dewen, douwen
Band II, Spalte 619
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dewen, douwen sw. v. I, Gl., Bened.regel,
Notker: auftauen, benetzen, schmelzen, ver-
dauen, essen, auflösen, madefacere, tabescere,
digerere, consumere, egerere
Var.: dewan;
douan; zum Nebeneinander von Bedeutungen
wie verdauen und auftauen vgl. die Bedeu-
tungen von nschwed. smälta schmelzen, zer-
lassen, verdauen
. Die bei den Verben auf w
auftretenden unterschiedlichen Lautungen auf
-ew- und -ouw- (-auw-) erklären sich aus
dem Wechsel von ahd. pl., inf. douwen, 1.sg.
douwu usw. und 2. 3. sg. dewis, dewit, wobei
sowohl -ew- (vorherrschend im Alem., Fränk.)
als auch -ouw- (vorwiegend bair.) verallgemei-
nert werden konnte; vgl. prät. dewita, douwita
(prät. gewöhnlich auf -ita, bair. auch Gl.
1, 558, 25 dotun mit Längezeichen in zwei
Hss.). Aus dem ahd. Verb sind im Mhd. zwei
verschiedene Verben hervorgegangen: döu-
wen, douwen, dowen, däwen, dewen, dougen
intr., trans. verdauen, übertragen verwin-
den
, und mit Anlehnung an den Anlaut von
mhd. touwen mit dem Tode ringen, sterben
das Verb touwen, töuwen sich auflösen, zer-
gehen, schmelzen
(vgl. bereits vereinzelt ahd.
mit anlautendem t: Gl. 4, 338, 39 3.pl.präs. ta-
gint rigabunt, 1, 558, 26 3.pl.prät. tohtin ta-
bescebant
); entsprechend frühnhd. (Luther)
dawen, dauen, ält. nhd. dauen, däuen verdau-
en
, verwinden (mdartl. schweiz. daran wird
er noch lange zu däuen haben), (seit dem
17. Jh.) auch geistig verarbeiten, nhd. (seit
dem 18. Jh.) fast ausschließlich als Präfixverb
verdauen, das im 17. Jh. das Simplex ver-
drängt, und (frühnhd. Luther verdeutlichend
aufthawen), ält. nhd. thauen, nhd. tauen auf-
tauen
. Mdartl. hat sich das Simplex in der Be-
deutung verdauen gehalten, so in bair. dauen,
dæuen.

Splett, Ahd. Wb. I, 133; Schützeichel⁴ 98. 840;
Starck-Wells 98; Graff V, 233 f.; Schade 97. 100. 108;
Heffner, Word-Index 35; Lexer I, 455 f.; II, 1485 f.;
Benecke I, 386; III, 62; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 181
(digerere). 196 (egerere). 332 (liquere); Dt. Wb. II,
838 f.; XI, 327; XII, 199; Kluge²¹ 773. 812; Kluge²²
723. 758; Pfeifer, Et. Wb. 1788 f. 1890 f.; Braune,
Ahd. Gr.¹⁴ § 357 Anm. 3. 362 Anm. 5; Schatz, Ahd.
Gr. § 290. 469. 475; ders., Abair. Gr. § 143; Raven,
Schw. Verben d. Ahd. 290 f.; Krüer, Bindevokal 54.
196. 297 f.; Trübners Dt. Wb. VII, 32. 403 f.; Weigand,
Dt. Wb.⁵ II, 1030. 1142; Schmeller, Bayer. Wb.² I,
476 f. Da ein Bedeutungswandel von schmelzen zu
verdauen möglich ist (s. o.), erübrigt sich Kögels,
PBB 9 (1884), 532 Ansatz zweier verschiedener Ver-
ben, nämlich eines schwach flektierenden douwen
verdauen und eines ursprl. stark flektierenden *þa-
wan, *þōw schmelzen, das in dem Prät. dotun mit
Längezeichen in zwei Hss. fortgesetzt sei (s. o.).

Ahd. dewen, douwen entsprechen mndd. dou-
wen, döuwen, döyen, doijen, dōgen tauen,
schmelzen, verdauen
; mndl. dooyen, doyen,
douwen tauen, schmelzen (die Bedeutung ver-
dauen
begegnet nur beim Präfixverb), nndl.
dooien tauen; nostfries. deien, deuen, doien,
nwestfries. teije tauen; aisl. þeyja zu schmel-
zen anfangen, tauen
, poet. auch abnehmen,
schwinden
, nisl. þeyja, nnorw. tøya, ndän. tø,
nschwed. töa tauen: < urgerm. *þaujan-. Ein
ōn-Verb setzen ae. ðawian tauen, auftauen,
me. þāwen dss., ne. thaw (*þawōjan-) fort
(unrichtig Kluge²² 723: *þau-ja-); ferner ae. ge-
þawenian benetzen, aisl. poet. þána sw. v.
auftauen < *þawanōn/ ōjan-; nnorw. dial. tæ-
sa tauen, schmelzen < *þawisjan-, nnorw.
dial. tøysa warmes Wasser auf das Heu gießen
< *þausjan-. Dazu stellen sich mit einem von
ahd. tou, as. dau, afries. dāw, ae. dēaw, aisl.
dgg Tau ( tou) abweichenden Dental die
Substantive ne. thaw Tauen, Tauwetter (ne.
dial. subst. thow[e] als Basis von spätme. thōwe
tauen?), nndl. dooi Tauwetter; aisl. þá
schneefreies Feld (< *þawō), aisl. poet. þeyr
m. Tauwind, -wetter, nisl. þeyr, fär. toyur,
nnorw. tøyr, nschwed. tö, ndän. tø Tauwetter
(< *þawi-). Da das Subst. weniger verbreitet
und im Engl. und Ndl. später als das Verb be-
zeugt ist, dürfte es sich bei den Substantiven um
postverbale Nomina handeln (anders Vries,
Ndls. et. wb. 127). Urgerm. *þaujan- und *þa-
wanōn/ ōjan- sind dann von einer Verbalwz.
abgeleitete Verben (dazu s. u.), wobei im West-
germ. durch die westgerm. Konsonantengemina-
tion in bestimmten Formen (s. o.) Entwicklung
von *þaujan- zu *þawwjan- erfolgte.

Fick III (Germ.)⁴ 175; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 402; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
559; Verdam, Mndl. handwb. 143. 149; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 126; Doornkaat Koolman, Wb. d.
ostfries. Spr. I, 284. 287; Dijkstra, Friesch Wb. III,
273; Holthausen, Ae. et. Wb. 361; Bosworth-Toller,
AS Dict. 453. 1038; Stratmann-Bradley, ME Dict.³
628; OED² XVII, 875 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 914;
Vries, Anord. et. Wb.² 605. 609 f.; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 424; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 312.
315; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1313; Torp, Ny-
norsk et. ordb. 829. 831; Hellquist, Svensk et. ordb.³
1268; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 506 (jedoch als weite-
rer Anschluß zu þwahan waschen).

Die ahd. dewen, douwen zugrunde liegende
Wz. urgerm. *þau- ist wegen der im Aind. mög-
lichen Herleitung von ō < *a zu aind. tóyam
(neben tyam) n. Wasser gestellt worden
(*taa- > tóya- und nicht zu *távya-, um ei-
nen Zusammenfall mit távya- kräftig zu ver-
meiden). Möglicherweise handelt es sich jedoch
wie bei anderen aind. Wörtern für Wasser um
ein Lehnwort aus dem Dravidischen; vgl. tamil.
tōy naß sein, naß werden. Sicher vergleichbar
sind nur Wörter ohne *: arm. tՙana- (aorist
tՙacՙi) < *t-ā- [**t-e-H₂-] oder *t--ǝ-
[**t-₂-] etwas kurz in eine Flüssigkeit ein-
tauchen und benetzen; etwas mit etwas benet-
zen, feucht machen
; aksl. tajati, präs. taje/o-
(intr.) tauen, schmelzen; osset. taïn, tayun
tauen, schmelzen < präs. uridg. *tā-e/ o-
[**teH₂-e/ o-] (aksl. talъ geschmolzen, flüs-
sig
); ferner die mit *k bzw. *b erweiterten Lau-
tungen gr. τήκω, dor. τκω mache schmelzen,
τήκομαι schmelze, τακερός schmelzbar bzw.
lat. tābēs f. Zersetzung, Verwesung der Wz. ur-
idg. *tā- [** teH₂-] tauen, schmelzen (von Eis
und Schnee); vgl. auch die auf Wurzelerweite-
rungen beruhenden oder mit Suffix versehenen
Lautungen air. tám Tod, Pest, Betäubung,
mkymr. tawd geschmolzen, tođ-i schmelzen,
auflösen
, mbret. teuzyff liquescit wohl mit
Dentalsuffix und nicht aus *tāo-, *tāō (Peder-
sen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 68; anders Fick II
[Kelt.]⁴ 120 f.; Fleuriot, Dict. des gl. en vieux
breton 314).

Die Erklärung der Wz.-Form urgerm. *þau-
mit kurzem *a ist problematisch. Möglicherwei-
se ist nach dem Vorbild der in deismo (s. d.) vor-
liegenden Wz. uridg. *t-i- [**teH₂-i-] feucht
machen, verschmelzen
+ *s (uridg. *tai-s-
[**teHi-s-] > urgerm. *þais-), in der durch
den intervokalischen Laryngalschwund eine
Lautung mit kurzem *a, *ta-i-, entstanden ist
(möglicherweise in ae. ðān feucht, n. bewäs-
sertes Land
< *þai-na-), eine Variante *ta-u-
[**teH₂-u-] > urgerm. *þau- gebildet worden,
von der ein primäres Verb urgerm. *þawjan-
[**teHu-e/ o-] abgeleitet wurde.

Die Schwundstufe urgerm. *þu- könnte in der Form
*þw- mit *þī-, der schwundstufigen Fortsetzung von
uridg. *tā-i- [**teH₂-i-] ( deismo), gekreuzt sein
und so Lautungen wie ae. ðwīnan weich werden,
schwinden
, Kausativ ðwǣnan einweichen, emollire,
irrigare
, aschwed. thwīna hinschwinden, hin-
schmachten, tabescere, languere
ergeben haben.

Walde-Pokorny I, 701 ff.; Pokorny 1054; Fick I
(Idg.)⁴ 439; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 527;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 671; Boisacq, Dict. ét.
gr.⁴ 965 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 639 f.;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 672; Klingenschmitt,
Altarm. Verbum 113 f.; A. Meillet, MSLP 9 (1896),
154; 23 (1935), 50; H. Adjarian, MSLP 20 (1918),
160 f.; P. Kretschmer, Glotta 14 (1925), 221 f.; Brug-
mann, Grdr.² II, 3, 306; H. Pedersen, Zfvgl.Spr. 39
(1966), 371; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 312 f.; Vas-
mer, Russ. et. Wb. III, 84; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1140
(zum Anschluß von lit. tunys Bienenharz); Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. T-24 f. (mit Literatur zu dem we-
niger wahrscheinlichen Anschluß von air. tám an aind.
tmyati erstickt, wird betäubt, wird ohnmächtig, er-
schöpft sich
usw.); Dict. of Irish T-65; D. S. Evans,
Gr. of Middle Welsh (Dublin, 1964), 166; Ernault, Gl.
moyen-breton 691 f.; J. Loth, Rev. celt. 43 (1926), 415;
F. Wood, AJPh. 21 (1900), 180 f.; H. Pedersen,
Zfvgl.Spr. 36 (1900), 106; E. Lidén, IF 19 (1906),
348 ff.; Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 462 ff. 469 f.
709 f.; J. Otrbski, Lingua Posnaniensis 9 (1963), 11.
Für Försters (Flußname Themse 727 ff.) Verbindung
des Flußnamens Themse mit den kelt. Wörtern ist
aind. tāmaram Wasser kein Bindeglied, da dieses
Wort wohl aus tāmarasám n. Lotos erschlossen ist
(Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 495).

S. auch douwil.

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