biogan st. v. II, obd. piukan, -gan (mit -iu-
vor Guttural, s. Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 47, 2),
prät. nicht belegt, auch nicht von Zss., part.
prät. gibogan, kipokan u. a.: ‚biegen, beugen,
krümmen, curvare, inflectere; (sich) drehend
(um)schwingen, intorquere‘. Das Wort lebt
mhd. als biegen sowie nhd. als biegen [-i:-] mit
denselben Bedeutungen weiter.
Ahd. Wb. I, 1077 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 65; Schütz-
eichel⁴ 76; Starck-Wells 57; Graff III, 36; Schade
65 f.; Lexer I, 266 f.; Benecke I, 176; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 164 (curvare). 239 (flectere); Dt. Wb. I,
1814 ff.; Kluge²¹ 74; Kluge²² 83; Pfeifer, Et. Wb. 167.
Das ahd. Wort hat Entsprechungen in sämtli-
chen germ. Dialekten, doch nicht ohne beach-
tenswerte lautliche oder semantische Besonder-
heiten. Nur got. biugan = κάμπτειν ‚(sich) beu-
gen‘ hat gleichfalls den auf hochstufiges *-eu̯-
zurückgehenden Diphthong in der Stammform
des Präsens, während für die übrigen westgerm.
sowie alle nordischen Sprachen tiefstufige For-
men mit langem -ū- für den Präsensstamm be-
legt bzw. anzusetzen sind (s. Streitberg, Urg.
Gr. § 200 S. 292; Prokosch, Comp. Gmc. Gr.
§ 54 S. 149 f.), so wohl as. *būgan, das nur ein-
mal als bōg 3.sg.prät. in der as. Genesis v. 166
überliefert ist, aber mndd., nndd. stets nur bū-
gen lautet mit den Bed. ‚(sich) (ver)biegen,
(sich) beugen, ausweichen‘; mndl. būg(h)en,
nndl. buigen; nfries. būge(n); ae. būgan im Sinne
von ‚to bow, bend, submit‘, aber auch ‚to swer-
ve, give way, flee‘, me. bowen, ne. bow; anord.
wohl *búga (belegt sind nur bugu 3.pl.prät. und
boginn part.prät. [etwa in bjúgr ok boginn ‚ge-
bückt und gebeugt‘]), vgl. aschwed. būgha
(nschwed. buga, durch böga, bogna verdrängt,
vgl. ndän. bøje, bovne, bugne); spätaisl., nisl.
buga ist aber von bugr abgeleitet.
Seebold, Germ. st. Verben 110 f.; Fick III (Germ.)⁴
273; Sehrt, Wb. z. Hel.² 53 (biogan); Berr, Et. Gl. to
Hel. 52; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1,
365 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 446; Verdam,
Mndl. handwb. 121; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 97 f.;
Vries, Ndls. et. wb. 93; Doornkaat Koolman, Wb. d.
ostfries. Spr. I, 244; Dijkstra, Friesch Wb. I, 243; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 38; Bosworth-Toller, AS Dict.
133; Suppl. 110; Suppl. II, 13; ME Dict. A—B,
1083 ff.; OED² II, 453; Oxf. Dict. of Engl. Et. 111;
Vries, Anord. et. Wb.² 40 (bjúga oder búga). 63 (bu-
ga); Jóhannesson, Isl. et. Wb. 606; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 18 (bjúga); Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 113; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I, 147
(bjúga); Hellquist, Svensk et. ordb.³ 69; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 96; Lehmann, Gothic Et. Dict. B—72.
Bei der Suche nach außergerm. Zs.hängen bietet
sich vor allem eine Gruppe an, die lautlich auf
eine idg. Wz. *bheu̯g- — allerdings mit nichtaspi-
riertem -g- — zurückgeht und auch semantisch
nicht ganz einheitlich ist: aind. bhujti ‚biegt,
krümmt (sich), schiebt weg‘ (part. prät. bhugná-
‚gebogen‘), gr. φεύγω ‚fliehe, schrecke zurück‘,
lat. fugio ‚dss.‘, lit. bgti ‚erschrecken‘, baugùs
‚ängstlich‘, lett. būgns ‚dss.‘. Doch läßt sich der
Bedeutungswandel über Zwischenglieder wie et-
wa dt. ‚ausbiegen, einen Bogen machen (um)‘
oder engl. ‚to turn off, give way‘ verständlich
machen; ja, ae. būgan ist in der Verbindung mit
fram ‚von — weg‘ wiederholt im Sinne von ‚flie-
hen‘ bezeugt, auch mndd. būgen scheint sich in
der Bedeutung dem zu nähern (s. o.). Die lautli-
che Diskrepanz zwischen *bheu̯g- und dem fürs
Germ. vorauszusetzenden *bheu̯gh- meinte
schon H. Graßmann durch eine progressive Dis-
similation erklären zu können (Zfvgl.Spr. 12
[1863], 121); wer diesen Erklärungsversuch als
„ad-hoc“ ablehnt, wird sich mit der Annahme
einer auch sonst öfter bemühten Wz.variation
abfinden müssen.
Walde-Pokorny II, 144 ff.; Pokorny 153; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. II, 504; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
II, 274 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 1005 ff.; Boisacq, Dict.
ét. gr.⁴ 1022 ff.; Chantraine, Dict. ét. gr. 1191 ff.; Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 556 f.; Ernout-Meillet,
Dict. ét. lat.⁴ 258; Fraenkel, Lit. et. Wb. 37.
An weiteren idg. Verwandten, und zwar mit der
Grundbedeutung von ‚biegen‘, findet sich im
kelt. eine Zss. wie air. fid-bocc, aus *u̯idu- und
*-bhugnó- (oder urkelt. *-buggo-, s. Thurney-
sen, Gr. of OIr. § 150; R. Lühr, Sprachwissen-
schaft 10 [1985], 314), ‚Holz-Bogen‘ = arcus
ligneus; mit der Bed. von ‚fliehen‘ ist ein illyr.
Ortsname Φευγάριον ‚Fluchtburg‘ herangezogen
worden von H. Krahe, Spr. d. Illyrier I, 106 (s.
auch IF 58 [1942], 134 f. und P. Kretschmer,
Glotta 30 [1943], 138 f.); aus dem Neuphryg.
wird eine Verbalform beosioi = φεύγοι ‚möge er
verbannt sein‘ zitiert von O. Haas, Sprache 6
(1960), 24 und Fn. 25.
Fick II (Kelt.)⁴ 180 (bukkos); Vendryes, Lex. ét. de
l’irl. anc. B-62; Dict. of Irish F-128 (fidboc).
Frühere Vorschläge, die Sippe von germ. *eu- mit
gr. πτυχή ‚Falte, Schicht, Lage‘ (< *bhugh-) zu ver-
knüpfen, sind kaum ernst zu nehmen, vgl. die Lit. bei
Walde-Pokorny I, 189 s. v. *gh-. Abzulehnen sind
auch alle Versuche (zuerst bei Uhlenbeck, K. et. Wb.
d. aind. Spr. 202, aber nicht mehr PBB 30 [1905],
268; noch immer so F. A. Wood, Mod. Philol. 5 [1907—
08], 270), ahd. biogan aus idg. *bheu̯k- herzuleiten,
da sich in der ganzen Sippe keine Spur von gram.
Wechsel nachweisen läßt. Desgleichen bleibt weiterhin
zweifelhaft, ob arm. butՙ ‚stumpf‘ hierhergehört (s. die
ausführliche Erörterung bei Walde-Pokorny II, 146;
dazu Hübschmann, Arm. Gr. 430); unsicher ist auch
die Herkunft von alb. butë ‚weich‘, eigtl. ‚biegsam‘(?)
(< *bhug[h]-to-, s. H. Pedersen, Zfvgl.Spr. 36 [1900],
341 u. Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 159, sowie Meyer, Et.
Wb. d. alb. Spr. 57).