fledarmûs
Band III, Spalte 358
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fledarmûs f. i-St., nur in Gl. seit dem 9./
10. Jh.; auch fledar(e)mûstra f. n-St., fledar-
(e)mûstro
m. n-St., nur in Gl. seit dem 8./
9. Jh.: Fledermaus, vespertilio, Motte, Nacht-
falter, blatta
(zu dieser Bed. vgl. Neuß, Stud.
z. d. ahd. Tierbez. 85 f.) Var.: v-, u-; -th-; -er-,
-ir-, -or-, -ro-, -re-; -mus, -ms, -mvs, -mos,
-muß, -maus (14./15. Jh.). Mhd. vledermûs
st.f. dss., nhd. Fledermaus f. (mdartl. auch mit
der Bed. Nachtfalter oder Schmetterling).

Ahd. Wb. III, 943 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 241. 647;
Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 298 f.; Starck-Wells 162. XL.
810; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 197 ff.; See-
bold, ChWdW8 129; Graff III, 873; Schade 204; Le-
xer III, 391; Benecke II, 1, 277 f.; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 76 (blatta). 615 (vespertilio); Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 75 (blatta). 705 (vespertilio); Dt. Wb.
III, 1745 f.; Kluge²¹ 203 f.; Kluge²⁴ 299 f.; Pfeifer, Et.
Wb.² 353. Ochs, Bad. Wb. II, 172; Fischer, Schwäb.
Wb. II, 1554 f.; Müller, Rhein. Wb. II, 585 ff.; IV,
602 (Karte); Christmann, Pfälz. Wb. II, 1438 f.; Mau-
rer-Mulch, Südhess. Wb. II, 786 f. Palander, Ahd.
Tiernamen 22 ff.; Neuß, a. a. O. 84 ff.

Die ältesten Belege sind fledar(e)mûstra, -mû-
stro, aber schon Ende des 9. und Anfang des
10. Jh.s beginnt fledarmûs damit zu konkurrie-
ren, eine Form, die sich endgültig durchsetzt
und in anderen westgerm. Sprachen Entspre-
chungen hat: mndd. vlēdermūs, vleddermūs;
mndl. vledarmuus, vleer-, vleremuus, nndl. vle-
(d)ermuis; nostfries. fleddermūs. Aus dem Mndd.
entlehnt ist nschwed. flädermus, dial. auch nach
dem Verb fladdra zu fladdermus, ndän. nach
flagre zu flag(g)ermus umgebildet; auch ält. ne.
flittermouse ist eine Umbildung nach flitter von
nhd. Fledermaus oder nndl. vle(d)ermuis (im Ae.
hieß die Fledermaus hrēaðemūs, rodamûs,
und hrēremūs zu ae. hrēran rühren, bewegen,
ruoren; also beides mit der Bed. rührige
Maus
.

Fick III (Germ.)⁴ 251 (fleþrôn, flaþrôn); Lasch-Borch-
ling, Mndd. Handwb. I, 1, 740; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. V, 268; Verdam, Mndl. handwb. 718;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 747; Vries, Ndls. et. wb.
789; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 504;
Holthausen, Ae. et. Wb. 172 (hréaðe-mūs). 175
(hrœ̄re-mūs); Bosworth-Toller, AS Dict. 557 (hréaðe-
mûs). 559 (hrêre-mûs); OED² V, 1067 (flittermouse);
Oxf. Dict. of Engl. Et. 363 (flitter); Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 232 (flaggermus); Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 225 (flädermus). Schrader, Reallex. d. idg.
Alt.² I, 327.

Der zweite Bestandteil von ahd. fledarmûs ist
ahd. mûs Maus (s. d.); mûstra, -tro ist eine mit
-t(e)ra-Suffix erweiterte Form von mûs, die ein
Tier, das der Maus ähnelt
bedeutet (vgl. aind.
avatará- m. Maultier, npers. astar Maulesel
[eigtl. pferdeähnliches Tier], lat. matertera
Tante; mûstro).

Verfehlt war R. Koegels (IF 4 [1894], 319 f.) Verknüp-
fung des zweiten Elements mit gr. μυῖα, lat. musca, lit.
mus Fliege; vgl. F. Kluge, PBB 43 (1917), 146;
W. Krogmann, IF 50 (1932), 281 f.

Der erste Bestandteil ist etwas problematisch.
Zweifellos hängt er mit dem mhd. Verb vlede-
r(e)n, mndl. vlederen flattern zusammen (in
der nhd. Schriftsprache nur noch in zerfledern
und Flederwisch [das ursprl. mhd. vederwisch
hieß und an vleder(e)n angelehnt wurde] erhal-
ten, aber mdartl. als Verb noch [selten] vorkom-
mend; vgl. Fischer, Schwäb. Wb. II, 1554: flede-
ren mit Flügeln schlagen, lustig tanzen; Müller,
Rhein. Wb. II, 584 f.: fledern flattern, schnell
laufen, daß die Rockschöße fliegen, herumlau-
fen
). Da die meisten Verben mit r-Suffix zur
zweiten sw. Konj. gehören (vgl. Wilmanns, Dt.
Gr. II § 70 ff.) und das spätahd. Glossenwort
fledirônti discinctus trotz des Bed.unterschiedes
(losgegürtet = in ein locker fallendes Gewand
gekleidet[?]
[Ahd. Wb. III, 945]) zum selben
Verb gehören muß, darf man ein ahd. Verb *fle-
dirôn ansetzen. Zss. mit ēn- und ōn-Verben wa-
ren aber im älteren Ahd. sehr selten (vgl. Wil-
manns, a. a. O. II § 402, 1; Gröger, Ahd. u. as.
Komp.fuge § 114. 120); also ist das erste Ele-
ment kaum mit *fledirôn identisch. Ahd. *fledi-
rôn war wohl ein denominatives Verb (vgl. Wil-
manns, a. a. O. II § 70; Gröger, a. a. O. § 120) zu
*fledar, einem mit r-Suffix gebildeten Adj. oder
Nomen (vgl. Wilmanns, a. a. O. § 215 ff. 322)
zur Verbalwz. *fled- in ahd. *fledn (nur part.
präs. nom. pl.m. fledenta fluentes Gl. 2, 690, 73
[12. Jh.]) lose herabhängen, herabwallen (von
einem Gewand), fluere
(Ahd. Wb. III, 944; vgl.
Raven, Schw. Verben d. Ahd. I, 293) belegt ist.
Das Verb *fledn müßte also flattern, wallen,
ein Adj. *fledar flatternd, wallend (vgl. ahd.
bittar bitter, eigtl. beißend zu germ. *bītan-
beißen), ein Nomen *fledar(a) (etwas) Flat-
terndes, Wallendes
(vgl. ahd. fedara Feder zur
idg. Wz. *pet- fliegen) bedeuten.

Als erstes Element von fledarmûs kommt ein
Adj. *fledar kaum in Frage, denn Zss. von Adj.
+ Nomen waren im Germ. außerordentlich sel-
ten (vgl. Wilmanns, a. a. O. II § 400 f.), außer-
dem gibt es keine Spur eines solchen Adj. im
Ahd. oder Mhd. Dagegen erscheint ein mhd.
Nomen vleder m. Fähnlein des Banners, d. h.
ein langes, flatterndes Band (vgl. ne. pennon
Flügel, Fittich, Fähnlein, zu lat. penna Flü-
gel
), auch ein mhd. Adj. vlederîn gefedert, ge-
kräuselt
, das eine Ableitung von einem Nom.
vleder mit dem Adj.suffix -īn sein muß. Ahd.
fledarmûs ist also wohl eine Nominalzss. aus fle-
dar m. + mûs f.: eine Maus mit flatternden Flü-
geln
(vgl. ähnl. Zss. wie ahd. fuotareidi Nähr-
mutter, Amme
).

Problematisch sind auch die Fugenvokale in fleda-
remûstra, -tro, denn nach langen oder mehrsilbigen
Stämmen schwindet normalerweise der Fugenvokal
(vgl. Gröger, a. a. O. § 1). Da diese Formen in obd.,
meistens sehr frühen Hss. erscheinen, kann es sich um
einen Gleitlaut zwischen r und m handeln wie in obd.
waram, wurum usw. (vgl. Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 69b).
Daß solche Gleitlaute auch in der Fuge vorkommen,
zeigt Gröger, a. a. O. § 15.

Ahd. fledar-, *fledn, *fledirôn, mhd. vleder,
vleder(e)n, vlederîn usw. setzen urgerm. *fleþ-,
vorurgerm. *plet- voraus. Der gewöhnliche Ver-
gleich mit lit. plazdti (< *plad-d-) flattern,
pulsieren usw.
, lett. plezdinât schwingen, refl.
-tiês mit den Flügeln schlagen, flattern, pledi-
nât, plidinât (Flügel) bewegen, refl. -tiês flat-
tern usw.
, pledins Schmetterling scheitert an
dem auslautenden Dental der Wz. (balt. *pled-,
germ. *plet-). Wenn die Wz. *pled- eine Erwei-
terung der Wz. *pel- fließen, schwimmen, flie-
gen, flattern
( fîfaltar) ist, wie meistens ange-
nommen wird (vgl. Pokorny 800 f.; E. Fraenkel,
Boisacq-Festschrift I, 357 ff.), müßte man, um
die germ. Wörter mit den balt. zu verknüpfen,
eine zweite Erweiterung *plet- annehmen, die
aber sonst nicht belegt ist.

Daß urgerm. *fleþarō unter dem Einfluß von *flew-
an- fliegen neben *feþarō Feder entstanden sei
(Franck, a. a. O. 748 s. v. vlerk), kann wegen ahd. *fle-
dn nicht stimmen.

Lexer III, 390 f. Walde-Pokorny II, 52; Pokorny
800 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 610; Mühlenbach-End-
zelin, Lett.-dt. Wb. III, 333. 338. 343.

Ob nhd. flattern zu dieser Sippe gehört oder nicht, ist
umstritten; vgl. Kluge²¹ 202; Kluge²⁴ 299; Pfeifer, Et.
Wb.² 351; Franck, a. a. O. 164. Zur Problematik der
mit fl- anlautenden germ. Wörter wie nhd. flattern, ne.
flutter, flitter, flatter, aisl. flaðra usw., die z. T. lautma-
lenden Ursprungs sein können, vgl. A. Liberman, GL
30 (1990), 81 ff. und flitarazzen.

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