fuolen
Volume III, Column 634
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fuolenAWB sw. v. I, nur bei Otfrid und in Gl.,
zuerst um 800: fühlen, empfinden, berühren,
streicheln, schmeicheln, palpare, pungere, sen-
tire
Var.: Gl. 1, 224, 24 R -o-; -ua-, -ue-;
3.sg.prät. usw. Otfrid fualta; Gl. 1, 287, 31
part.prät. kifualit. Mhd. vüelen sw. v. füh-
len, wahrnehmen, empfinden, sentire
, nhd.
fühlen. In den obd. Dialekten findet mhd. vüe-
len keine Fortsetzung. An die Stelle von Lu-
thers fülen treten hier die Verben empfinden,
spüren, merken, greifen, wissen, verstehen. Li-
terarisch wird aber das Verb von Henisch
(Augsburg 1616) wieder in das Obd. einge-
führt. Heute ist empfinden vorwiegend im
Bair.-Österr. im Gebrauch, während im
Schwäb.-Alem. die Verben spüren und merken
verwendet werden. Die ärztliche Formel den
Puls fühlen ist als Ganzes in Süddeutschland
übernommen worden; vgl. auch ält. frühnhd.
(16. Jh.) fühlung Berührung.

Ahd. Wb. III, 1341 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 174; Köbler,
Wb d. ahd. Spr. 339; Schützeichel⁵ 143; Starck-Wells
183; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 332; Graff
III, 476 f.; Raven, Schw. Verben d. Ahd. I, 48; Schade
232; Lexer III, 557; Benecke III, 434; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 407 (palpare [palpitare]); Götz, Lat.-ahd.-
nhd. Wb. 461 (palpare). 603 (sentire); Dt. Wb. IV, 1,
1, 405 ff.; Kluge²¹ 223; Kluge²⁴ 320; Pfeifer, Et. Wb.²
382. J. Grimm, ZfdA. 6 (1848), 7; Kretschmer,
Wortgeographie 210 f.; Bahder, Wortwahl in d.
frühnhd. Schriftsprache 8 f.; Riecke, Schw. jan-Verben
d. Ahd. 657 f.

Das Verb hat nur im Westgerm. Entsprechun-
gen: as. nur Präfixverb gifōlian fühlen, wahr-
nehmen, bemerken
, mndd. vüelen betasten,
berühren, untersuchen, befühlen, mit Händen
greifen, wahrnehmen, spüren
(woraus ndän.
føle), nndd. fȫlen, fäulen, foilen; mndl. voelen,
nndl. voelen fühlen, betasten, spüren, empfin-
den
(vgl. auch nndl. voeling); afries. fēla,
mfries. (Japicx) fielen, nostfries. fōlen fühlen,
tasten, greifen, vernehmen, empfinden
; ae. fǣ-
lan, me. fēlen, ne. feel fühlen, merken (vgl.
auch ne. feeling): < urgerm. *fōlijan-.

Mit anderer Ablautstufe stellt man aisl. falma
tappen, tasten, fühlen, nisl. fálma (vgl. nnorw.
dial. fjolma, fjåm[e], fæma greifen) hierher
(E. Lidén, BB 21 [1896], 95 Anm. 5; H. Falk,
Unger-Festschrift 210).

Gehört aisl. falma tatsächlich zu ahd. fuolen ist die
Verbindung des aisl. Verbs mit got. usfilma erschrok-
ken, entsetzt
(nur nom. pl.m. usfilmans waurþan sie
entsetzten sich, ἐξεπλήσσοντο
), usfilmei f. Entsetzen,
ἔκστασις
und weiterhin mit aisl. felmsfullr erschrok-
ken
, felmtr m. Schrecken, felmta erschrocken sein
aufzugeben. Denn wegen des i-Vokals in got. usfilma
muß man hier wohl eine dem e/o-Ablaut folgende Wz.
voraussetzen. Als Anschlußmöglichkeit für das in aisl.
felms- vorliegende Subst. urgerm. *felma- kommt gr.
πελεμίζω schwinge, erschüttere in Betracht, eine
denominale Ableitung auf -ίζω von einem unbekann-
ten Nomen
*πέλεμα (Frisk, Gr. et. Wb. II, 497), wo-
durch sich ein Wurzelansatz *pelǝ- [**pelH₁] jmdn.,
etwas erschüttern
(?) und eine vorurgr. Vorform *pe-
lǝm- [**pelHm-] ergäben. Gr. πάλλω (s. u.) < *p-
e/o- wäre dann nicht ohne weiteres anschließbar.

Fick III (Germ.)⁴ 236; Holthausen, As. Wb. 21; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 139; Berr, Et. Gl. to Hel. 128; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 765; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. V, 298; Schambach, Wb. d. ndd.
Mda. 274; Verdam, Mndl. handwb. 724; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 753; Vries, Ndls. et. wb. 796; Holt-
hausen, Afries. Wb.² 25; Richthofen, Afries. Wb. 731;
Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 532 f.;
Epkema, Wb. Japicx 112; Holthausen, Ae. et. Wb.
111; Bosworth-Toller, AS Dict. 274; ME Dict. E-F,
468 ff.; OED² V, 804 ff.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 349;
Vries, Anord. et. Wb.² 110. 117; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 555; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I, 374;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 55; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 290 f.; Ordb. o. d. danske sprog VI,
392 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 143; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 530; Lehmann, Gothic Et. Dict. U-49.

Die Herkunft des Verbs fühlen gilt als nicht si-
cher bestimmbar. Eine Anschlußmöglichkeit
sieht W. Wüst (Annales Academiae Scientiarum
Fennicae Ser. B 93, 1 [1956], 73; s. auch B. Jē-
gers, Zfvgl. Spr. 80 [1965], 140) in: gr. (seit der
Odyssee) ψηλαφάω (be-)taste, streichele, tappe
herum, untersuche
und weiterhin in gr. ψάλλω
schnelle, zupfe eine Saite, auch eine Bogen-
sehne mit den Fingern (und nicht mit dem Plek-
tron)
(ion.-att.), singe, lobsinge zur Harfe
(hellenist., Neues Testament), ψαλμός Schnel-
len, Zupfen der Bogensehne, der Saiten, Saiten-
spiel
, ψάλτης m. Spieler eines Saiteninstru-
ments, Lauten-, Harfenspieler
(hellenist.).
Doch wird gr. ψάλλω wegen seiner Lautgestalt
mit Verben wie πάλλω schwinge, schüttele (Lo-
se), lose
, σκάλλω hacke, scharre (σφάλλω
bringe zu Fall, richte zugrunde, täusche) in
Zusammenhang gebracht, alles möglicherweise
gr. Neuschöpfungen; und ψηλαφάω wird als
eine Zusammensetzung des zu ψάλλω gehörigen
Aorists ψῆλαι mit ἁφάω betaste, untersuche,
dem Intensiv von ἅπτω hafte, knüpfe an, zünde
an
, aufgefaßt (vgl. die Reimbildungen ι 416 ψη-
λαφόων : θ 196 ἀμφ-αφόων; s. Bechtel, Lexilo-
gus 336).

Sollte aber das anlautende ψ- in gr. ψάλλω auf
einer Kontamination mit ψαύω berühre, streife
beruhen (Tichy, Onomat. Verbalbildungen 155
Anm. 228) und somit wie für gr. πάλλω (s. o.)
eine Vorform *pe/o- vorausgehen, könnte eine
uridg. Wz. *pal- zupfen, berühren zugrunde-
gelegen haben, wie sie mit gebrochener Redu-
plikation
auch für lat. palpārī [palpor, -ātus
sum] streicheln, schmeicheln, palpitāre zuk-
ken
, palpebra Augenlid (im Roman. auch pal-
petra; s. G. Gröber, Arch. f. lat. Lex. 4 [1887],
427) annehmbar ist (zu dieser Verbindung vgl.
bereits A. Fick, Zfvgl. Spr. 10 [1870], 263). Vor-
urgerm. *pōe/o- berühren, tätscheln wäre
dann eine Intensiv/Iterativ-Bildung zu einer
Wz. *pal-, deren a-Vokalismus sich aus der
Fortsetzung von redupliziertem *pepol- (mit ite-
rativer Funktion) erklärt; vgl. got. goljan grü-
ßen
neben ahd. galan singen (s. d.); zum Ab-
laut vgl. auch urgerm. *fōrijan- neben *faran-
(mit *ō : *a < vorurgerm. *ō : *o); fuoren,
faran (s. Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. III,
246 f.). Demgegenüber läge in aisl. falma eine
denominale Ableitung von einem urgerm. *fal-
ma- Tappen vor; zum Ableitungsverhältnis vgl.
got. dwalmon rasen, eine Ableitung von der
Vorform von ahd. twalm Betäubung (zu weite-
ren derartigen Ableitungen mit einem Suffix ur-
germ. *-ma- wie auch ahd. swarm Schwarm
[s. d.] vgl. Krahe-Meid, a. a. O. III, 125).

Semantisch weniger überzeugend ist die Verbindung
des Verbs fühlen mit gr. παλαίω ringe, bestehe den
Ringkampf
(Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 740 f.), ein Verb,
dessen Beurteilung zudem durch die etymol. Unklar-
heit und Mehrdeutigkeit erschwert
wird (Frisk,
a. a. O. II, 465 f.).

Erwogen wird weiterhin Verwandtschaft mit lat.
pollex Daumen, große Zehe, pollēre stark
sein, vermögen
, aruss. palьcь Daumen, russ.
pálec Finger, Zehe, wobei man von einer uridg.
Wz. *pl- geschwollen, dick, groß (sein) aus-
geht. Doch bereitet die Annahme einer Bedeu-
tungsentwicklung von stark sein über mit dem
Daumen betasten
(Pokorny 840 f.) zu tappen,
tätscheln
Schwierigkeiten. Nach einer anderen
Auffassung hat aruss. palьcь usw. ursprl. der
Tastende
und das Verb fühlen so tasten be-
deutet, Bedeutungen, die bei den zum Vergleich
herangezogenen Verben npers. pālidan suchen,
spüren
, bulg. pálam suche durchschimmern
würden (St. Mladenov, IF 35 [1915], 134 f.).
Die Verbindung von aruss. palьcь usw. mit lat.
pollex liegt aber aus Bedeutungsgründen näher
(zur weiteren Literatur vgl. Vasmer, Russ. et.
Wb. II, 305, der jedoch urslaw. *palъ sowohl
zu lat. pollex als auch zu npers. pālidan stellt).

Eine Grundbedeutung mit der Hand bewegen und
damit eine Verbindung mit gr. παλάμη Hand, lat.
palma dss., air. lám dss., ahd. folma dss. (A. Bez-
zenberger, BB 16 [1890], 120; P. Kretschmer, Zfvgl.
Spr. 31 [1892], 398) kommt für das Verb fühlen aus
semantischen Gründen ebenfalls nicht in Frage; denn
hier bildet eine uridg. Wz. *pelǝ- [**pelH₂-] breit
sein
die Basis ( folma).

Fern bleibt auch aind. ā-sphālayati schlägt, peitscht,
läßt anprallen
(anders St. Mladenov, a. a. O.); aller
Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich hierbei um
eine erst innerind. Bildung, die auf der Basis von aind.
sphuráti schnellt, tritt, stößt (weg), schleudert, fun-
kelt, blinkt
entstanden sein kann (vgl. heth. i-pár-ra-
at-ti du trittst nieder [mit den Füßen], lat. spernō
stoße zurück, verachte, alles Ableitungen von einer
uridg. Wz. *sperǝ- [**sperH₁-]; sporo).

Walde-Pokorny II, 6 f.; Pokorny 801. 840 f.; Fick I
(Idg.)⁴ 148. 573; Mann, IE Comp. Dict. 904 (jedoch
zu lat. pālor, -ārī schweife umher, zerstreue mich);
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. III, 542; ders., Et.
Wb. d. Altindoar. II, 776; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 740 f.
1073 f.; Frisk, a. a. O. II, 1129. 1133 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 852; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II,
240 ff.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 477.

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