birtun
Volume II, Column 102
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birtunAWB f. jō-St., nur an zwei Gl.stellen be-
legt, 2, 100, 54 (3 Hss. 9.10. Jh., allesamt bair.)
und 4, 322, 72 (Cod. musei Salisburgensis,
9. Jh., bair.); in beiden Fällen ist der Gen. Sg.
pirtunna überliefert (mit dem bair. anl. p- für
germ. b-, s. Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 136), ent-
sprechend dem lat. Lemma eulogiae gen. sg.
(das die Ausgaben zu eulogiarum emendieren):
(christl.) Segnung, Segensspende (genauer:
das [nicht in der Messe geweihte, sondern] nur
gesegnete Brot, das man den nicht an der Mes-
se teilnehmenden Gemeindemitgliedern zu-
kommen ließ, das pain bénit der kathol. Kir-
che in Frankreich, s. Du Cange III, 119 f.;
Buchberger, Lex. f. Theologie u. Kirche² III,
1180 f.; A. Franz, Die kirchl. Benediktionen des
Mittelalters I [Graz, 1909; Neudr. 1960],
229 ff.). Weder mhd. noch nhd. findet sich
von dem wohl sehr altertümlichen und höchst
seltenen Wort eine Spur.

Ahd. Wb. I, 1108; Splett, Ahd. Wb. I, 1211; Starck-
Wells 58; Graff III, 169 (abwegig); Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 212 (eulogia, d. h. benedictiones, munuscula
etc.).

Ahd. birtun, zu dessen etym. Erklärung bislang
noch nicht einmal ein Versuch unternommen
worden ist, weist sich mit der wiederholt be-
zeugten Gen. Sg.-Endung -unna eindeutig als zu
den fem. *-unnjō-Stämmen gehörig aus, zu de-
nen nicht nur movierte Feminina wie wirtun Ot-
frid I, 6, 3 (neben wirtin) gehören, sondern
auch mehrere ahd. Wörter mit nicht persönli-
cher Bedeutung wie lungun (neben -in), gen. sg.
lungunna Lunge, mistun, mistunnea Misthau-
fen
, as. uuōstunnea (ahd. akk. sg. wuostinna)
und Verbalabstrakta wie as. fastunnea, akk.sg.
zu *fastun Fasten (s. Gallée, As. Gr. § 309).
Hier ist auch ahd. birtun, gen.sg. pirtunna, ein-
zuordnen, wie es bei Grimm, Dt. Gr.a II, 302
geschah, wenngleich mit der begreiflichen No-
tiz: verdächtig und wohl verderbt. S. auch
Schlüter, Suffix -ja- 128. 147 f.; E. Sievers, PBB
5 (1878), 142; Koegel, Über d. Keron. Glossar
151 f.; Bahder, Verbalabstrakta 60; Schatz, Ahd.
Gr. § 337; Wilmanns, Dt. Gr. II § 242; Kluge,
Nom. Stammbildung³ § 150; Braune, Ahd. Gr.¹⁴
§ 64 Anm. 2. § 211 und Anm. 3.

So bleibt für den Wortkern birt- keine andere
Wahl als Anschluß an die Sippe des germ. Adj.
*erhta-: der Lautwandel von e zu i könnte
durch das u des Suffixes verursacht sein wie in
ahd. wirfu zu werfan oder in wirt, wirtun Wir-
t(in)
aus *werđu-, es sei denn, man sieht in
birtun ein Verbalabstraktum von einem zu er-
schließenden Kausativum *bir(h)ten < *erht-j-
an (wie rihten < *reht-jan); aufschlußreich für
den Wandel von e zu i vor folgendem i sind
auch Eigennamen wie der des Freisinger Schrei-
bers Pirhtilo, Dimin. zu *Ber(a)hto, aus dem
8. Jh., s. Th. Bitterauf, Die Traditionen des
Hochstifts Freising II (München, 1905), 632 (In-
dex); Förstemann, Adt. Namenbuch2-3 I, 277;
Bach, Dt. Namenkunde I, 86. 102. 107.

Etwas schwieriger zu begründen ist der Ausfall
von germ. -h- [x] in der Konsonantenverbin-
dung -rht-, doch begegnet er neben vereinzelten
Fällen wie ahd. ervortent formidabunt (rhfrk.
Bruchstück der Cantica, Braune, Ahd. Lese-
buch¹⁶ Nr. 17, 5 Z. 34) statt *ervor(a)htent, s.
Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 153 Anm. 6, besonders
häufig gerade in allen mit germ. *erhta- gebil-
deten Eigennamen, und zwar mit Vorliebe in
dem schwächer betonten zweiten Komp.glied
(vgl. Adal-bert), soweit die Dreierkonsonanz
nicht durch Sekundärvokal erleichtert ist (-be-
raht, -braht); aber auch wenn *erhta- als erstes
Glied erscheint wie in Bert(h)old, Ber(e)tram,
Bertelind oder in Kurz- und Koseformen fun-
giert wie in Berta, Bertila (7. Jh.) oder in dem
schon erwähnten Namen des Freisinger Schrei-
bers Pirtilo (744850: siebenmal), Birtilo (ein-
mal) gerade die letztzitierten Namenformen
bieten schlagende Parallelen für die Lautgestalt
des Appellativs birtun, pirtunna.

Zum Schwund von inl. germ. -h- [χ] vor Konsonan-
ten, zumal in Dreierkonsonanzen, vgl. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 99 Anm. 3 (Pertcoz 850 in gesprochener Spr.
neben urkdl. Perhtgoz); Baesecke, Einf. in d. Ahd.
117 f.; Wilmanns, Dt. Gr. I § 91; Franck, Afrk. Gr.
§ 113, 2; J. Schatz, ZfdA. 72 (1935), 154; Elis. Knitl,
Sommer-Festschrift (1955), 107 ff.; L. Wolff, Studien
über d. Dreikonsonanz in d. germ. Sprachen (Berlin,
1921).

Das relativ hohe Alter des nur zweimal in Gl.
des 9. und 10. Jh.s bezeugten Adj.- oder Verbal-
Abstraktums birtun (zu den Canones der zwi-
schen 343 und 381 in Laodicea abgehaltenen Sy-
node, s. Migne 67, Sp. 166 und 168) und seine
auf spezifisch geistliche Begriffe eingeengte Be-
deutung sind wohl der Grund, weshalb sich in
der ahd. Überlieferung keine semantisch näher
verwandten Wortbildungen finden. Da sich gr.
εὐλογία, dem als lat. Lehnübersetzung benedic-
tio entspricht, im röm.-kathol. Kultus strengge-
nommen nur auf die gesegneten Überbleibsel
des Abendmahlbrots bezieht, mag der Glossator
in dem griech.-lat. Terminus eulogia trotz des-
sen nach Zeit und Ort variierenden Verhältnis-
ses zur Eucharistie den Sinngehalt von kirchli-
chem Segen (benedictio) oder göttlicher Erschei-
nung/Offenbarung (ἐπιφάνεια / manifestatio)
angesprochen haben, indem er eulogia mehr
oder weniger glücklich mit einem von germ.
*erhta- oder *erht-j-an abgeleiteten Substan-
tiv glossierte.

Eine gewisse Bestätigung für diesen Ansatz er-
gibt sich nur aus den übrigen germ. Dialekten,
soweit ihre Sprecher christlich-theologische
Konzepte einzubürgern versuchten: so etwa got.
(ga)bairhtjan = φανεροῦν offenbaren, bairhtei
f. Helle und vor allem gabairhteins f. = ἐπιφά-
νεια Erscheinung; Offenbarung; dem entspre-
chen im Nordgerm. fast Wort für Wort aisl. bir-
ta (< *erht-j-an) klarmachen, erhellen,
kundtun; offenbaren
, birti (f. īn-St. oder n. ja-
St.) Helle, Klarheit, und selbst dem got. īn-St.
gabairhteins mag das aisl. ing-Abstraktum bir-
ting f. zur Seite gestellt werden, umso mehr, als
es neben Helle, Klarheit; Offenbarung den
Namen des christlichen Feiertags wiedergibt:
birtingar tið Erscheinungsfest; im Aengl. ent-
sprechen den got. Wörtern bairhts, bairhtei und
(ga)bairhtjan neben dem ae. Adj. beorht (briht)
hell, klar; glänzend, prächtig und dem zur f.
ōn-Kl. gehörigen Subst. bierhtu Helle, Glanz
das sw. Verb bi(e)rhtan (brihtan) erhellen, (er)-
leuchten, klären; feiern
(s. Sievers-Brunner, Ae.
Gr.³ § 164, 2 und Anm. 4), das in theol.-kirchli-
chem Zs.hang gleichfalls soviel wie offenbaren
bedeutet. Wenn gerade im Ahd. diese Sippe zum
Absterben verurteilt war, so trägt die Schuld
daran nicht nur das unaufhaltsame Veralten von
ber(a)ht (s. d.) im kontinentalen Westgerm., son-
dern erst recht die durch den phonologischen
Wandel von e zu i und von -rht- zu rt- bedingte
Isolierung des Morphems birt-.

Für die außergerm. Zs.hänge beraht.

Fick III (Germ.)⁴ 264 f.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
76 f. 174; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-12; Vries,
Anord. et. Wb.² 37 (birta, birti); Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 623; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 16;
Cleasby-Vigfusson, Icel.-Engl. Dict. 63; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog I, 139; Holthausen, Ae. et.
Wb. 20 (beorht). 23 (bierhtan); Bosworth-Toller, AS
Dict. 86; Suppl. 92 (birhtan); ME Dict. AB, 1169 ff.;
OED² II, 549.

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