derb
Band II, Spalte 600
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derbAWB adj. a-St., nur in Gl. vom 9. Jh. an:
ungesäuert, unter den Aschen gebacken, azy-
mus (succinericius)
; derbi adj. ja-St., Murb. H.
und Gl.: dss. Var.: derpi, PN Terbwin.
Mhd. derp (-b-) ungesäuert; bair. derb unge-
säuert, nicht mit Sauerteig bereitet
; fehler-
haft, feucht
. Nhd. 18. Jh. (a. 1741 Frisch)
noch lexikalisch derb in der Bedeutung unge-
säuert
, sonst fest, stabil, heftig, grob. Schot-
tel bucht a. 1663 derb crassus, solidus, derbe
Ohrfeigen, nach Adelung a. 1774 derb nur in
gemeinem Leben
.

Die nhd. Bedeutungen erklären sich über den
Einfluß der genetisch nicht verwandten, nicht
im Ahd. und Mhd. belegten Wörter mndd. derve
derb, gerade; afries. derve verwegen; as. der-
vi kräftig, feindlich, böse; ae. dearf kühn, ält.
ne. derf stark, kräftig, handfest; anord. djarfr
mutig, kühn, nnorw. djerv dreist, kühn, in
der Mineralogie unkristallisiert, formlos;
nschwed. djärv kühn, verwegen, dreist, ndän.
djærv derb, offen (Bedeutung durch mndd.
Einfluß) (s. u.). Im Ndd. treffen beide Laut- und
Bedeutungsstränge zusammen, weshalb sich der
moderne nhd. Gebrauch seit dem 17. Jh. vom
Nordd. her über das gesamte Sprachgebiet ver-
breitet. Vom Norden her greift weiterhin der
übertragene Gebrauch des ahd. derb entspre-
chenden Wortes über: anord. þjarfr derb, ge-
schmacklos, einfältig
, þirfingr niedrige Per-
son
; afries. therf derb, heftig (Weiteres s. u.).

Splett, Ahd. Wb. I, 132; Schützeichel⁴ 88; Starck-
Wells 97 f. 799; Graff V, 220 f.; Schade 100; Lexer I,
420; Benecke I, 322; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 64
(azimus). 559 (subcinericius); Dt. Wb. II, 1012 f.; Dt.
Wb.² VI, 706 ff.; Kluge²¹ 127; Kluge²² 136; Pfeifer,
Et. Wb. 271 f.; Weigand, Dt. Wb.⁵ I, 345; Schmeller,
Bayer. Wb.² 534 f.

Ahd. derb entsprechen mndl. derf; afries. therf;
ae. ðeorf ungesäuert, frisch, n. ungesäuertes
Brot
(nndl. derf zäh, hart), me. þeorf unge-
säuert
, ne. tharf (veraltet, dial.) ungesäuert;
anord. þjarfr (s. o.; selten in PN wie Geirþjarfr,
Gunnþjarfr, Véþjarfr), nisl. þjarfur; nnorw.
dial. tjerv geschmacklos, ungesalzen; run.
schwed. PN þerf, ält. nschwed. tiärf, nschwed.
kärv herb, derb, schroff (mit etymologisch
umgekehrter Entwicklung von tj > k; dazu No-
reen, Gesch. d. nord. Spr. § 179; Wessén,
Schwed. Sprachgesch. I § 161): < urgerm. *þer-
a-.

Mit dem ja-St. ahd. derbi ist as. thervi unge-
säuert
(derfbrōt) < *þarija- identisch. Zum
Nebeneinander eines a- und eines ja-stämmigen
Adjektivs, die von derselben Wz. abgeleitet sind
und die Kontinuante der e- bzw. o-Stufe auf-
weisen, vgl. anord. bjúgr gebückt (< *eua-)
und ae. liđebīg (< *-auija-) mit biegsamen
Gliedern, demütig
.

Fick III (Germ.)⁴ 183; Holthausen, As. Wb. 12. 77;
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 231; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 719; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 509; Verdam, Mndl. handwb. 133; Wb. d. ndl.
taal III, 2, 2425; Holthausen, Afries. Wb.² 15. 110;
ders., Ae. et. Wb. 363; Stratmann-Bradley, ME Dict.³
632; OED² IV, 498; XVII, 867; Vries, Anord. et.
Wb.² 77. 612; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 521. 621.
874 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 316;
Krause, Spr. d. urnord. Runeninschr. § 36, 2. (4); Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 144; Torp, Nynorsk et.
ordb. 790; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 548; E. Wessén,
ed. Upplands Runinskrifter I, 121 (Uppsala, 1940 =
Sveriges Runinskrifter Bd. VI); Ordb. o. d. danske sprog
III, 801; Björkman, Scand. Loanwords 233 f.

Für ahd. derb(i) sind zwei unterschiedliche ety-
mologische Anschlüsse erwogen worden: Ver-
bindung mit serb.-ksl. trъpъkъ bitter; russ.
térpkij scharf, sauer; lat. torpeō bin steif, be-
täubt
; lit. tipti (-pstù, -paũ) erstarren, gefühl-
los werden, einschlafen
; lett. tìrpt (-pstu/ pju)
vertauben, starr werden, tirpinât starr ma-
chen, vertauben
, aksl. aorist dual utrьposta sie
erstarrten
, russ. terpnut’ erstarren (vor Furcht)
< uridg. *(s)terp- starr, steif sein oder mit
den s-mobile-haltigen Varianten der uridg. Wz.
*(s)terbh-, gr. στέρφνιον σκληρόν, στερεόν He-
sych; ksl. strъblъ gesund, fest; sterban.
Wenn auch für die germ. Wörter eine Wz.-Form
*(s)terbh- ebenfalls möglich erscheint, dürfte
der erstere Anschluß vorzuziehen sein, weil sich
die Bedeutungen der auf *p auslautenden Wör-
ter besser mit den Bedeutungen der Wörter für
derb vertragen. So kann man als Grundbedeu-
tung von urgerm. *þera- und *þarija- eben-
falls die Bedeutung steif annehmen, woraus
sich die Bedeutungen mager (bair. derb dürr,
trocken, mager
wohl aus bair. abderben dürr
werden, abstehen von Pflanzen
; derben),
trocken, geschmacklos, ungesäuert entwik-
kelt haben.

Dagegen können anord. djarfr und as. dervi
usw. (s. o.) an die in arm. derbowk rauh, roh
und wohl auch in lit. dìrbti (-u, -au) arbeiten
usw. vorliegende Wz. uridg. *dherǝbh-
[**dherHbh-] derb und kräftig sich betätigen
angeschlossen werden ( derben). Trotz ande-
rer Vokalstellung wäre aber auch ein Anschluß
an die Wz. uridg. *dhrebh- gerinnen (machen),
ballen, dickflüssig
möglich; vgl. aind. drapsá-
m. Tropfen (wenn aus *dhrebh-so- und keine
Entsprechung zu einem av. drafa- Tropfen
vorliegt); gr. τρέφεσθαι gerinnen, fest sein,
τρέφω mache dick, lasse in die Breite wachsen,
nähre
, τρόφις feist, dick, groß (mit τ aufgrund
von Hauchdissimilation; zu nasalhaltigen Lau-
tungen wie gr. θρόμβος geronnene Masse s.
Lühr, Expressivität 92).

Walde-Pokorny I, 876; II, 631; Pokorny 257 f. 1024;
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 71 f.; ders., Et. Wb.
d. Altindoar. II, 754 f. (aind. drapsá- jedoch < uridg.
*dreb-s-; zu lit. drebti zittern?); Boisacq, Dict. ét.
gr. 983; Frisk, Gr. et. Wb. II, 925 ff.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 1133 ff. (zu gr. τρέφω usw., jedoch in erster
Linie zu lit. drbti [drebiù, drbiaũ] etwas Dickflüssi-
ges werfen, so daß es spritzt
, lett. drebt schlackern,
vom feuchten Schneegestöber
und zu Wörtern für
Bodensatz ahd. trebir); Curtius, Grundzüge d. gr.
Et.⁵ 224 (überholt: Verbindung von τρέφω und τέρπω
erfreue); Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 692; Er-
nout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 696; Vaniek, Et. Wb. d.
lat. Spr. 107; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 325; Miklo-
sich, Et. Wb. d. slav. Spr. 355; Vasmer, Russ. et. Wb.
III, 98 f.; R. Aitzetmüller, Belegstellenverzeichnis der
aksl. Verbalformen (Würzburg, 1977) 684; Fraenkel,
Lit. et. Wb. 1100 f. (dort auch zum fraglichen Zusam-
menhang von lit. tipti erstarren und tipti [-pstù,
-paũ] schmelzen, zerfließen); Mühlenbach-Endze-
lin, Lett.-dt. Wb. IV, 196 f.; V. Machek, Zfslav. Ph. 23
(1954), 116 f.; Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 437 f.;
ders., Stud. z. Wurzelerw. 57; K. Walter, Zfvgl.Spr. 12
(1863), 411; F. Specht, Zfvgl.Spr. 62 (193435), 33;
F.A. Wood, MLN 20 (1905), 104 (die Verbindung
von ahd. derb[i] mit der Sippe von durfan [s. d.] ist je-
doch unhaltbar).

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