diorna
Band II, Spalte 681
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diorna f. ō-, n-St.: Mädchen, Dienstmagd,
virgo, puella, ancilla
Var.: thiarna, thierna,
deorna, diarna, dierna, tierna. Das im Ahd.
reich bezeugte Wort (52 Belege, der älteste im
Abrogans) steht in erster Linie für puella und
virgo. Erst als im 12. Jh. diu (s. d.) schon
weithin untergegangen war, trat diorna auch
für ancilla ein, und zwar unter dem Einfluß
der Doppelrolle der Maria als virgo und ancil-
la domini. Mhd. dierne, diern st. sw. f. Mäd-
chen, Dienerin, Magd, feile Person, Dirne
,
frühnhd. dirne, diren, dyrn, tirn ancilla, puel-
la
, nhd. Dirne (mit i für ie vor Doppelkons.
wie in Fichte, Licht, ging, hing, [n]irgend).

Splett, Ahd. Wb. I, 141; Schützeichel⁴ 91; Starck-
Wells 102. 800; Graff V, 90; Schade 104; Lexer I,
429 f.; Benecke I, 368; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 33
(ancilla). 471 (puella); Dt. Wb. II, 1185 ff.; Dt. Wb.²
VI, 1125; E. Karg-Gasterstädt, PBB 66 (1942),
313 ff.; Kluge²¹ 134; Kluge²² 145 f.; Pfeifer, Et. Wb.
288 f.

In der Schriftsprache fand eine Bedeutungsver-
schlechterung zu Dienerin und weiter zu Hu-
re
statt, wobei die in der 2. Hälfte des 15. Jh.s
aufgekommene Bedeutung Prostituierte, Mä-
tresse
im 20. Jh. herrschend wurde. Doch sind
in den Mundarten noch die Bedeutungen Mäd-
chen
, Magd erhalten, und zwar im Bad.,
Schwäb., Bair., Tirol., Kärnt., Steir., Rhein.,
Hess., Nndd., Preuß., und das Diminutiv
Dirndl bezeichnet ein junges Mädchen (vgl.
15. Jh. bair. dyerndl), die jüngste (und letzte)
Dienstmagd auf einem Bauernhof (18. Jh.) und
eine weibliche Tracht (verkürzt aus Dirndlkleid;
1. Hälfte 20. Jh.).

Ochs, Bad. Wb. I, 486; Fischer, Schwäb. Wb. II, 223;
Schmeller, Bayer. Wb.² I, 541; Lexer, Kärnt. Wb. 61;
Schöpf, Tirol. Id. 82; Unger-Khull, Steir. Wortschatz
153 f.; Müller, Rhein. Wb. I, 1371 f.; Vilmar, Id. von
Kurhessen 73; Mensing, Schleswig-holst. Wb. I,
713 ff.; Ziesemer, Preuß. Wb. II, 56.

Entsprechungen aus weiteren germ. Sprachen
sind: as. thiorna f. Jungfrau, Mädchen (meist
von der Jungfrau Maria)
, mndd. dērne f. Die-
nerin, Magd, Mädchen, weibliche Person
;
andfrk. gen.pl. thierno iuuencularum; mndl.
dierne, deerne, derne, deern f. Dienstmagd,
junges Mädchen
(mit ē anstelle von ie vor r +
Kons.), nndl. deern. Im Skand. finden sich aisl.
þerna f. Dienstmädchen, nisl. þerna Hausge-
hilfin
; norw. terna; ndän. terne Zofe;
mschwed. thærna, nschwed. tärna Mädchen,
Maid, Brautjungfer
. Aus dem Skand. sind me.
þerne (Björkman, Scand. Loanwords 223) und
lapp. dær’nō, gen. dærhnō (Quigstad, Nord.
Lehnw. im Lapp. 142) entlehnt.

Man hat versucht, die skand. Wörter als einheimisch
zu erklären und aus *þewornō(n-) > *þéornō(n-) mit
Schwund von w vor dunklem Vokal (dazu s. Heusler,
Aisl. El.Buch⁷ § 139) herzuleiten (Vries, Ndls. et. wb.
108 f.), wobei der Vokal in anord. *þērna dann ver-
kürzt sei (Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1254; Torp,
Nynorsk et. ordb. 780). Für die Annahme einer suffix-
ablautenden Form *þewornō(n-) neben *þewernō(n-)
(s. u.) fehlen jedoch Anhaltspunkte. Wahrscheinlicher
ist daher, daß es sich bei aisl. þerna usw. um eine Ent-
lehnung aus mndd. dērne handelt (Noreen, Aisl. Gr.
§ 173 Anm. 3; Fischer, Lehnw. d. Awestnord. 43); vgl.
die ebenfalls aus dem Mndd. entlehnten Personenbe-
zeichnungen nschwed. herre, fru, jungfru, knecht.

Fick III (Germ.)⁴ 177; Holthausen, As. Wb. 78; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 607; Berr, Et. Gl. to Hel. 409; Helten,
Aostndfrk. Psalmenfrg. 109. § 59; Kyes, Dict. of O. Low
and C. Franc. Ps. 104; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 418; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
508; Verdam, Mndl. handwb. 136; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 108 f.; Vries, Anord. et. Wb.² 609; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 433; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 314; Torp, a. a. O.; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 1266; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 499. 562.

Die Vorform der westgerm. Wörter, urgerm.
*þewernō(n-) f. Jungfrau, eigentlich Knech-
testochter
, ist von urgerm. *þewa- Diener ab-
geleitet ( *dio). Da die Bedeutungen virgo,
puella
älter als die Bedeutung ancilla sind,
nimmt Seebold (Kluge²² 145) für das Mask. ur-
germ. *þewa- eine von Diener, Knecht ver-
schiedene Bedeutung an; ein solcher Ansatz ist
jedoch nicht nötig, da mit einem Wort für Die-
nerin
auch ein junges Mädchen bezeichnet wer-
den konnte; vgl. das Nebeneinander der Bedeu-
tungen in der Sippe von Knabe und Knappe (s.
Lühr, Expressivität 274 f.).

Der herkömmliche, wegen got. widuwairna
vorgenommene Ansatz *þewernō(n-) ist halt-
bar, wenn man annimmt, daß e vor r zu a ge-
worden ist. In der Lautform *-war- ist dann im
Westgerm. -a- infolge von Schwachtonigkeit zu
-o- verdumpft und w vor -o- wie in Kompositi-
onshintergliedern (s. Lühr, Stud. z. Hildebrand-
lied 477 ff.) geschwunden. Ist *þewarnō(n)- das
Ursprüngliche, müßte jedoch eine in Ablaut zu
*-ern- (in got. widuwairna) stehende Suffixva-
riante *-orn- angesetzt werden (zum Suffix
s. u.).

Eine vergleichbare Bildung sieht F. Mezger, MLN 57
(1942), 432 f. in ags. níwerne jung, Kind, das er als
Neubildung nach dem Vorbild von ae. fæderen väter-
lich
, mēdren, mēdern mütterlich, von seiten der Mut-
ter
auffaßt. Der Umlaut in ags. mēdren, mēdern deu-
tet jedoch auf Bildungen mit dem Suffix *-īna- (vgl.
got. fadreins Abkunft, Geschlecht, aschwed. faþrīne
väterliche Seite, møþrīne mütterliche Seite, s. Kra-
he-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 95), weshalb für das
Wort Dirne, wäre es ebenso gebildet, ein *þewarī-
nō(n-) angesetzt werden müßte. Ein *þewarīnō(n-)
aber hätte ahd. *diorīna ergeben.

Nicht überzeugend ist E. Karg-Gasterstädts (a. a. O.
326 [von Kluge²¹, a. a. O. aufgegriffene und von Pfei-
fer 288 f. als Alternative erwogene]) Verbindung von
ahd. diorna mit der dem Wort Degen zugrundeliegen-
den Wz. erzeugen, wobei sich der labiovelare Wz.-
Auslaut *w (uridg. *tek-) im Germ. vor hellem Vo-
kal zu w (*þew-ernō) und vor Kons. zu (*þe-na-
z) entwickelt hätte. Denn eine labiovelarhaltige Wz.
ist für die Vorform von ahd. degan (s. d.) wegen des
verwandten gr. τέκνον unwahrscheinlich. Nach
H. Nowicki, ZfdA. 106 (1977), 83 ff. ist ferner ein Ne-
beneinander zweier lautlicher Varianten *tek- und
*tek- ein und derselben Wz. nicht zu motivieren, al-
lenfalls eine zu *tek- synonyme Wz. *tek- zeugen,
gebären
, die aber nur in *þe-na-z und *þew-ernō
eine Stütze hätte; zudem könne das Suffix *-erna-
nicht unmittelbar an die Wz. treten; vgl. Basternae und
widuwairna (s. u.). Nowicki selbst lehnt für ahd. dior-
na usw. auch die Verbindung mit der Wz. uridg.
*tek- laufen ab, weil ahd. diorna zuerst puella, vir-
go
bedeutet habe und auch im As. die Bedeutung
Dienerin nicht belegt sei (doch s. o.). Seine Verbin-
dung von ahd. diorna mit mhd. diehter, tiehter Enkel-
kind
, aind. túc- f. Kinder, Nachkommenschaft
(aind. toká- n. Nachkommenschaft, Kinder, tókman-
n. grüner Getreidehalm, grüner Sproß von Getreide,
altav. taoχman- n. Same, Keim, Verwandtschaft,
apers. taumā f. Familie, Geschlecht) und der Ansatz
einer Vorform *þeuχ-ra-nō die zur Nachkommen-
schaft gehörige
, die mit Synkope von *-a- über *hrn
und Schwund von *h vor Kons. (zustimmend Dt.
Wb.² a. a. O.; Pfeifer 289 als Alternative zu oben) zu
ahd. diorna geführt habe, ist jedoch ebenfalls fraglich,
weil das als einziger Vertreter einer Wz. *tek- kei-
men, sprossen
im Germ. zum Vergleich herangezoge-
ne mhd. diehter, tiehter aller Wahrscheinlichkeit nach
eine Vddhiableitung zu urgerm. *đuχter- Tochter ist
(zustimmend Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. I,
670). Die Beleglage von tiehter im Bair. und Ostfränk.,
wo urgerm. *đ zu t verschoben wurde, deutet allein
auf eine Vorform mit einem vorurgerm. *dh und nicht
*t (Darms, Schwäher und Schwager 409 ff.).

diorna ist wie got. widuwairna Waise, eigtl.
Witwensohn, eine Weiterbildung von widuwo
Witwe, gebildet; vgl. auch die altgerm. Volks-
namen Basternae, Bastarnae (me. bast ungesetz-
liche Ehe
, afrz. fils de bast unehelicher Sohn),
Bezeichnungen für Abstammungsverhältnisse,
denen nebenbei ein gewisser Makel anhaftet
(R. Much, PBB 17 [1893], 37). Das Suffix *-er-
no- ist nach Brugmann, Grdr.² II, 1, 281 durch
Antritt des uridg. Suffixes *-no- an er-Stämme
entstanden (s. auch Krahe-Meid, Germ. Sprach-
wiss. III § 97); vgl. iran. Tιγράνης (zu apers. ti-
gra- spitz, aind. téjate ist scharf, wird scharf,
schärft
; dagegen bereitet die Verbindung mit
uridg. *tegos Haus wegen des i-Lautes und des
Rhotazismus *tegesno- > *tegerno- Schwierig-
keiten).

Brugmanns Vergleich der Bildeweisen von ahd. diorna
und got. widuwairna mit lat. lucerna Leuchte, Lam-
pe
, air. lōcharn, luacharn f. Leuchte, Laterne, Lampe
ist jedoch unhaltbar, weil die kelt. Wörter unter teil-
weiser Anlehnung an Erbwörter aus dem Lat. über-
nommen worden sind und lat. lucerna nach lanterna
Laterne, Lampe gebildet ist (Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. I, 825).

Unwahrscheinlich ist die Auffassung R. Muchs (Zfdt.
Wortf. 11 [1909], 215), daß urgerm. *þewernō eine
mit r auslautende Basis eines Wortes für Haus zu-
grundeliege, von dem auch air. tigern (Haus-)Herr
ausgegangen sei, da eine solche Basis eines Wortes für
Haus sonst fehlt (zu air. tigern s. dah) und auch die
Bedeutungsvermittlung zu Mädchen, Magd schwie-
rig ist.

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