ein
Band II, Spalte 989
Symbol XML-Datei TEI Symbol PDF-Datei PDF Zitat-Symbol Zitieren

ein Kard.zahl, indef.pron., unbestimmter
Artikel, seit dem 8. Jh.: ein, irgendein, irgend-
welch(er), ein gewisser, jener, ein und dersel-
be, einzig, bloß, unus
Var.: ehin, hein, ēn,
æn. Mhd. ein, nhd. ein. Das Zahlwort wird
bereits in ahd. Zeit auch als indef.pron. ir-
gendein
verwendet, woraus sich im West-
germ. wie auch im Nordgerm. der unbe-
stimmte Artikel entwickelt hat. Vor allem in
der schwachen Form ahd. eino, mhd. eine (im
Mhd. häufig verstärkt durch al: mhd. alein[e],
nhd. allein), und zwar zumeist in prädikativer
Verwendung, hat das Wort die Bedeutungen
allein, abgesondert, als einziger. Als Adv. be-
deutet ahd. ein, mhd. eine, ein allein, bloß,
nur
. Nhd. eins als Bezeichnung des Zahlen-
werts innerhalb der Zahlenreihe setzt gegen-
über ahd. ein, mhd. ein eins ein stark flek-
tiertes Neutr. mhd. ein(e)z fort.

Ahd. Wb. III, 120 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 172; Schütz-
eichel⁴ 99; Starck-Wells 120. 802. 841 f.; Graff I,
308 ff.; Schade 127; Lexer I, 520 f.; Benecke I, 416 f.;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 627 (unus); Dt. Wb. III,
112 ff.; Kluge²¹ 157 f.; Kluge²² 169; Pfeifer, Et. Wb.
337 f.

Ahd. ein in sämtlichen Funktionen entsprechen:
as. ēn, mndd. ēin, ēn; andfrk. ein, mndl. een,
nndl. een Artikel [ǝn], Kard.zahl [e:n]; afries.
ēn, ān, nfries. ēn; ae. ān, pl. Individuen, me.
n, ne. one Kardinale (mit Entwicklung von an-
lautendem w in ōn über uon, uön, won, wun;
vgl. gelegentliche Schreibungen wie woon[e],
wonne gegenüber ne. alone, only), a, an unbe-
stimmter Artikel; aisl. einn ein, erster, dersel-
be, allein, irgendein
(durch dt. Einfluß unge-
fähr
bei Zahlangaben), pl. alle, nisl. einn,
nnorw. ein, ndän. en, nschwed. en (aus dem
Skand. finn. aina immer; lapp. norw. aidna,
ai’na, aidno, ai’no einzig; ne. ON Ainsty, Ain-
tree). Bei got. ains Kard.zahl, indef.pron. einer,
irgend einer
< urgerm. *aina- ist die Funktion
eines unbestimmten Artikels noch nicht ausge-
prägt; vgl. Matth. 8, 19 ains bokareis εἷς γραμ-
ματεύς
, Joh. 7, 21 ain waurstw gatawida ἕν ἔρ-
γον ἐποίησα
(Behaghel, Dt. Syntax I, 45 ff.).

Fick III (Germ.)⁴ 3; Holthausen, As. Wb. 15; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 95 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 94; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 532 f.; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 637 ff.; Verdam, Mndl. handwb.
158; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 147 f.; Vries, Ndls.
et. wb. 149; Holthausen, Afries. Wb.² 20; Richthofen,
Afries. Wb. 705 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. I, 395; Holthausen, Ae. et. Wb. 4; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 37 f.; Suppl. 36 f.; Suppl. II, 4;
ME Dict. O-155 ff.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 627;
OED² I, 3 f. 424; X, 802 ff.; Vries, Anord. et. Wb.²
97; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 42; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 48; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
190 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 86; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 183; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I,
307 ff.; Quigstad, Nord. Lehnw. im Lapp. 83 f.; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 24; Lehmann, Gothic Et. Dict.
A-78.

Mit ahd. ein identisch sind: gr. οἴνη (-ή?) f., οἰ-
νός (mit schwankender Betonung aufgrund von
Substantivierung) m. Eins auf dem Würfel;
alat. akk.m. Scipioneninschrift oino (vgl. noenu
= nōn < *ne-onom nicht eines; oinvorsei =
ūniversī), lat. (archaisierend Cicero oenus),
ūnus ein, einzig, irgendwer; allein (mit einer
den Demonstrativa entsprechenden Flexion gen.
ūnius, dat. ūnī, aber n. ūnum), ūllus irgendein
(< *onelo-), umbr. akk. sg. unu; air. oen, oín
(adjektivische Flexion) Kard.zahl ein zumeist
emphatisch im Sinne von nur ein, pron. indef.
irgendein, nir. aon, akymr. un, mbret. adjekti-
visch un, substantivisch unan (air. oenán), un
auch unbestimmter Artikel (von den kelt. Spra-
chen hat nur das Bretonische den Artikel);
apreuß. ains eins, allein, einzig: < uridg. *o-
no- [**(H)ono-]. Wegen lit. viveĩnelis ein
einziger
wird für das Baltoslav. daneben eine
andere Ablautstufe, nämlich *eno- [**(H)-e-
no-], vorausgesetzt: lit. víenas eins (adv. víen
nur, einzig), lett. viêns (adv. viên nur, allein),
aksl. inъ einer, unus, alius (zum Nebeneinan-
der der Bedeutungen vgl. nhd. ein unus, ille),
jed-inъ ein, einzig (mit Partikel; s. u.), aksl.
ino- in ino-rogъ Einhorn, ino- eingebo-
ren, einzig geboren
(hierher auch lit. ìnas
wahr, echt, unverfälscht, wirklich?), wobei das
Lit.-Lett. und Slav. in der akutierten Betonung
des Wurzeldiphthongs übereinstimmen (vgl. ser-
bo-kroat. ȉn alius, ȉno aliud). Doch kann lit.-
lett. -ie- auch auf *ai < *o zurückgehen. Den
lit.-lett. Anlautkonsonanten v- betrachtet man
teils als präfigierte Partikel ve- (vgl. aksl. jed-
inъ mit Partikel *ed- nur?), teils als ein zu lett.
vi jener, aksl. ovъ dieser (in Fügungen wie
aksl. ovъ ovъ der eine der andere) gehöri-
ges Pronomen (Brugmann, Demonstrativpron.
110 Anm. 2; modifiziert von W. Osten-Sacken,
IF 33 [191314], 270; 40 [1922], 254: lit. víenas
< *-inos mit einem im Ablaut zu v- in lett.
vi jener stehenden *), teils als sporadi-
schen v-Vorschlag. *ono-/ eno-? [**(H)o-
no-/(H)eno-?] eins erscheint also nur im Ital.,
Kelt., Germ. und Baltoslav. (A. Meillet, Rev.
germ. 21 [1930], 38 f.). Die als Kard.zahl ein
gebrauchte Wurzel *e?/ o- [**(H)e?/(H)o-]
steht in Opposition zu *sem-/*s-, das im
Griech., Arm. und Toch. die Basis des Kardi-
nale eins bildet (gr. εἷς m. eins < *sems, ἕν n.
< *sem; arm. mi eins < *smios; vgl. gr.
nom. sg.f. μία < *smiǝ [**smiǝ₂]; toch. B
nom. sg. e eins < *sm-s m.; s. G. Klingen-
schmitt, in Tocharisch. Akten der Fachtagung der
Idg. Gesellschaft, Berlin, September 1990, hrsg.
von B. Schlerath [Reykjavík, 1994], 317; J. Hil-
marsson, Zfvgl.Spr. 97 [1984], 135 ff.: *sm
oder *sms). Gegenüber *sem-/*s- das Zu-
sammen, Einheit
(vgl. Adverbialbildungen wie
lat. sim-plex einfach, semel einmal bzw. aind.
sakt einmal, auf einmal, mit einem Male, gr.
ἅπαξ einmal und ahd. saman zusammen;
s. d.) dürfte die Wz. *o(/e?)- [**(H)o(/
(H)e?)-] zur Bezeichnung von Einzelnem oder
einem einzigen Vertreter seiner Art verwendet
und das no-Suffix in einer einen Zustand be-
zeichnenden Funktion gebraucht worden sein;
vgl. lat. dignus würdig; gr. στυγνός verhaßt,
abscheulich
, aind. pūrá- voll.

Ein anderes Suffix begegnet in aind. éka- ein,
einzig, alleinig
, pl. die einen, einige (mind. ek-
ka- mit emphatischer Verdoppelung; s. H. Ber-
ger, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 3 [1958], 20 f.), indo-
ar. im Alten Vorderasien *aka- im Kikkuli-
Traktat a-i-ka-a-ar-ta-an-na Einer-Wen-
dung
und apers. aiva-, altav., jungav. aēuua-
ein, einzig, gr. οἶος, kypr. οἶϝος einzig, al-
lein
, wobei urindoar. *aka- und uriran. *aa-
(beide mit pronominaler Flexion) wohl einen
Dialektunterschied im Urindoiran. reflektieren
(*aka- kaum als Kürzung aus *a-a-ka-; so
zögernd M. Mayrhofer, Indo-Iranian Journal 4
[1960], 146 Anm. 75).

Die Beleglage von *sem- im Griech., Arm. und
Toch. deutet jedoch zusammen mit den Adver-
bialbildungen darauf hin, daß im Uridg. die
Wz. *sem- das übliche Wort für eins lieferte,
das in den idg. Einzelsprachen dann mehr oder
weniger durch das Wort für einzeln verdrängt
wurde.

Walde-Pokorny I, 101; Pokorny 286; J. Schmidt,
Zfvgl.Spr. 36 (1900), 397; J. Gonda, Reflections on the
Numerals one and two in Ancient IE Lang. (Ut-
recht, 1953), 75 f.; O. Carruba, Szemerényi-Festschrift
199; Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. I, 262 f. (anders
K. et. Wb. d. Aind. I, 128: aind. ena- wohl identisch
mit *o-no-s ein); Bartholomae, Airan. Wb. 22 ff.;
Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 691; Frisk, Gr. et. Wb. I, 702;
II, 364. 367; Chantraine, Dict. ét. gr. 784; Curtius,
Grundzüge d. gr. Et.⁵ 320; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 821 ff.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 748 f.;
Leumann, Lat. Laut- u. Formenlehre 67; Berneker,
Slav. et. Wb. I, 430 ff. (aksl. inъ zum Pronominal-
stamm *i-; doch ist der Ansatz *ьnъ für aksl. inъ
heute überholt; s. Diels, Aksl. Gr. 94; vgl. A. Brückner,
Zfvgl.Spr. 46 [1914], 202 f. Anm. 1); Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 3; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 96;
Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu d. aksl. Texten 36.
246; Vasmer, Russ. et. Wb. I, 483 f.; II, 255;
N. v. Wijk, IF 30 (1912), 382 ff. (jedoch: aksl. inъ <
*ono-); Fraenkel, Lit. et. Wb. 1239 f. (aber: lit. ìnas
wahr, echt, unverfälscht, wirklich als n-Ableitung
zum Pronominalstamm *i-); E. Fraenkel, Zfslav. Ph.
20 (1950), 83 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb.
I, 664 f.; Stang, Vgl. Gr. d. balt. Spr. 276 f.; Fick II
(Kelt.)⁴ 47; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. O-10 f.;
Holder, Acelt. Spr. II, 840; Dict. of Irish O-100 f.;
R. E. Emmerick, in Indo-European Numerals 165;
F. M. J. Waanders, ebd. 369 f.; R. Coleman, ebd. 389 f.;
B. Comrie, ebd. 726 ff.; D. Green, ebd. 504. 532. 538.
547; H. Lewis-J. R. F. Piette, Handb. des Mittelbret.
Deutsche Bearb. von W. Meid (Innsbruck, 1990), 22;
Tischler, Heth. et. Gl. I, 6.

Nach allgemeiner Auffassung gehört ahd. ein zum
Pronominalstamm *e- und bedeutet dieser, wobei
der anaphorische Pronominalstamm aind. ena- die-
ser
(en auf diese Weise, hier, da) verglichen wird.
Doch sind ved. ena-, en möglicherweise erst in der
Vorgeschichte des Indoar. entstanden, und zwar
durch Ersatz von ayám dieser hier, er : an durch
diesen
durch ayám : *an (Mayrhofer, Et. Wb. d.
Altindoar. I, 268). Auch ist fraglich, ob der reine,
schwundstufige Stamm in gr. hom. ἴα f. eine (wonach
ἰός einer) begegnet (so z. B. Coleman, a. a. O. 431
Anm. 4; doch vgl. Schwyzer, Gr. Gram.² 588: gewöhn-
lich als *iǝ [**iǝ₂] zum Pron. lat. is er). Derartige
Anknüpfungen verlieren sich in einer unkontrollier-
baren Vorzeit
(Frisk, a. a. O. II, 367). Doch wäre im-
merhin eine Analogie gr. εἷς, ἕν, μία εἷς, ἕν, ἴα
denkbar.

Arm. -in in den Identitätspronomina soyn derselbe
hier
, doyn derselbe da, noyn derselbe dort bleibt
fern (anders Brugmann, Demonstrativpron. 109 f.;
H. Junker, Zfvgl.Spr. 43 [1910], 342 f.), da -in
höchstwahrscheinlich mit gr. -ίν in οὑτοσ-ίν dieser
zu verbinden ist (Meillet, Esquisse d’une gr. comp. de
l’arm.² 88; G. Klingenschmitt, in Althochdeutsch 182 f.;
abzulehnen auch Pedersen, Pronoms démonstr. 20:
arm. -in zu aksl. inъ).

S. auch dehein, einag, eines, einêst, nein, ni-
hein
, nohein, unein.