brûchan
Band II, Spalte 364
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brûchan st. v. II(?), brûchen sw. v. I: etwas
genießen, (seiner) teilhaftig sein, (von etwas)
Gebrauch machen, (per)frui, uti, potiri; ver-
richten, vollziehen, fungi
Var.: pr-; -hh-,
-h-, -hch-, -kh-. Mhd. brûchen sw. v. brau-
chen, sich bedienen
, nhd. brauchen. Zur Bed.-
entwicklung s. H. Kolb, Zfdt. Spr. 20 (1964),
64 ff.

Ob das ahd. Verb sowohl stark war, wie im As.,
Afries., Ae., als auch schwach, wie im Got. (s. u.), ist
umstritten (s. bes. H. Kolb, a. a. O. 68 ff.). Für die st.
Konj. spricht in erster Linie das Part. Prät. (pirum) ki-
prohan Gl. 1, 766, 44 (8. Jh.!, alem.), das lat. fungimur
glossiert. Daß der Schreiber fungimur mit frangimur
verwechselte und das Part. Prät. von brechan schrieb,
was Steinmeyer, Anm. z. Stelle und Baesecke, Einf. in
d. Ahd. § 126, 4 für möglich halten und Schatz, Ahd.
Gr. § 437 behauptet, ist nicht sehr wahrscheinlich; vgl.
Ahd. Wb. I, 1430 und Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 333
Anm. 3. Auch die Form pruhhant 3. pl. präs. Gl.
1, 212, 29 scheint stark zu sein, denn in K ist -ant für
-ent selten (vgl. Braune § 309 u. Anm. 1, Schatz § 514).
Schwach sind part. prät. kepruhchit Bened.regel, ge-
bru(o)chet Notker; imper. bruche Notker (das sw.
Prät. brûhte kommt erst im 12. Jh. vor). Alle anderen
Formen sind zweideutig.

Ahd. Wb. I, 1430 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 109; Schütz-
eichel⁴ 82; Starck-Wells 80. 796; Graff III, 279 f.;
Schade 86; Lexer I, 362; Benecke I, 265; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 249 (frui). 252 (fungi). 426 (perfrui).
450 (potiri). 631 (uti); Dt. Wb. II, 315 ff.; Trübners
Dt. Wb. I, 411 ff.; Kluge²¹ 96; Kluge²² 102 f.; Pfeifer,
Et. Wb. 208. Urmoneit, Wortschatz d. Ludwigsliedes
319 ff.

Entsprechende st. oder sw. Verben erscheinen
im Westgerm. und Got.; dem Nordgerm. waren
sie ursprl. fremd (dän. bruge, schwed. bruka
sind aus dem Dt. entlehnt): as. brūkan st. v. ge-
nießen, sich erfreuen
(nur Inf. belegt, aber da
kein -j- vorkommt, selbst nicht in der Genesis,
wo das -j- der schw. Verben nie schwindet vgl.
Gallée, As. Gr.² § 404 Anm. 1 , muß es stark
sein), mndd. brūken (ge)brauchen, genießen,
nur als sw. v. belegt (vgl. part. prät. gebrūcht),
doch tritt in den nndd. Mdaa. vereinzelt ein
st. prät. brok auf (vgl. Mensing, Schleswig-holst.
Wb. I, 538; Woeste, Wb. d. westf. Mda. 41);
mndl. brūken sw. v. gebrauchen, genießen (zur
Zss. gebrūken ist einmal ein st. prät. ghebroec be-
legt, Verwijs-Verdam, Mndl. wb. II, 1016),
nndl. nur noch gebruiken sw. v. gebrauchen;
afries. brūka st. v. brauchen (nur Präs.formen,
aber ein schw. Verb hätte *brēka gelautet, vgl.
Helten, Aostfries. Gr. § 33. 269), nfries. bruke(n)
sw. v.; ae. brūcan st. v. (brēac, brucon [brecon],
brocen) gebrauchen, genießen, teilnehmen, ver-
richten
, me. brouken, bruken sw. v. dss., ne.
brook dulden, sich gefallen lassen; got. brūk-
jan sw. v. gebrauchen, teilnehmen, χρῆσθαι,
μετέχειν
.

Fick III (Germ.)⁴ 281; Seebold, Germ. st. Verben
140 f.; Holthausen, As. Wb. 10; Sehrt, Wb. z. Hel.²
65; Berr, Et. Gl. to Hel. 68; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 357 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
436 f.; Verdam, Mndl. handwb. 120; Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 178; Vries, Ndls. et. wb. 187; Holthausen,
Afries. Wb.² 13; Richthofen, Afries. Wb. 672; Doorn-
kaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 238; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 241; Holthausen, Ae. et. Wb. 36; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 128; Suppl. 108; Suppl. II, 12;
ME Dict. AB, 1206; OED² II, 584; Oxf. Dict. of
Engl. Et. 120; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 106;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 102; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 107; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-103.

Aufgrund der germ. Formen läßt sich nicht fest-
stellen, ob das germ. Verb ursprl. schwach und
die starken Formen analogische Neubildungen
nach den Aoristpräs. der 2. st. Klasse wie got.
-lūkan, -lauk waren (so A. M. Sturtevant, MLN
66 [1951], 302 ff.) oder umgekehrt, ob die star-
ke Konj. ursprl. war und die Entwicklung einer
schw. Konj. zuerst im Part. Prät. begonnen hat,
um die Homonymie mit dem Part. Prät. von
*rekan- ( brechan) zu beseitigen. Nach
O. Szemerényi in Italic and Romance Ling. Stu-
dies in honor of E. Pulgram (Amsterdam, 1980)
17 ff. wird die Ursprünglichkeit des germ. schw.
Verbs durch den Vergleich mit lat. fruor: frūctus
genießen, Nutzen ziehen (von) bewiesen (s.
aber unten); mit der schw. Konj. als Ausgangs-
punkt rechnen auch F. O. Lindeman, Norsk
tidsskrift f. sprogv. 22 [1966], 66 Anm. 1; Mat-
zel, Gesammelte Schriften 49. 60. 86 f.

Sowohl germ. *rūk-an- als auch germ. *rūk-
jan- setzen eine vorgerm. Wz. *bhrūg- voraus,
die sonst nur im Ital. belegt ist: neben lat. fruor
begegnen lat. frūctus Nutznießung, Ertrag,
frūx, frūgis Frucht, umbr. frif akk. pl. Früchte
(< *frūg-f-), osk. fruktatiuf frūctus (< *frūge-
tātiōns; vgl. A. Walde in Festschr. d. 50. Ver-
sammlung dt. Philologen u. Schulmänner [Graz,
1909], 89 ff.; Planta, Gr. d. osk.-umbr. Dial. I,
129. 132 ff. 379; II, 168; Meiser, Lautgesch. d.
umbr. Spr. § 30. 32, 2b. 42). Lat. fruor bietet aber
Schwierigkeiten; man erwartet *frūgor. Da in
dieser Sippe sonst kein Labiovelar vorkommt,
hat man fruor auf ein früheres *frūgwor mit w-
Präs. zurückgeführt (so z. B. Fick III [Germ.]⁴
281; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 256 f., unsi-
cher; nach O. Szemerényi, a. a. O. hätte frühlat.
*frūgwor nicht fruor, sondern *frūvor ergeben)
oder durch Analogie nach fluō : flūxi zu erklä-
ren versucht (so Walde, a. a. O., Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 552 f.). Dagegen setzt Sze-
merényi eine idg. Grundform *bhrūg-ō- an, die
frühlat. *frūyyōr ergeben hätte, das dann zu
*frūyōr > frūor > fruor geworden wäre. So
würden lat. fruor : frūctus mit germ. *rūkjan- :
*rūhta fast genau übereinstimmen. Ähnliches
wurde schon von Mahlow, Lange Vokale 44
vorgeschlagen, aber von Collitz, Schw. Prät. ab-
gelehnt, weil man lat. *frūior erwarten würde,
wie auch lat. maior < *mag-ō-s.

Wohl fernzuhalten ist der thrak. Volksname Bρύγες,
Bρύγοι, Bρῦγοι, (Hesych: Φρύγες); vgl. Walde-Po-
korny II, 208; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 553;
Detschew, Thrak. Sprachreste 91 f.

Es ist sehr fraglich, ob die bedeutungsverwandte idg.
Wz. *bheg- in aind. bhunákti genießt, lat. fungor
genieße (Pokorny 153) aus *bhreg- durch Verlust
des -r- (vor Nasalinfix?) entstanden ist (so Seebold,
a. a. O. 141; vgl. Walde-Hofmann, a. a. O. 553. 566,
und brechan).

Versuche, die Wz. *bhrūg- weiter zu analysieren, sind
rein spekulativ: nach F. A. Wood, Mod. Phil. 5 (1907
08), 6 f., Walde-Pokorny II, 208, Pokorny 173, eine
Erweiterung von *bhre- schneiden, brechen (sich
Früchte zum Genusse abbrechen oder abstreifen
);
viell. eher nach Seebold, a. a. O. zu *bher- tragen,
hervorbringen
( beran): den Ertrag genießen.

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