bilisa
Band II, Spalte 56
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bilisa f. n-St., nur in Gl.: Bilsenkraut, hyos-
cyamus, iusquiamus, -m, simphonia(ca), insa-
na, calicularis
(Hyoscyamus [niger] L.); auch
Gartenmohn, mecon (Papaver somniferum
L.); (Wasser)Schierling, cicuta (Cicuta L.);
Odermennig, agrimonia (Agrimonia eupatoria
L.) u. a.; volkstümlich wird die Pflanzenbe-
zeichnung auch auf die Schlehe übertragen, s.
Dt. Wb. II, 30; Marzell, Wb. d. dt. Pflanzen-
namen III, 1131 Var.: p-, bil(e)sa, bilise, bi-
l(e)se u. ä.. Das Wort erscheint mhd. lautge-
recht als bilse sw.f.; daneben spätmhd. auch
schon in der Zss. bilsenkrût. Im Nhd. ist Bil-
senkraut die meistgebrauchte Bezeichnung.

Ahd. Wb. I, 1052 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 62; Starck-
Wells 55; E. Björkman, Zfdt. Wortf. 2 (1902), 220 f.;
Graff III, 102; Schade 64; Lexer I, 277; Nachtr. 85;
Benecke I, 126 f.; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 312 (ius-
quiamus); Dt. Wb. II, 30; Kluge²¹ 78; Kluge²² 85.
Vgl. auch Marzell, a. a. O. II, 927 f.

Eine dem ahd. Wort auch im Suffix entspre-
chende Bildung findet sich nur im Niederdt. und
Niederl., so mndd. bilse (mit dem aber eine älte-
re Variante auf -n- wie bilene, bēlne, billen-
konkurriert); mndl. bilse, bilsen, belsemcruut,
daneben beelde mit anderem Suffix, nndl. bil-
zenkruid, dial. auch noch bilze(n), belze. Für
das Asächs. und Engl. sind nur Formen mit -n-
Suffix überliefert, so as. bilina 10. Jh. (s. Ahd.
Wb.
I, 1052
) sowie ae. beolone (mit u-Umlaut
< *belunō, s. Sievers-Brunner, Ae. Gr.³ § 110),
westsächs. belune, belone, me. belene (ne. durch
henbane verdrängt). In den nordischen Spra-
chen haben sich neben dem Simplex auf -m-
oder -n- mit Tiefstufe des Stammvokals, die
nebenbei gegen die These von einem voridg.
Substrat spricht, Zss. mit dem Wort für Wurzel
eingebürgert, deren Varianten nicht alle geklärt
sind: ndän. nnorw. bulme-urt, ält. dän. buln-urt
neben poet. oder dial. bylne, bulme, bølme;
nschwed. bolm-ört, aschwed. bölm(e)-yrt, auch
bulma, bölma.

Fick III (Germ.)⁴ 267; Holthausen, As. Wb. 7; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 277 (bilse), 276
(bille), 199 (bēlene, bēlne, bilene); Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. I, 336; Verdam, Mndl. handwb. 99;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 66 f.; Vries, Ndls. et. wb.
60; Holthausen, Ae. et. Wb. 19; Bosworth-Toller, AS
Dict. 81. 84; Suppl. 76; ME Dict. AB, 699; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 116; Ordb. o. d. danske
sprog III, 107; Lange, Ordb. o. Danmarks plantenavne
I, 743; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 89 f.; Svenska akad.
ordb. B-3802 f.

Sieht man sich nach außergerm. Verwandten
um, so scheinen diese auf den benachbarten
kelt. und slav. Umkreis beschränkt: schon Dio-
skorides, der sich gerade auch mit der interna-
tionalen Namengebung dieser schon im Alter-
tum berüchtigten Giftpflanze befaßt, erwähnt in
seiner Materia med. IV, 69 die Gallier mit ihrer
Sonderbezeichnung βιλινουντία (Wiener Hs.;
andere Lesarten haben βελε-), was man wohl
zutreffend mit nspan. beleno Bilsenkraut
(Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 1022) wie
auch mit dem bei Pseudo-Aristoteles verzeich-
neten βελένιον (Aristotle, Minor Works, ed. and
tr. by W. S. Hett [1936], περὶ φυτῶν 821 a 32)
und dem bei Pseudo-Apuleius zitierten belinun-
tia (De herbarum virtutibus, Kap. 4) verknüpft
hat. Weniger überzeugend waren die zuerst von
K. Zeuß angeregten Spekulationen, daß zwi-
schen dem keltischen Namen des Bilsenkrauts
und einer mit Apollo vergleichbaren kelt. Gott-
heit Belenus einst ähnliche Zs.hänge bestanden
hätten wie zwischen der römischen Bezeichnung
des Bilsenkrauts als Apollinaris herba und Apol-
lo (vgl. Plinius, Nat. hist. 25, 35; Thes. ling. lat.
II, 248; K. Zeuß, Die Deutschen und ihre Nach-
barstämme, München, 1837, 34).

Wie dem auch sei, die Annahme ist nicht rund-
weg von der Hand zu weisen, daß es sich bei
der ältesten Bezeichnung des Bilsenkrautes um
ein ursprl. kelt. Wanderwort handelt (s. Fick III
[Germ.]⁴ 267; P. Kretschmer, Glotta 14 [1925],
96 f. [illyrisch?]; Pokorny 120), dessen älteste
Form mit -n-Suffix sich in der as., ae. und z. T.
dial. skand. und dt. sowie der gesamten slav.
Überlieferung erhalten habe: urslav. ablautend
*bel-: *bьlnъ, aruss. belen, nruss. belená,
poln. bielu, tschech. blín, blén, serbokroat.
bǖn u. a.; in Mitteleuropa jedoch hätte sich
dann von Süden her eine Variante mit -s-Suffix
durchgesetzt, die auch in gewissen roman. Be-
zeichnungen wie aprov. belsa, katal. und span.
b-, velesa für die Europäische Bleiwurz (Plum-
bago europaea L.) ihre Spuren hinterlassen hätte
(so Meyer-Lübke, a. a. O. Nr. 1106; J. Coromi-
nas, Dicc. crit. etim. castell. e hisp. I, 556 f. mit
der Annahme gall. Herkunft; zum Ansatz eines
letzten Endes [west]got. Ursprungs s. Wart-
burg, Frz. et. Wb. I, 369; Gamillscheg, Romania
Germanica I, 376).

Einerlei, ob man in ahd. bilisa ein nachgerade
doch germ. Erbwort oder ein kelt. Lehnwort se-
hen will, am wahrscheinlichsten ist doch wohl
Herleitung aus der idg. Wz. *bhel(ǝ)-
[**bhel(H)-] glänzend, weiß ( bal², belicha;
vgl. auch belit) im Hinblick entweder auf die
graugrünen Blätter oder die weißen Blüten oder
die weißlich-gelben Samenkapseln dieser Pflan-
ze, die auch als wîze bilse, ndd. die witte bilse
zitiert wird (vgl. die bot. Bezeichnung Hyoscya-
mus albus L.). Vgl. W. Foerste, Trier-Festschrift
(1964) 142 f.

Weniger wahrscheinlich ist Zugehörigkeit zur Wz.
*bhel(ǝ)- [**bhel(H)-] aufblasen, schwellen ( bal¹)
wegen der Samenkapseln; vgl. Kluge²² 85. Abzulehnen
ist A. Wolfs Versuch (Uppsala Universitets Årsskrift
1930, 46 f.), den Pflanzennamen mit einer Wz. *bil-
magische (vielfach lähmende) Kraft zusammenzu-
bringen ( bîl¹), wie auch etym. Verknüpfung mit lat.
filix (älter felix) Farn, ungeachtet gewisser bot. Ge-
meinsamkeiten und der Fürsprache von V. J. Petr, BB
21 (1896), 209; 25 (1899), 146 sowie E. W. Fay, AJPh.
32 (1911), 404; s. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I,
497; Berneker, Slav. et. Wb. I, 48.

Walde-Pokorny II, 180; Pokorny 120; Specht, Ur-
sprung d. idg. Dekl. 140 (< *bhelunā); Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 99 f. Fick II (Kelt.)⁴ 174; Hol-
der, Acelt. Spr. I, 420 f.; Dottin, Langue gaul. III,
232 f. Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 30; Sadnik-Ait-
zetmüller, Vgl. Wb. d. slav. Spr. Nr. 129d; Berneker,
Slav. et. Wb. I, 48; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 9;
Vasmer, Russ. et. Wb. I, 72. Vgl. auch Hoops Real-
lex.² I, 284; Schrader, Reallex. d. idg. Alt.² I, 146 so-
wie den Artikel πορκύαμος von Stalder in Pauly-
Wissowa, Realenzykl. IX, 1, 192 ff. Zu der fast un-
absehbaren Buntheit von Namenvarianten in den dt.
Mdaa. von heute vgl. die Zs.stellung bei Marzell,
a. a. O. II, 928 ff.

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