dionôn
Band II, Spalte 675
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dionôn sw. v. II: bedienen, willfahren, sich
demütigen, dienstbar sein, servire, deservire,
ministrare, administrare, obsequi, militari, ob-
niti, subire
Var.: theonon, thianon, thie(n)on,
d(h)eonon, deonoon, dienon, tienon, tinon;
alem. 3. pl. deoneon (R. Kögel, PBB 9 [1884],
507); zur älteren Form eo des Diphthongs und
zu dionent anstelle von dionont s. Schatz,
Abair. Gr. § 15a. 152; zur Synkope im Prät.
und Part. Prät. s. Krüer, Bindevokal 285.
Mhd., nhd. dienen.

Die Deutung des Siedlungsnamens Dienheim bei Op-
penheim als Wohnbesitz eines Dionot, wobei Dionot
Ableitung von dem Verb dienen sein müßte, ist hinfäl-
lig; denn die Schreibungen weisen auf die Fortsetzung
eines germ. *ē² (J. Struck, PBB 78 [Tübingen, 1956],
458).

Splett, Ahd. Wb. I, 140; Schützeichel⁴ 91; Starck-
Wells 102. 800; Graff V, 91. 93; Schade I, 99. 101.
104; Raven, Schw. Verben d. Ahd. II, 27; Lexer I, 426;
Benecke I, 368; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 530 (servi-
re); Dt. Wb. II, 1103 ff.; Dt. Wb.² VI, 947 ff.; Kluge²¹
132; Kluge²² 142; Pfeifer, Et. Wb. 282 f.

Entsprechungen innerhalb des Germ. sind: as.
thionon, thianan dienen, gehorchen, folgen,
mndd. dēnen dienen; andfränk. thienon; mndl.
dienen, dien dienen, verdienen, bedienen,
nndl. dienen; afries. thiania, tienia dienen, Un-
terhalt gewähren
, nwestfries. tjienjen, nnord-
fries. tiene, nostfries. dēnen. Die gemeinsame
Vorform ist urgerm. *þewanōn- > *þewanōn-
> *þeonōn-; zu wa > o vgl. *fiuwari > ahd.
fiori (Lühr, Expressivität 334 f.). Es handelt sich
wie im Falle von got. skalkinon dienen neben
skalks Knecht, Diener um eine Ableitung von
einem Subst. der Bedeutung Diener (Diener
sein
mit späterer Bedeutungsentwicklung zu
behilflich sein > nützlich sein [bei Sachen]),
nämlich von urgerm. *þewa- ( *dio). Das -n-
des bindevokalhaltigen Suffixes ist sekundär; es
ist von Bildungen ausgegangen, die von n-Stäm-
men abgeleitet sind; vgl. got. fraujin-on herr-
schen
zu frauja, Stamm fraujin- Herr; ebenso
got. gudjin-on Priester sein zu gudja, Stamm
gudjin- Priester und danach got. reikin-on
herrschen zu reiks, Stamm reik- Herrscher
(Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 197).

Die Dt. Wb.², a. a. O. vertretene Auffassung, daß ahd.
dionôn auf einer n-Erweiterung des Stammorphems
abgeleitet ist, die möglicherweise in anord. þjónn m.
Diener, Sklave vorliegt (s. u.), ist zu korrigieren, da
sich das n-Suffix bei Verben verselbständigt hat (s. o.).

Fick III (Germ.)⁴ 177; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg.
109; Quak, Wortkonkordanz z. d. amittel- u. andfränk.
Ps. 157; Holthausen, As. Wb. 18; Sehrt, Wb. z. Hel.²
606 f.; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 232; Gallée, Vor-
studien z. e. andd. Wb. 342; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 413; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
502 f.; Verdam, Mndl. handwb. 135; Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 115 f.; Vries, Ndls. et. wb. 115; Holthau-
sen, Afries. Wb.² 110; Richthofen, Afries. Wb. 1071;
Outzen, Gl. d. fries. Spr. 365; Doornkaat Koolman,
Wb. d. ostfries. Spr. I, 290; Holthausen, Ae. et. Wb.
363; Bosworth-Toller, AS Dict. 1056; Stratmann-
Bradley, ME Dict.³ 632; Vries, Anord. et. Wb.² 614.

Lautstand und Genese von aisl. þjóna dienen (wor-
aus lapp. teunu-), (spät bezeugt) þéna, nisl. þéna,
nnorw. tena, adän. thiane, ndän. tjena, aschwed. þiǣ-
na, þiana, þiena, thena, nschwed. tjäna, älter tēna
dienen und von aisl. þjónn m. Diener, Sklave (>
aruss. tiunъ Verwalter, Schatzmeister eines Fürsten,
ukrain. tyvon Aufseher, w.russ. civún Amtmann,
Gutsverwalter
[woraus poln. ciwun, cywun Kam-
merherr
]; lit. tijũnas Verwalter, Haushalter, Aufse-
her
; s. Vasmer, Russ. et. Wb. III, 108 f.; Fraenkel, Lit.
et. Wb. 1086) werden verschieden beurteilt. Da nach
H. Pipping, Lidén-Festschrift (1912), 161 w im Anord.
schwindet, wenn es in unmittelbarer Nähe eines unbe-
tonten Vokals und eines kurzen palatalen Vokals
steht, hat er versucht, alle nordgerm. Lautformen als
einheimisch zu erklären: *þewanōn- > aisl. þéna;
nom. sg. *þewanaR > *þjawann > *þjánn, nom. pl.
*þewanoR > *þénar; von der Stufe *þjawann aus-
gehend, sei der Pl. *þjawnar > þjónar gebildet wor-
den, wozu auch der Lautstand der Verben aisl. þjóna,
aschwed. þiana, þiǣna passen würde.

Als zweite Erklärungsmöglichkeit erwägt Pipping,
daß sowohl das Verb *þewanōn- als auch der Pl. *þe-
wanor im Anschluß an den Sg. *þewanar ihr w gegen
die Regel bewahrten und so þjóna, þjónar ergaben.
Doch ist die Annahme einer unterschiedlichen Ent-
wicklung von *þewanōn- zu þéna und von *þewanaR
zu *þjawann wie auch die einer nach Pippings Auffas-
sung nicht regelhaften Bewahrung des w bei der
zweiten Erklärung nicht einsichtig (inlautendes w
schwindet vor stark gerundeten Vokalen, außer ,
und vor Kons.; s. Heusler, Aisl. El.buch⁷ 44). Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1226, Torp, Nynorsk et.
ordb. 779 und Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1197 be-
trachten aschwed. þiǣna daher als eine Entlehnung
aus einer afries. oder as. Form mit ia (ebenso Noreen,
Aschwed. Gr. § 82 Anm. 3. 118 Anm. 2; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 433); auch für aisl., nisl. þéna wird Entleh-
nung angenommen, und zwar entweder aus ae. ðēnian
< ðegnian oder aus mndd. thēnen, dēnen, wozu die
späte Bezeugung des Verbs im Aisl. paßt.

Möglicherweise sind die Verbformen mit einem a-hal-
tigen Wurzelvokalismus jedoch tatsächlich einhei-
misch: Im Falle einer Vorform urgerm. *þewanōn-
könnte aufgrund der a-Brechung im Aisl. ein *þjána
mit Synkope des Pänultimavokals und Schwund des w
vor Kons. mit Ersatzdehnung des a (anders Noreen,
Aisl. Gr.⁴ § 177 Anm. als Alternative; Falk-Torp,
a. a. O.: þéna) entstanden sein, wie es von aschwed.
þiána > þiǣna (zu > iǣ im Aschwed. s. Noreen,
Aschwed. Gr. § 97) usw. (s. o.) fortgesetzt wird (Vries,
Ndls. et. wb. 115).

N. v. Wijk, IF 24 (1909), 37 erwägt dagegen für alle
nordgerm. Verben, also auch für aisl. þjóna, Herkunft
aus dem Kontinentalwestgerm. (Darms, Schwäher
und Schwager 62: aus dem Andd.), wobei aisl. þjóna
auf as. thionon beruhe. Die Beurteilung von aisl. þjóna
hängt jedoch von dem Subst. aisl. þjónn ab. Da das
Subst. erst spät bezeugt ist, hält Wißmann, Anord. u.
westg. Nom. Postverb. 7 das Verb für älter als das
Subst. und sieht so das Subst. als eine Rückbildung aus
dem Verb an: *þiunon verhalte sich zu *þius wie aisl.
árna ausrichten, erreichen, eigtl. Bote sein, zu árr
m. Bote. Die Neubildung eines Wortes für Diener
sei im Anord. notwendig geworden, weil die Konti-
nuante von *þewa- als eigenständiges Wort verloren
gegangen sei; vgl. auch den Rückgang des Wortes im
Got., wo nur der Nom. Pl. þiwos, Gen. Pl. þiwe neben
dem Sg. þiumagus belegt sind. Wißmanns Erklärung
der Wortbildung und damit auch des Lautstands des
Verbs aisl. þjóna macht jedoch Schwierigkeiten. Da
im Anord. ein *þius nicht nachweisbar ist, kann davon
*þiunon nicht nach dem Muster árr: árna abgeleitet
sein, zumal árna wie got. airinon Gesandter sein, un-
terhandeln
auf eine Bildung mit Zwischenvokal zu-
rückgeht (Heusler, a. a. O. 26). Nach einer anderen
Auffassung ist das Subst. aus einer Vorform *þewna-
> *þeuna- hervorgegangen (Franck, a. a. O. 115;
K. Matzel, PBB 97 [Tübingen, 1975], 113). In diesem
Fall wäre þjónn alt und zufällig erst spät bezeugt, wo-
bei *þjána (s. o.) im Aisl. unter dem Einfluß des Subst.
þjónn zu þjóna umgebildet worden ist (Vries,
a. a. O.). Weiterhin besteht die Möglichkeit, daß das
Verb aisl. þjóna von dem Subst. þjónn ausgeht (Hell-
quist, a. a. O).

Das des öfteren zum Vergleich von aisl. þjónn heran-
gezogene Subst. ae. ðēowen, -ene f. Magd (z. B. Fick
a. a. O.; Falk-Torp, a. a. O.; Holthausen, Ae. et. Wb.
363) kann nicht zusammen mit dem aisl. Subst. von ei-
ner Vorform *þeuna- hergeleitet werden, da das ae.
Wort auf eine Ableitung von ðēo(w) Diener, Knecht
mit der Kontinuante des Suffixes -injō zurückgeht
und so ein moviertes Fem. darstellt (s. Kluge, Nom.
Stammbildung³ § 41; Krahe-Meid, a. a. O. § 94 2b).
Auch Pokornys 1060 (Walde-Pokorny I, 716) Herlei-
tung des Verbs *þewanōn- von den Vorformen von
ae. ðēowen und aisl. þjónn ist nicht überzeugend;
denn urgerm. Alter dieser Bildungen ist keineswegs er-
wiesen (s. o.).

Auf einer anderen Bildeweise als das Verb dienen be-
ruht das Verb der 3. sw. Kl. dewên (s. d.).

Von Krahe-Meid, a. a. O § 197 wird für dienôn eine
alte Bildung ohne Zwischenvokal, also ein *þenōn-
> *þeunōn-, vorausgesetzt (ebenso von Franck,
a. a. O. 115 als Alternative), wofür es jedoch im Germ.
sonst keine Parallele gibt. Die von Kluge, a. a. O. § 20
zum Vergleich herangezogenen Bildungen got. þiu-
dans König, kindins Statthalter, ae. dryhten Ge-
folgsherr
, die einen Anführer oder Vorsteher bezeich-
nen, unterscheiden sich semasiologisch von aisl. þjónn
(Wißmann, a. a. O.). Auch die Annahme, daß as. thio-
non einem got. *þiunan, *þiunoda, welches sich zu
þius verhält wie gaqiunan lebendig werden zu qius
,
entspricht (Kögel, a. a. O. 538), überzeugt nicht, da
dann *þiunan Sklave werden (und nicht dienen) be-
deuten würde.

Nach v. Wijk und Franck, a. a. O. ist das Verb dienen
dagegen möglicherweise erst unter dem Einfluß von
lat. servīre dienen neben servus Diener entstanden,
was zur Folge hätte, daß ein dreisilbiges *þewanōn-
nie existiert hat. Wenn das Verb dienen gebildet wäre,
wie v. Wijk und Franck meinen, müßte man im West-
germ. ein lat. servus entsprechendes Subst., das ein n
im Stammauslaut enthielte, erwarten. Ob das für aisl.
þjónn vorauszusetzende *þeuna- urgerm. Alters ist,
ist jedoch fraglich (s. o.).

S. auch *dio.

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