estrhAWB m. a-St., nur in Gl. vom 9. Jh. an:
‚planierter Fußboden, Estrich, gepflasterter
Grund, pavimentum, solum, caementum‘ 〈Var.:
a- (Gl. 1, 288, 17 Rd, alem. 9. Jh.), -ter-, -dr-,
-c(h)〉. — Mhd. est(e)rch st.m. ‚Estrich, Fußbo-
den von Zement oder Steinplatten‘, nhd.
Estrich. Die Basis für ahd. estrh wie für mndd.
ast(e)rak, ast(e)rik, -rich, esterk, ersterch, estri-
k(ē) n. ‚Estrich(stein), Fußboden‘ ist gleichbe-
deutendes vulg.lat. *astracum (woraus auch ita-
lien. lástrico), *astricum, *astricus (vgl. früh-
mlat. *astracus, *astricus ‚Estrichguß, Glatt-
strich‘) — die Formen astracu, astricu erscheinen
als lat. Wörter in den ahd. Glossen, z. B. Voca-
bularius Sti. Galli. Zum Nebeneinander der
Suffixe -acus und -icus vgl. mlat. monacus und
*monicus ‚Mönch‘ (ahd. munih; s. d.). Im Falle
einer Vorform astracus ist -ac- durch das ein-
heimische, Umlaut bewirkende Suffix -i(c)h,
-ik ersetzt worden.
Als Wort des Steinhausbaus haben römische
Siedler *astracum usw. mit der Sache über die
Alpen ins Rhein- und Donautal gebracht; in der
Bedeutung ‚Estrich‘ gilt es von den Alpen bis
zum Trierer Nordrand. Dem Md. fehlt es, eben-
so bei Luther. Auch in den Niederlanden ist es
nicht bodenständig (mndl. est[e]ric m. ‚Estrich-
[stein], Flur‘, nndl. estrik im Spätmittelalter
wohl aus dem Niederrhein.).
Ahd. Wb. III, 441 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 191; Starck-
Wells 134. 805; Graff I, 502; Schade 33; Köbler, Lat.-
germanist. Lex. 37; Lexer I, 712; Benecke I, 448; Die-
fenbach, Gl. lat.-germ. 417 (pavimentum); Dt. Wb.
III, 1172; Kluge²¹ 176; Kluge²² 190; Pfeifer, Et. Wb.
380; Kretschmer, Wortgeographie 134. 168; Heyne,
Dt. Hausaltertümer I, 78. 251 ff. — Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 128. 619; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. I, 134; Verdam, Mndl. handwb. 169;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 159; Vries, Ndls. et. wb.
162.
In der Sonderbedeutung ‚Söller, Dachraum‘ (vgl. nea-
politan. astreke, sizilian.-kalabres. ástracu, auch ober-
italien., z. B. mailänd. lastregh, astrich, lastrich ‚Dach-
stube‘ — l- beruht auf dem Artikel) ist das Wort über
die Rhone in die Schweiz und in den Trierer Raum ge-
langt: schweiz. ‚Pflasterguß, oberster Boden eines
Hauses‘, bad. ‚Speicher‘ (schwäb. nur ‚steinerner oder
gestampfter Fußboden‘), vorarlberg. ‚Dachboden‘,
bair. ‚Raum zwischen Boden und Dach‘, tirol. ‚Dach-
boden‘, trier. esserich ‚Kalk- oder Zementboden auf
dem Speicher, ein aus Sand und Kalk (Zement) ge-
machter fester Boden unter dem Dach‘; vgl. auch die
Bedeutung ‚Stubendecke‘ in der Gegend von Mainz (s.
Th. Frings, PBB 52 [1928], 423 ff.; ders., Germania
Romana I², 178 ff.; II, 101 ff.).
Schweiz. Id. I, 579; Ochs, Bad. Wb. I, 717; Fischer,
Schwäb. Wb. II, 886 f.; Jutz, Vorarlberg. Wb. I, 749;
Schmeller, Bayer. Wb.² I, 169; Schöpf, Tirol. Id. 110;
Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 151; Müller, Rhein. Wb.
II, 203.
Frühmlat. *astracus usw. geht seinerseits auf gr.
ὄστρακον n. ‚knöcherne, harte Schale von
Schnecken, Muscheln, Schildkröten usw.; irdene
Scherbe‘ zurück (zum Lautlichen s. u.). Daß
*astracus semantisch auf gr. ὄστρακον bezogen
werden konnte, zeigt der Bezug von mlat. pavi-
mentum testacium auf lat. testa ‚Scherbe‘ bei Isi-
dor, Etymologiae XV 8, 11 = XIX 10, 26 Ostra-
cus est pavimentum testaceum, eo quod fractis testis
calce admixto feriatur; testa enim Graece ὄστρα
(Var.: ὄστρακα) dicunt. Die Fülle von italien.
und span. Belegen (z. B. süditalien. astracu ‚pa-
vimento‘, friaul. lastri ‚Pflaster, Tenne mit Plat-
tenbelag oder aus Ton-Kuhmistmischung‘, en-
gad. aster ‚Fußboden im Hausgang aus Stein-
platten oder Gipsguß‘, nordspan. astrego ‚Diele,
Gang vom Haustor zum Innern‘) beweist, daß
die Estrichtechnik eine gemeinroman. Bautech-
nik der Römerzeit fortsetzt, die wegen der Her-
kunft des Wortes aus dem Griech. von griechi-
schen Technikern in Unteritalien ihren Aus-
gangspunkt genommen haben dürfte.
Zur Bedeutungsentwicklung zu ‚Herd‘ bei frz. âtre
(afrz., mfrz. astre, aistre < *astrum < *astracum) vgl.
die Bedeutung ‚Feuerstelle‘ des zu ahd. erin ‚Erdbo-
den, Fußboden, Estrich, Altar‘ gehörigen Wortes aisl.
arinn (→ erin).
In der Lautform frühmlat. *astracus usw. ist das
ursprl. anlautende o- begünstigt durch den
Nom. Akk. Pl. τὰ [ὄ]στρακα durch regressive
Assimilation zu a- geworden (J. Brüch, Zfrom.
Ph. 39 [1919], 210; Meyer-Lübke, Rom. et.
Wb.³ Nr. 6118); vgl. vulg.lat. *arganum für or-
ganum (Brugmann, Griech. Gram. § 56d) und
Isid. ostracus (s. o.). Da die Bezeichnung einer
einzelnen Scherbe kaum zur Bezeichnung des
Fußbodens geworden sein kann, hat den roman.
Wörtern wohl ein deverbales Subst. zugrunde-
gelegen. Zu gr. ὄστρακον ist ein Verb ostracare
‚mit Scherben herstellen‘ gebildet worden (vgl.
in mlat. Texten aus Unteritalien belegte Fügun-
gen wie 1059 casam ostracare), wovon ostracus
bei Isidor abgeleitet ist.
Anders F. Sofer, Glotta 18 (1929), 129 f.: ostracus bei
Isidor sei infolge des Untergangs des lat. Neutrums
unter die Maskulina eingereiht worden.
Wartburg, Frz. et. Wb. VII, 441 nimmt an, daß „von
dem auf der mehrzahl τὰ (ὄ)στρακα beruhenden
*astracare das subst. astracum [gebildet wurde]“. Da
ein Verb *astracare, das als Basis des Subst. astracum
in Frage käme, jedoch in dieser Form nicht nachweis-
bar ist — Wartburg, a. a. O. Anm. 9 nennt nur die in
Oberitalien bezeugten mlat. Wörter astregare, inastre-
gare (neben estragare) —, dürfte die oben gegebene
Herleitung des anlautenden a- in frühmlat. *astracus
vorzuziehen sein.
Weitere, weniger wahrscheinliche Erklärungen
der mlat. Vorform finden sich bei: Diez, Et.
Wb. d. rom. Spr.⁵ 244 (italien. lastricare ‚mit
Platten oder Steinen belegen, pflastern‘ [woraus
italien. lástrico ‚Pflaster‘ und nach abgeworfe-
nem für den Artikel gehaltenen l mundartl.
ástrico, woraus dt. estrich] aus plastrum); Mak-
kel, Germ. Elemente 68 f. (*astricus eher von gr.
ἔμπλαστρον als von lat. ātrium, āter, astrum, as-
ser); Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 994 (als Mög-
lichkeit: zu lat. astricus ‚zu den Sternen gehörig‘
vom sternförmigen Steinpflaster; so Wackerna-
gel brieflich). — Thes. ling. lat. IX, 2, 1158; Boi-
sacq, Dict. ét. gr.⁴ 724; Frisk, Gr. et. Wb. II,
437 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 833; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 471.