ein Kard.zahl, indef.pron., unbestimmter
Artikel, seit dem 8. Jh.: ‚ein, irgendein, irgend-
welch(er), ein gewisser, jener, ein und dersel-
be, einzig, bloß, unus‘ 〈Var.: ehin, hein, ēn,
æn〉. — Mhd. ein, nhd. ein. Das Zahlwort wird
bereits in ahd. Zeit auch als indef.pron. ‚ir-
gendein‘ verwendet, woraus sich — im West-
germ. wie auch im Nordgerm. — der unbe-
stimmte Artikel entwickelt hat. Vor allem in
der schwachen Form ahd. eino, mhd. eine (im
Mhd. häufig verstärkt durch al: mhd. alein[e],
nhd. allein), und zwar zumeist in prädikativer
Verwendung, hat das Wort die Bedeutungen
‚allein, abgesondert, als einziger‘. Als Adv. be-
deutet ahd. ein, mhd. eine, ein ‚allein, bloß,
nur‘. Nhd. eins als Bezeichnung des Zahlen-
werts innerhalb der Zahlenreihe setzt gegen-
über ahd. ein, mhd. ein ‚eins‘ ein stark flek-
tiertes Neutr. mhd. ein(e)z fort.
Ahd. Wb. III, 120 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 172; Schütz-
eichel⁴ 99; Starck-Wells 120. 802. 841 f.; Graff I,
308 ff.; Schade 127; Lexer I, 520 f.; Benecke I, 416 f.;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 627 (unus); Dt. Wb. III,
112 ff.; Kluge²¹ 157 f.; Kluge²² 169; Pfeifer, Et. Wb.
337 f.
Ahd. ein in sämtlichen Funktionen entsprechen:
as. ēn, mndd. ēin, ēn; andfrk. ein, mndl. een,
nndl. een Artikel [ǝn], Kard.zahl [e:n]; afries.
ēn, ān, nfries. ēn; ae. ān, pl. ‚Individuen‘, me.
n, ne. one Kardinale (mit Entwicklung von an-
lautendem w in ōn über uon, uön, won, wun;
vgl. gelegentliche Schreibungen wie woon[e],
wonne gegenüber ne. alone, only), a, an unbe-
stimmter Artikel; aisl. einn ‚ein, erster, dersel-
be, allein, irgendein‘ (durch dt. Einfluß ‚unge-
fähr‘ bei Zahlangaben), pl. ‚alle‘, nisl. einn,
nnorw. ein, ndän. en, nschwed. en (aus dem
Skand. finn. aina ‚immer‘; lapp. norw. aidna,
ai’na, aidno, ai’no ‚einzig‘; ne. ON Ainsty, Ain-
tree). Bei got. ains Kard.zahl, indef.pron. ‚einer,
irgend einer‘ < urgerm. *aina- ist die Funktion
eines unbestimmten Artikels noch nicht ausge-
prägt; vgl. Matth. 8, 19 ains bokareis ‚εἷς γραμ-
ματεύς‘, Joh. 7, 21 ain waurstw gatawida ‚ἕν ἔρ-
γον ἐποίησα‘ (Behaghel, Dt. Syntax I, 45 ff.).
Fick III (Germ.)⁴ 3; Holthausen, As. Wb. 15; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 95 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 94; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 532 f.; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 637 ff.; Verdam, Mndl. handwb.
158; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 147 f.; Vries, Ndls.
et. wb. 149; Holthausen, Afries. Wb.² 20; Richthofen,
Afries. Wb. 705 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. I, 395; Holthausen, Ae. et. Wb. 4; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 37 f.; Suppl. 36 f.; Suppl. II, 4;
ME Dict. O-155 ff.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 627;
OED² I, 3 f. 424; X, 802 ff.; Vries, Anord. et. Wb.²
97; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 42; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 48; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
190 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 86; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 183; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I,
307 ff.; Quigstad, Nord. Lehnw. im Lapp. 83 f.; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 24; Lehmann, Gothic Et. Dict.
A-78.
Mit ahd. ein identisch sind: gr. οἴνη (-ή?) f., οἰ-
νός (mit schwankender Betonung aufgrund von
Substantivierung) m. ‚Eins auf dem Würfel‘;
alat. akk.m. Scipioneninschrift oino (vgl. noenu
= nōn < *ne-oi̯nom ‚nicht eines‘; oinvorsei =
ūniversī), lat. (archaisierend Cicero oenus),
ūnus ‚ein, einzig, irgendwer; allein‘ (mit einer
den Demonstrativa entsprechenden Flexion gen.
ūnius, dat. ūnī, aber n. ūnum), ūllus ‚irgendein‘
(< *oi̯nelo-), umbr. akk. sg. unu; air. oen, oín
(adjektivische Flexion) Kard.zahl ‚ein‘ zumeist
emphatisch im Sinne von ‚nur ein‘, pron. indef.
‚irgendein‘, nir. aon, akymr. un, mbret. adjekti-
visch un, substantivisch unan (air. oenán), un
auch unbestimmter Artikel (von den kelt. Spra-
chen hat nur das Bretonische den Artikel);
apreuß. ains ‚eins, allein, einzig‘: < uridg. *oi̯-
no- [**(H)oi̯no-]. Wegen lit. vičveĩnelis ‚ein
einziger‘ wird für das Baltoslav. daneben eine
andere Ablautstufe, nämlich *ei̯no- [**(H)-ei̯-
no-], vorausgesetzt: lit. víenas ‚eins‘ (adv. víen
‚nur, einzig‘), lett. viêns (adv. viên ‚nur, allein‘),
aksl. inъ ‚einer, unus, alius‘ (zum Nebeneinan-
der der Bedeutungen vgl. nhd. ein ‚unus, ille‘),
jed-inъ ‚ein, einzig‘ (mit Partikel; s. u.), aksl.
ino- in ino-rogъ ‚Einhorn‘, ino-čędъ ‚eingebo-
ren, einzig geboren‘ (hierher auch lit. ìnas
‚wahr, echt, unverfälscht, wirklich‘?), wobei das
Lit.-Lett. und Slav. in der akutierten Betonung
des Wurzeldiphthongs übereinstimmen (vgl. ser-
bo-kroat. ȉn ‚alius‘, ȉno ‚aliud‘). Doch kann lit.-
lett. -ie- auch auf *ai < *oi̯ zurückgehen. Den
lit.-lett. Anlautkonsonanten v- betrachtet man
teils als präfigierte Partikel ve- (vgl. aksl. jed-
inъ mit Partikel *ed- ‚nur‘?), teils als ein zu lett.
vin̨š ‚jener‘, aksl. ovъ ‚dieser‘ (in Fügungen wie
aksl. ovъ — ovъ ‚der eine — der andere‘) gehöri-
ges Pronomen (Brugmann, Demonstrativpron.
110 Anm. 2; modifiziert von W. Osten-Sacken,
IF 33 [1913—14], 270; 40 [1922], 254: lit. víenas
< *u̯-inos mit einem im Ablaut zu v- in lett.
vin̨š ‚jener‘ stehenden *u̯), teils als sporadi-
schen v-Vorschlag. *oi̯no-/ ei̯no-? [**(H)oi̯-
no-/(H)ei̯no-?] ‚eins‘ erscheint also nur im Ital.,
Kelt., Germ. und Baltoslav. (A. Meillet, Rev.
germ. 21 [1930], 38 f.). Die als Kard.zahl ‚ein‘
gebrauchte Wurzel *ei̯?/ oi̯- [**(H)ei̯?/(H)oi̯-]
steht in Opposition zu *sem-/*s-, das im
Griech., Arm. und Toch. die Basis des Kardi-
nale ‚eins‘ bildet (gr. εἷς m. ‚eins‘ < *sems, ἕν n.
< *sem; arm. mi ‚eins‘ < *smii̯os; vgl. gr.
nom. sg.f. μία < *smii̯ǝ [**smii̯ǝ₂]; toch. B
nom. sg. ṣe ‚eins‘ < *sḗm-s m.; s. G. Klingen-
schmitt, in Tocharisch. Akten der Fachtagung der
Idg. Gesellschaft, Berlin, September 1990, hrsg.
von B. Schlerath [Reykjavík, 1994], 317; J. Hil-
marsson, Zfvgl.Spr. 97 [1984], 135 ff.: *sḗm
oder *sms). Gegenüber *sem-/*s- ‚das Zu-
sammen, Einheit‘ (vgl. Adverbialbildungen wie
lat. sim-plex ‚einfach‘, semel ‚einmal‘ bzw. aind.
sakt ‚einmal, auf einmal, mit einem Male‘, gr.
ἅπαξ ‚einmal‘ und ahd. saman ‚zusammen‘;
s. d.) dürfte die Wz. *oi̯(/ei̯?)- [**(H)oi̯(/
(H)ei̯?)-] zur Bezeichnung von Einzelnem oder
einem einzigen Vertreter seiner Art verwendet
und das no-Suffix in einer einen Zustand be-
zeichnenden Funktion gebraucht worden sein;
vgl. lat. dignus ‚würdig‘; gr. στυγνός ‚verhaßt,
abscheulich‘, aind. pūrṇá- ‚voll‘.
Ein anderes Suffix begegnet in aind. éka- ‚ein,
einzig, alleinig‘, pl. ‚die einen, einige‘ (mind. ek-
ka- mit emphatischer Verdoppelung; s. H. Ber-
ger, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 3 [1958], 20 f.), indo-
ar. im Alten Vorderasien *ai̯ka- im Kikkuli-
Traktat a-i-ka-u̯a-ar-ta-an-na ‚Einer-Wen-
dung‘ und apers. aiva-, altav., jungav. aēuua-
‚ein, einzig‘, gr. οἶος, kypr. οἶϝος ‚einzig, al-
lein‘, wobei urindoar. *ai̯ka- und uriran. *ai̯u̯a-
(beide mit pronominaler Flexion) wohl einen
Dialektunterschied im Urindoiran. reflektieren
(*ai̯ka- kaum als Kürzung aus *ai̯-u̯a-ka-; so
zögernd M. Mayrhofer, Indo-Iranian Journal 4
[1960], 146 Anm. 75).
Die Beleglage von *sem- im Griech., Arm. und
Toch. deutet jedoch zusammen mit den Adver-
bialbildungen darauf hin, daß im Uridg. die
Wz. *sem- das übliche Wort für ‚eins‘ lieferte,
das in den idg. Einzelsprachen dann mehr oder
weniger durch das Wort für ‚einzeln‘ verdrängt
wurde.
Walde-Pokorny I, 101; Pokorny 286; J. Schmidt,
Zfvgl.Spr. 36 (1900), 397; J. Gonda, Reflections on the
Numerals „one“ and „two“ in Ancient IE Lang. (Ut-
recht, 1953), 75 f.; O. Carruba, Szemerényi-Festschrift
199; Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. I, 262 f. (anders
K. et. Wb. d. Aind. I, 128: aind. ena- wohl identisch
mit *oi̯-no-s ‚ein‘); Bartholomae, Airan. Wb. 22 ff.;
Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 691; Frisk, Gr. et. Wb. I, 702;
II, 364. 367; Chantraine, Dict. ét. gr. 784; Curtius,
Grundzüge d. gr. Et.⁵ 320; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 821 ff.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 748 f.;
Leumann, Lat. Laut- u. Formenlehre 67; Berneker,
Slav. et. Wb. I, 430 ff. (aksl. inъ zum Pronominal-
stamm *i-; doch ist der Ansatz *ьnъ für aksl. inъ
heute überholt; s. Diels, Aksl. Gr. 94; vgl. A. Brückner,
Zfvgl.Spr. 46 [1914], 202 f. Anm. 1); Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 3; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 96;
Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu d. aksl. Texten 36.
246; Vasmer, Russ. et. Wb. I, 483 f.; II, 255;
N. v. Wijk, IF 30 (1912), 382 ff. (jedoch: aksl. inъ <
*oi̯no-); Fraenkel, Lit. et. Wb. 1239 f. (aber: lit. ìnas
‚wahr, echt, unverfälscht, wirklich‘ als n-Ableitung
zum Pronominalstamm *i-); E. Fraenkel, Zfslav. Ph.
20 (1950), 83 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb.
I, 664 f.; Stang, Vgl. Gr. d. balt. Spr. 276 f.; Fick II
(Kelt.)⁴ 47; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. O-10 f.;
Holder, Acelt. Spr. II, 840; Dict. of Irish O-100 f.;
R. E. Emmerick, in Indo-European Numerals 165;
F. M. J. Waanders, ebd. 369 f.; R. Coleman, ebd. 389 f.;
B. Comrie, ebd. 726 ff.; D. Green, ebd. 504. 532. 538.
547; H. Lewis-J. R. F. Piette, Handb. des Mittelbret.
Deutsche Bearb. von W. Meid (Innsbruck, 1990), 22;
Tischler, Heth. et. Gl. I, 6.
Nach allgemeiner Auffassung gehört ahd. ein zum
Pronominalstamm *ei̯- und bedeutet ‚dieser‘, wobei
der anaphorische Pronominalstamm aind. ena- ‚die-
ser‘ (en ‚auf diese Weise, hier, da‘) verglichen wird.
Doch sind ved. ena-, en möglicherweise erst in der
Vorgeschichte des Indoar. entstanden, und zwar
durch Ersatz von ayám ‚dieser hier, er‘ : an ‚durch
diesen‘ durch ayám : *ai̯n (Mayrhofer, Et. Wb. d.
Altindoar. I, 268). Auch ist fraglich, ob der reine,
schwundstufige Stamm in gr. hom. ἴα f. ‚eine‘ (wonach
ἰός ‚einer‘) begegnet (so z. B. Coleman, a. a. O. 431
Anm. 4; doch vgl. Schwyzer, Gr. Gram.² 588: gewöhn-
lich als *ii̯ǝ [**ii̯ǝ₂] zum Pron. lat. is ‚er‘). Derartige
Anknüpfungen verlieren „sich in einer unkontrollier-
baren Vorzeit“ (Frisk, a. a. O. II, 367). Doch wäre im-
merhin eine Analogie gr. εἷς, ἕν, μία → εἷς, ἕν, ἴα
denkbar.
Arm. -in in den Identitätspronomina soyn ‚derselbe
hier‘, doyn ‚derselbe da‘, noyn ‚derselbe dort‘ bleibt
fern (anders Brugmann, Demonstrativpron. 109 f.;
H. Junker, Zfvgl.Spr. 43 [1910], 342 f.), da -in
höchstwahrscheinlich mit gr. -ίν in οὑτοσ-ίν ‚dieser‘
zu verbinden ist (Meillet, Esquisse d’une gr. comp. de
l’arm.² 88; G. Klingenschmitt, in Althochdeutsch 182 f.;
abzulehnen auch Pedersen, Pronoms démonstr. 20:
arm. -in zu aksl. inъ).
S. auch dehein, einag, eines, einêst, nein, ni-
hein, nohein, unein.