bruoh¹
Band II, Spalte 390
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bruoh¹ f. kons. (auch i-)St.: Hose um
Hüfte und Oberschenkel, hosenartiges Klei-
dungsstück, femoralia, feminalia, braca(e pl.);
Art Lendenschurz, Leibbinde, lumbare, bra-
cile; Pluderhose, sarabara
Var.: pr-; -ua-,
-oa-, -oi-, -u-; -ch; nom. und akk. pl. en-
dungslos oder auf -i; dat. pl. -un, -in. Mhd.
bruoch st. f. Hose um Hüfte und Oberschen-
kel
, vgl. ir habet hosen (Strümpfe) unde
bruoch, Exodus (hrsg. Diemer) 153, 11;
frühnhd. bruch. Im Nhd. ist das Wort,
gleichzeitig mit der Sache, seit dem 18. Jh. aus
der Mode gekommen, wohl verdrängt von
Wörtern wie Hose, Buxe (mdartl. Ausnahmen,
s. u.).

Ahd. Wb. I, 1451 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 112; Schütz-
eichel⁴ 82; Starck-Wells 81. 796; Graff III, 277 f.;
Schade 87; Lexer I, 377; Nachtr. 108; Benecke I, 270;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 80 (brac[c]a). 229 (femi-
nale, femorale). 339 (lumbare). 512 (sarabara); Götze,
Frühnhd. Gl.⁶ 41; Dt. Wb. II, 410 f.; Trübners Dt.
Wb. I, 440; Kluge²² 108.

Das ahd. Wort hat etym. Entsprechungen in
sämtlichen germ. Dialekten außer dem Got., wo
in den überkommenen Texten nicht, wie etwa
Exodus 28, 42, Anlaß zum Gebrauch einer Be-
zeichnung für feminalia gewesen war: as. brōk
(auch brōg = feminalia, s. Wadstein, Kl. as.
Spr.denkm. 74, 9; wohl auch bruoc Gl.
4, 197, 27, 11./12. Jh., s. Katara, Gl. d. Cod.
Sem. Trev. 64), mndd. brōk (bādebrōk); mndl.
broec, brouc, broeke, nndl. broek; afries. brōk
(pl. brēk), nfries. brōk; ae. brōc (pl. brēc), dane-
ben auch bræcce f. (lat. bracca), pl. braccas m.
Hosen, me. brech, auch briech, brych, brek,
bryk undergarment covering the lower part of
the body
, ne. breech Hinterteil, Gesäß, bree-
ches Kniehosen; aisl. brók, meist pl. brœkr,
Hose, Beinkleider, vgl. aisl. brœklingar m. pl.
Hosenträger (Spottname für Iren), nnorw.
nschwed. brok, ndän. brog (finn. Lehnw. aus
dem Anord. ruoke, pl. ruokeet; lapp. Lehnwort
aus dem Schwed. bruoka Hosen); daneben
auch nschwed. brackor und ndän. bracker (s. u.).

Fick III (Germ.)⁴ 280; Holthausen, As. Wb. 10;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 351; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. I, 428; Verdam, Mndl. handwb.
118; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 94; Vries, Ndls. et.
wb. 89; Holthausen, Afries. Wb.² 12; Richthofen,
Afries. Wb. 670; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. I, 233 f.; Dijkstra, Friesch Wb. I, 239; Holthau-
sen, Ae. et. Wb. 35. 31 (braccas, bræcce); Bosworth-
Toller, AS Dict. 126; Suppl. 106; ME Dict. AB,
1117 f.; OED² II, 525; Oxf. Dict. of Engl. Et. 116;
Vries, Anord. et. Wb.² 58; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
633; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 26; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 104; Torp, Nynorsk et.
ordb. 43; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I, 193;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 95; Thomsen, Einfluß d.
germ. Spr. 105 und Anm. 1; Karsten, Germ.-finn.
Lehnw. 83; ders., GRM 16 (1928), 369; Quigstad,
Nord. Lehnw. im Lapp. 118.

Das ahd. Wort, dessen Deklinationsformen in
den germ. Dialekten auf ursprl. kons. Deklinati-
on weisen (s. o.), wurde schon von den Alten wie
etwa Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.) in seiner
Herkunft den Kelten zugesprochen: ἀναξυρίσιν
ἃς ἐκεῖνοι (sc. Γαλάται) βράκας προσαγορεύουσιν
(ed. Bekker-Dindorf-Vogel, V, 30, 1). Dasselbe
gilt von Hesych, der es zweimal erwähnt und
glossiert, einmal als βράκες dies entspricht der
kons. Deklination mit der Erklärung ἀναξυρί-
δες Beinkleider, das andre Mal als βράκκαι,
was sich in lat. braccae widerspiegelt und wohl
als späte Adoption in ae. bræcce, braccas und
nschwed. brackor, ndän. bracker (s. o.) erscheint.
Der Standardform spricht ein später Grammati-
ker, Caper Flavius (2. Jh. n. Chr.), das Wort, in-
dem er bracas, non braces doziert (s. Grammatici
Latini VII, 108, 10); eben diese Form finden
wir bei Lukan (3965 n. Chr.) oder in Tacitus’
Historien (109 n. Chr.) wieder.

Forschungsgeschichtlich ergab sich daraus, daß
man bis zur Jahrhundertwende und länger dem
kelt. Ursprung des Wortes die Priorität zuge-
stand, so Heyne, Dt. Hausaltertümer III, 260 ff.
und so noch K. Jaberg, WuS 9 (1926), 148 ff.;
H. Jacobsohn, ZfdA. 66 (1929), 244 ff.; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 35 und die reichen Materi-
alsammlungen bei L. Diefenbach, Origines Euro-
paeae (Frankfurt, 1861), 262 ff. sowie bei
G. Girke, Die Tracht der Germanen in der vor- u.
frühgeschichtl. Zeit (Leipzig, 1922), II, 42 ff.
71 ff. und Hj. Falk, Altwestnord. Kleiderkunde
(Oslo, 1919), 116 ff. Was dem im Wege stand,
war vor allem die im Keltischen auf Südgallien
bezeichnenderweise auch Gallia brācāta genannt
beschränkte Geltung von brāca, während sein
Gegenstück im Germ. fast über den gesamten
Bereich verbreitet war. (Ein mir. bróc Beklei-
dung von Hüfte und Oberschenkel
ist nichts
anderes als späte Anleihe beim Skand. oder
Engl., nir. brigis, briogais, briog’se spiegeln gar
ne. breeches, mdartl. breeks wider, s. H. Zimmer,
Zfvgl.Spr. 30 [1890], 87 f. bzw. Thurneysen,
Keltoromanisches 47 f.) So ist man heute wohl
mit Recht geneigt, zusammen mit dem Wort die
Sache als ursprl. germanisch zu betrachten, die
zunächst nur in einem Teile Galliens Mode wur-
de, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die kelt.
Entwicklung von ō > ā noch nicht abgeschlos-
sen war.

Vgl. R. Much, ZfdA. 42 (1898), 170; O. Schrader,
Zfdt. Wortf. 1 (1901), 230; Franck, a. a. O. 94; Frings,
Germania Romana² I, 12; II, 123 ff.; V. Pisani, J. Celt.
Stud. 1 (194950), 47 ff.; Vries, Anord. et. Wb.² 58;
Hellquist, a. a. O. 95; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I,
113 f. Fick II (Kelt).⁴ 181; Holder, Acelt. Spr. I,
501 ff.; Dottin, Langue gaul. 236; Vendryes, Lex. ét.
de l’irl. anc. B-93 (bróc); Dict. of Irish B-195 f. Vgl.
K. Meyer, Contributions to Irish Lex. I (Halle, 1906),
264.

Man hat demnach von germ. *rōk- < idg.
*bhrōg- auszugehen, einer Form, die wohl die
Dehnstufe zu der idg. Wz. *bhreg- brechen
darstellt ( brechan) und auf eine ursprl. Bed.
Brechung, Biegung, Knick deutet. Meistens
wird angenommen, daß zuerst der Körperteil
bezeichnet wurde, der von der bruoh bedeckt
war, wie noch die Bedeutungen von ae. brēc, ne.
breech, sowie mndl. broec, nfries. broek Hinter-
teil
zeigen allesamt Plurale der ursprl. kons.
Deklination und aus demselben Grunde Plurale
wie im Falle von lat. nates pl., eigtl. Hinterbak-
ken
= Gesäß. Die Bezeichnung der Partie des
Körpers wurde dann auf den entsprechenden
Teil der Gewandung übertragen, vgl. die analo-
ge Übertragung bei dt. Leibchen, Ärmel, frz.
corset, culotte. (Wenn Jaberg, a. a. O. 151, meint,
diese Parallelen ablehnen zu müssen, mit Hin-
weis auf die jeweilige formale Differenzierung,
so sei an den Kontrast von ne. breech und bree-
ches erinnert.)

Zwar wäre das Umgekehrte auch möglich: von gebro-
chenem, zweibeinigem
Kleidungsstück ließe sich die
Bezeichnung auf den davon bedeckten Körperteil
übertragen (so V. Pisani, a. a. O.), aber Parallelen für
eine derartige Entwicklung fehlen. Pisani vergleicht
alb. bres (brez-i) Gürtel, das er aus idg. *bhrōgo- ab-
leitet (anders Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 46 f.).

Diejenigen, die nach idg. Verwandten von germ.
*rōk- als Körperteilbezeichnung suchten, ha-
ben wiederholt lat. suffrāginēs (< *sub-frāg-)
Hinterbug der Tiere angeführt, was zunächst
eine idg. Wz. mit *ā statt *ō voraussetzen wür-
de. Zwar ließe sich für germ. *rōk- ebensogut
idg. *ā oder *ō ansetzen, und auch die kelt.
Wörter hätten zu einem Zeitpunkt entlehnt wer-
den können, ehe sich im Germ. langes *ō aus
idg. *ā entwickelte, also ehe sich der Waldname
Bācenis (so bei Cäsar VI, 10, Bach, Dt. Namen-
kunde II § 238, 3) zu *Bōk- (ahd. Buochunna
922) und der Flußname Dānubius (so noch bei
Cäsar VI, 24, Bach II § 72. 437 a) zu *Dōn-
(ahd. Tuonouwa) entwickelte. Doch paßt kein ā
in die Ablautreihe e : o : ē : ō, und das lange ā
in lat. suffrāginēs kann sekundär sein (nach frāc-
tus u.ä.; so Walde-Hofmann I, 113 f.). Daß suf-
frāginēs (bei einer Wurzelform *bhreg- > *frag-
mit Reduktionsvokal *e > a und sekundärer
Dehnung, s. o.) doch zu frangō brechen (*bhre-
ng-) gehört und also letzten Endes mit germ.
*rōk- verwandt ist, scheint kaum zu leugnen:
viell. ergibt sich dadurch eine weitere Stütze für
die Ursprünglichkeit der Körperteilbezeich-
nung.

Walde-Pokorny II, 193; Pokorny 165.

Das kelt.-lat., aus dem Germ. adoptierte Lehnwort
brāca, dem eine Nebenform mit expressiver Gemina-
tion und kurzem -a- zur Seite stand (s. o.), wurde im
Lauf der Zeit fast in allen Teilen der Romania hei-
misch, vielfach mit ganz unterschiedlichen Bedeutun-
gen: italien. brache pl. (selten braca sg.), prov. katal.
span. port. braga Windel, bragas pl. Hosen (aber
meist veraltend), frz. braie Windel (nur selten noch
Hose: besonders das Überhandnehmen von chausses
< calceae und der damit verbundenen Mode trug im
Frz. zum Absterben bzw. semantischen Wandel des
Wortes bei mit Reliktgebieten nur noch im äußersten
NW und SO).

Mittellat. Wb. I, 1551 f.; Du Cange I, 751 f.; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 1531; Meyer-Lübke, Rom. et.
Wb.³ Nr. 1252; Wartburg, Frz. et. Wb. I, 478 ff.
Vgl. auch A. Thomas, Romania 35 (1906), 473 ff.;
K. Jaberg, a. a. O. 148 ff.

In den nhd. Mdaa. ist das Wort nur noch rest-
haft belegt, in der Bed. Kleidungsstück fast
nur in Teilen der Schweiz, Bayerns und Öster-
reichs: vgl. Schweiz. Id. V, 382 ff. bruech, auch
Schamgegend; Schmeller, Bayer. Wb.² I, 342 f.
bruech; Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in
Österr. III, 1132 pruch, prche; Schatz, Wb. d.
tirol. Mda. 112 pruech, auch pruech-halfter Ho-
senträger
. Vgl. auch Müller, Rhein. Wb. I,
1025 bruch Männerhosen (veraltet).

Etwas weiter verbreitet sind Belege mit übertra-
gener Bed.: 1) Kerngehäuse der Äpfel, Birnen
usw.
(vgl. die Hosen der Getreidepflanzen;
Ochs, Bad. Wb. I, 339 bruch; Martin-Lienhart,
Wb. d. els. Mdaa. II, 180 bruech); 2) Riemen
oder Kette am Wagen oder Riemen als Teil des
Pferdegeschirres
(Schweiz. Id., a. a. O.; Kranz-
mayer, a. a. O.; Ochs, a. a. O.; Fischer, Schwäb.
Wb. I, 1457 brüche, brüchen). Fischer und
Schmeller, a. a. O., verzeichnen auch brüchler,
bruechler Kleinhändler mit Leinwand usw..

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