billa
Band II, Spalte 59
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billa f. ō-St., nur einmal als Interlinear-
glosse des Bearbeiters von Notkers Psalmen-
übersetzung 73, 4 (Sehrt-Starck 508, 15), ge-
säuertes Brot, Sauerteig
, wahrscheinlich als
Fehlübersetzung von azima pl. (gr. ἄζυμα un-
gesäuerte Brote, das Fest der süßen Brote
[zu
gr. ζμη Sauerteig], eigtl. eine Abkürzung
von ἡ ἑορτὴ τῶν ἀζύμων = dies festus oder so-
lemnitas azymorum, s. G. Kittel, Theol. Wb. z.
Neuen Test. II, 904 ff.): ze ôstron in mítten dá-
gen dero azimorum (mit übergeschriebenem de-
ro bíllon) = in medio solemnitatis tu; in wört-
licher Wiedergabe sollte es doch wohl *unbil-
lon heißen, und so wird die auffällige Über-
setzung
seit F. Kluge, PBB 8 (1882), 524 von
philologischer Seite als eine irrtüm[liche]
Bezeichnung für ungesäuerte Brote betrach-
tet.

Ahd. Wb. I, 1054; Splett, Ahd. Wb. I, 1211; Schütz-
eichel⁴ 76; Starck-Wells 55; Graff III, 95.

Da das hapax legomenon billa im Sinne von
(un)gesäuertes Brot aufs Ahd. beschränkt ist
(meist steht dafür derbi brôt oder derbbrôt
[s. d.], vgl. ae. ðeorf [lingas pl.]) und nur in ahd.
billi n. ja-St. Schwert, Streitaxt (s. d.) ein laut-
lich anklingendes Gegenstück zu haben scheint,
war man geneigt, auch für die etym. Analyse
von billa entweder von der idg. Basis *bhed-:
*bhod-: *bhid- spalten oder von *bheǝ-
[**bhe(H)-] schlagen, hauen (s. u.) auszuge-
hen. Zur Vermittlung der semantischen Diskre-
panz dienten einerseits got. beist n. = ζμη
Sauerteig, andererseits und nicht ohne
schwerwiegende Bedenken die ae. Glossen zu
Markus 14, 1: and bita vel beorma = ἦν δὲ τὸ
πάσχα καὶ τὰ ἄζυμα ... = erat autem pascha et
azyma ... (s. u.).

Got. beist (samt seinen Ableit. *gabeistjan = ζυ-
μοῦν durchsäuern, *unbeistjoþs = ἄζυμος un-
gesäuert
und in unbeistein = ἐν ἀζύμοις mit
den ungesäuerten Broten
, s. Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 87. 517; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-
40) war schon von K. Brugmann, IF 6 (1896),
103; K. F. Johansson, IF 19 (1906), 117 auf eine
zu got. baitrs bitter (< beißend) gehörige idg.
Grundform *bhe(d)-s-to- zurückgeführt wor-
den, und dagegen kam F. Kluges ehemaliger
Vorschlag (PBB 8 [1882], 524 f.), statt dessen
eine sonst nirgends belegte oder zu erschließen-
de germ. Wz. *bs- durchdringen vorauszuset-
zen, nicht auf trotz des anzunehmenden Be-
deutungswandels: spalten > beißen > bitter
(
beißend) machen > säuern ( beiskar, bî-
zan
, bitter).

In den ae. Glossen zum Markusevangelium 14,
1 ist zweimal and bita vel beorma überliefert (s.
Wright-Wülcker, AS and OE Vocabularies² 354,
3 und 484, 26). Anstelle der traditionellen Auf-
fassung feast oder tasting bzw. (un)leavened
bread
(falls = andbeorma?) (so Bosworth-Tol-
ler, AS Dict. 39; Hall-Meritt, Concise A.-S.
Dict. 17; H. Sweet, Student’s AS Dict. [Oxford,
1976], 11) nimmt O. B. Schlutter, Anglia 37
(1913), 41 f. eine Umdeutung in andbita =
Sauerteig als das die Teigmasse Beißende,
Zersetzende
(zu *bhed- spalten; s. o.) vor,
wozu (and)beorma ein Synonym sei. Aber im
Suppl. zu Bosworth-Toller 38 wird in andbita
(anschließend an ae. onbītan und ahd. inpiz,
impiz) wieder eine ae. Wiedergabe von dies fest-
us, solemnitas gesehen und allein beorma (mndd.
berme) im Anschluß an azyma und mit dersel-
ben Fehlübersetzung wie ahd. *billa! als Be-
zeichnung für gesäuertes Brot, Sauerteig (an-
stelle von ungesäuertes Brot) betrachtet, s.
auch O. B. Schlutter, Anglia 38 (1914), 512.

Ein zusätzliches Argument für die Verbindung
von billa mit einem Wort für Schlagen ergibt
sich aus den altertümlichen Bezeichnungen für
das (ehemals oft mit dem Durchsäuern des Tei-
ges gleichgesetzten) Sauerwerden und Gerin-
nen(-Machen) der Milch, die allesamt von Aus-
drücken des Schlagens, Schneidens u. ä. ge-
nommen sind, wie nisl. skera-st refl. gerinnen
(von Milch, Blut etc.), gr. τέμνειν oder σχίζειν
τὸ γάλα, air. binit was die Milch gerinnen
macht
(eigtl. schlägt); s. außerdem ahd. biost.

Auch wird die Sonderbedeutung von ahd. billa
und dessen Verwandtschaft mit billi noch weiter
illustriert durch form- und bedeutungsver-
wandte Ableitungen wie *duruhbillôn Gl.
2, 438, 61 (11. Jh.), die Hs. hat durahpillotemo
(von zweiter Hand) = terebrato: mit dem Beil
sich durcharbeiten, aushöhlen
; ungibillôt Gl.
4, 223, 7 (9. Jh.) unbearbeitet, ungeglättet, un-
geschliffen, impolitus
; vor allem aber ungebillôt
in einer Engelberger Hs. des 13. Jh.s: unkebilot
brot i. sincerus vel non fermentatus = azimus pa-
nis (s. K. Bartsch, Germania 18 [1873], 66;
Graff III, 95; H. Götz, PBB 81 [Halle, 1959],
190 f.).

Indes kommen zu den Problemen des Bedeu-
tungswandels noch allerlei strittige Fragen der
lautlichen Entwicklung hinzu. Immerhin wird
E. Sievers’ Regel einer besonders im Westgerm.
häufigen Assimilation von urgerm. *-đlō- (aus
idg. *-dhlā- oder *-tl-) zu *-llō- (IF 4 [1894],
339), und demgemäß die Rückführung von ahd.
billa auf *biđl (mit der bei idg. ā-St. üblichen
Endbetonung, s. Streitberg, Urg. Gr. § 154;
Hirt, Idg. Akzent 245 ff.), gewiß weiterhin das
Feld behaupten gegenüber Versuchen, in ahd.
-ll- expressive Konsonantendehnung zu sehen
(so E. Lidén, Zfvgl. Spr. 61 [1933-34], 12 und
die Lit. bei Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 95, bes. Anm.
2) oder gar westgerm. Konsonantengemination
(ahd. billa < *biljō, in früheren Aufl. von Klu-
ge), von F. Kluges schon erwähntem ehemali-
gen Vorschlag: bill- < *bizl- (zu einer germ.
Wz. *bs-) ganz zu schweigen. Aus demselben
Grunde scheitert auch E. Schröders Versuch, ei-
nen Lautwandel von vorgerm. -dl- > germ. -ll-
zu postulieren und ahd. billa aus idg. *bhid-lā
abzuleiten (s. ZfdA. 42 [1898], 408 ff.), da doch
wohl germ. *-tl- zu erwarten wäre (anders
Lühr, Studien z. Hildebrandlied 663 mit Hinweis
auf den Lautwandel von vorurgerm. *skrid-lo-
> nhd. schrill; vgl. got. dis-skreitan zerreißen),
so mit Recht C. C. Uhlenbeck, PBB 26
(1901), 568, und E. Lidén, Zfvgl. Spr. 61 (1933-
34), 12 Fn. 3. Darum bleibt nur die etwas kom-
plizierte, zuerst von F. de Saussure vorgeschla-
gene Möglichkeit: < *bhid-tlā (MSLP 6
[1889], 255; vgl. auch Wilmanns, Dt. Gr. II §
214, 2) oder besser, wie schon bei Brugmann
Grdr.² I, 636; II, 343 f., ein Zurückgreifen auf
die Wz. *bhe(ǝ)-: *bh- (aksl. biti) schlagen,
hauen
, also eine idg. Grundform *bhi-tl, s.
Fick III (Germ.)⁴ 269; Walde-Pokorny II, 137;
Pokorny 117 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
I, 503 f. (fīnis); Kluge²¹ 62 (Beil); Pfeifer, Et.
Wb. 145.

S. auch bîhal, billi.

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