
exemplum, similitudo, parabola, argumentum
;
Trugbild, imago, figmentum; Gestalt, Form,
Beschaffenheit, Gebilde, Erscheinung, Figur,
forma, species, figura
; Vorstellung, Begriff,
Urbild, Idee
(bei Notker).

Im Mhd. lautet das Wort, noch immer mit etwa
derselben Reichweite von Bedeutungen, bilde
st.n. Im Laufe der frühnhd. Periode verliert es
sein ausl. -e im Sg. (s. Wilmanns, Dt. Gr. I
§ 295, 2), während es ungefähr zu derselben
Zeit die Pluralendung -er adoptiert; Luther
schwankt noch zwischen dem pl. bilde und bil-
der (s. H. Molz, PBB 31 [1906], 326 f.).

Ahd. Wb. I, 1034 ff. 1028 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 61;
Schützeichel⁴ 75 (piladi); Starck-Wells 54. 55; Graff
III, 97 ff.; Schade 63 f.; Lexer I, 273 f.; Benecke I,
120 f.; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 196 (effigies). 215
(exemplar, -um). 287 (imago); Dt. Wb. II, 8 ff.; Klu-
ge²¹ 76; Kluge²² 84; Pfeifer, Et. Wb. 172 f.

Das Wort scheint auf das dt., ndfrk. und fries.
Sprachgebiet beschränkt: as. biliđi, bilithi
(Ab)Bild; (Wunder)Zeichen; Gleichnis, mndd.
bilde, belde, bilt, belt; andfrk. bilithe (Helten,
Aostndfrk. Psalmenfrg. 52 [Ps. 72, 20]. 97), mndl.
beelde, nndl. beeld; afries. bild, nostfries. bild,
bēld. (Ein bei Bosworth-Toller, AS Dict. 102,
zitierter Beleg *biliþ n. aus Daniel 256 in der
Cædmon-Hs. Jun. XI hat sich als falsche Lesung
für blīþe erwiesen, s. Grein-Wülcker, Bibl. d.
ags. Poesie II, 488 Z. 256 und PBB 66 [1942],
292 Fn. 1). Die skand. Entsprechungen stammen
mit volksetym. Angleichung an anord. læti pl.
Gebärden u. ä. aus dem Ndd., so aisl. bi-, bí-
læti, adän. belæte, ält. ndän. belede, ndän. bille-
de, nnorw. bilæte, aschwed. bi-, beläte,
nschwed. beläte, daneben neuentlehnt bild, s.
Fischer, Lehnw. d. Awestnord. 10. 27.

Fick III (Germ.)⁴ 269; Holthausen, As. Wb. 7; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 51; Berr, Et. Gl. to Hel. 51; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 275; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 219 f.; Verdam, Mndl. handwb. 62;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 40; Vries, Ndls. et. wb.
36; Holthausen, Afries. Wb.² 9; Richthofen, Afries.
Wb. 639; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
165; Vries, Anord. et. Wb.² 37; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 951; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 16;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 73 f.; Torp, Nynorsk
et. ordb. 24; Ordbog o. d. danske sprog II, 654 ff.; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 36; Svenska akad. ordb. B
1086 ff. 2519 ff.

Wie bei anderen germ. Wörtern auf *bil- (
bîl¹, billa, billi, billîh) ist die Etymologie von
ahd. bilidi, -odi, -adi umstritten.

Obwohl schon Grimm, Dt. Wb. II, 8 ff., meinte, daß
ein ahd. piladi sich gegen Zersetzung in pi-ladi
sträubt
und daß es sich bloß um Erklärung von pil-
handeln
könne, und obwohl er, ausgehend von ahd.
-billôn ( *duruhbillôn), in bilidi eher das gesto-
ßene, gehauene, geknetete, gestaltete, geschaffene
se-
hen wollte, verharrten doch die ersten 7 Auflagen von
Kluge (1894-1910) bei der Zerlegung in *bi und *liþu
im Sinne von Nachglied, nachgemachtes Glied.

Erst Wilmanns, Dt. Gr. II § 262 Anm. 2, wies darauf
hin, daß sich der Vokalismus der Ableitungssilben der
ahd. Formen damit nicht vertrug, und bedeutungsmä-
ßig schien ihm ein Adj. *bil für mhd. unbil ungemäß,
ungerecht
und ahd. mhd. billî(c)h gemäß, geziemend
vorauszusetzendes ahd. mhd. *bil- im Sinne von ge-
mäß, angemessen, entsprechend
ein durchaus plausi-
bler Ansatz (ähnlich Walde-Pokorny II, 185, die
germ. *bil- zu gr. φίλος lieb, wert usw., air. bil gut
[?]
stellen und eine idg. Basis *bhilo- ansetzen).

Kurz danach sprach sich F. Detter, vom Anord. kom-
mend und unabhängig von Wilmanns, ganz ähnlich
aus, nur daß er die Grundbed. von *bil- als gleich,
aequus
definierte und es mit dem in skand. billing
Zwilling vertretenen Element zusammenstellte (ZfdA.
42 [1898], 54 f.; ähnlich Falk-Torp, a. a. O.).

Vielleicht wegen der rein hypothetischen Existenz ei-
ner ahd. Stammform *bil-, wohl mehr noch im Zuge
seiner stets auf handwerklichen Ursprung zielenden
Etymologien, griff R. Meringer, IF 18 (1905-06),
282 ff., auf Grimms ursprl. Vorschlag zurück und sah
in ahd. bilidi samt seinen Varianten und Verwandten
eine Ableitung aus der idg. Wz. *bhel- : *bhol- in der
Bed. spalten, behauen; dabei blieb aber der durchge-
hende -i-Vokal der Stammsilbe unerklärt. Einen ähn-
lichen Weg ging Pokorny 117 f., der jedoch germ.
*il- auf idg. *bhe(ǝ)- : *bhī- [**bhe(H)-] schla-
gen
zurückführte so auch neuerdings Lühr, Stud. z.
Hildebrandlied 661 ff. (s. u.).

Kein Wunder, daß dieser Stand der Forschung zu ei-
nem ganz neuartigen Vorstoß verlockte, wie ihn A.
Wolf in seiner weitausholenden Monographie Die
germ. Sippe bil (Uppsala Universitets Årsskrift, 1930)
unternahm mit dem spezifischen Ergebnis, die germ.
Wz. *il- sei Bezeichnung für eine außergewöhnli-
che, übermenschliche, numinose Kraft
. Aber wenn
auch I. Schröbler und E. Karg-Gasterstädt, a. a. O.,
nicht abgeneigt waren, sich von dem beredten Verfas-
ser überzeugen zu lassen, so hängt die Zustimmung
doch allzusehr von weitgehend subjektiven Analysen
gewisser Überlieferungen von Volkstum und Aber-
glauben ab, als daß man daraus eindeutige sprachwis-
senschaftliche Schlüsse ziehen könnte.

Auf ebenso schwankendem Boden steht der Versuch
von W. Kaspers, Zfdt. Spr. 20 (1964), 178 ff., ahd. bi-
lidi aus dem Phalluskult stammen zu lassen (zu idg.
*bhel[ǝ]- [**bhel(H)-] aufblasen, schwellen,
bal¹). Dennoch ist es sein Verdienst, gezeigt zu haben,
daß nicht alle germ. Wörter auf *il unbedingt unter
einen Hut zu bringen sind, sondern daß es sich um
mehrere, nicht verwandte Sippen handeln kann. Im
selben Jahr hat W. Foerste in einem Beitrag zur Trier-
Festschrift 112 ff., Wolfs Theorie als haltlos abge-
lehnt, aber im Gegensatz zu Kaspers Wolfs Begriff
einer einzigen germ. *il-Sippe beibehalten. Ihm zu-
folge war die Grundbed. von germ. *il- spalten,
trennen, unterscheiden
und von bilidi ursprl. deutba-
res Zeichen, Sinnbild
. Wie bei Meringer ging er von
der Wz. idg. *bhel- spalten aus, die er aber mit
*bhel(ǝ)- aufblasen usw. zusammenfallen läßt (sich
zusammenziehen, ballen, durch Schrumpfen rissig
werden
); alles sehr fraglich.

Nach E. Seebold (Kluge²² 84 f.) dagegen bedeutete
germ. *il- in bilidi wie auch in billîh Form, bes.
richtige Form und ist viell. mit lat. fīlum Gestalt ver-
wandt (zu lat. fīo ich entstehe, werde erzeugt; anders
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 497).

Aus dem Wirrwarr der Erklärungsversuche
scheinen nur zwei beachtenswert: entweder ge-
hört ahd. bilidi zu billîh (s. d.), wobei die ursprl.
Bed. etwa imago, Abbild, Ebenbild, d. h. Ent-
sprechendes
sein dürfte, oder zu einer Wz. mit
der Bed. spalten, (be)hauen, wie gr. τύπος Ge-
stalt, Abbild
zu τύπτειν stoßen, schlagen (vgl.
Dt. Wb. II, 8 ff.), also Gehauenes. Die zweite
Lösung hat den Vorteil, daß als ursprl. Bed. die
Bezeichnung von etwas Konkretem angenom-
men wird: ein gehauenes oder gemeißeltes Stück
Holz oder Stein, woraus sich die abstrakteren
Bed. leicht hätten entwickeln können. Zwei idg.
Wz. mit dieser Bed. kämen hier in Frage:
*bhel(ǝ)- ( bliuwan, bolz²) und *bhe(ǝ)- (
bîhal). Auf *bhel(ǝ)- ließe sich zwar ahd. bilidi
zurückführen (e > i vor i), aber die sehr frühen
Varianten bilodi, -adi (nie *belodi, -adi) spre-
chen dagegen.

Herleitung aus idg. *bhe(ǝ)- [**bhe(H)-] bie-
tet aber auch lautliche Schwierigkeiten, denn
diese zweisilbige, d. h. auf ultimae laryngalis
auslautende Basis würde sowohl in der Vollstufe
als auch in der Schwundstufe *bhī- germ. langes
*ī ergeben. Nach Lühr, a. a. O., wurde zu der
germ. Vollstufe *ī- eine neue Schwundstufe
*i- gebildet, darauf trat ein l-Suffix (wie in ae.
bile, ne. bill Schnabel), und dazu die Suffixer-
weiterungen *-ōþja-, *-iþja- (zu den Suffixen
vgl. Wilmanns, Dt. Gr. II § 262. 264; Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. III § 120, 3. 4).

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