gart¹
Volume IV, Column 87
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gart¹ m. a-St., seit dem 9. Jh. in Gl. und
bei Npg: Stachel, Treibstecken, Stachelstock,
Spitze; aculeus, sceptrum, spiculum, stimulus

Var.: c-, garat. Die Schreibung garat (Diut.
3, 405) mit anaptyktischem Vokal ist einer der
wenigen Fälle, bei denen sich in der Gruppe r
+ Dental ein Sproßvokal findet. Mhd. gart
st. m. Stachel, Treibstock, frühnhd. gart m.
Stachel, Treibstock.

Ahd. Wb. 4, 119; Splett, Ahd. Wb. 1, 289; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 358; Schützeichel⁶ 130; Starck-Wells 192;
Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 403 f.; Graff 4, 255;
Lexer 1, 740; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 11 (aculeus).
623 (spiculum). 628 (stimulus); Dt. Wb. 5, 1381 f.
3741 ff. (s. v. Gerte); Kluge²¹ 251; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer,
Et. Wb.² 434. Braune-Reiffenstein 2004: § 69 Anm. 4;
Grimm [1819 ff.] 1999: 1, 581.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. -gard (in PN) Gerte, mndd. gart f. Gerte,
Rute, Zweig
; mndl. gaert Stachel, Spitze,
nndl. dial. gard; aisl. gaddr m. Stachel, Spit-
ze
(entlehnt in me. gad[d], ne. gad Stachel,
Rute
), nisl. gaddur, nnorw. gadd, aschwed.
gadder, nschwed. gadd, adän. gad, ndän. dial.
gad, gaj; got. gazds m. Stachel: < urgerm.
*azđa-. Wegen der unterschiedlichen Bedeu-
tung ist unklar, ob afrz. jart rauhes Haar in
der Wolle
(nfrz. jarre, jars Sommerhaar im
Biberpelz
) aus westfrk. *gard entlehnt ist
(vgl. Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3683a;
Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 16 ff.).

Zum danebenstehenden ja-St. vgl. gerta Ru-
te, Zweig
.

Nicht zughörig ist ae. gād Stachel, Spitze (so etwa
Ahd. Wb. a. a. O.), das mit langob. gaida Speer < ur-
germ. *ađō- stammt.

Fick 3 (Germ.)⁴ 133; Holthausen, As. Wb. 24; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 181. 240; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 22; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 15;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 892 f.; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 175; Vries, Ndls. et. wb. 183 f.; Et. wb. Ndl.
F-Ka 169 f.; ME Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries, Anord. et.
Wb.² 151; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 295; Fritzner, Ordb.
o. d. g. norske sprog 1, 536; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 78; Nielsen, Dansk et. ordb. 150; Ordb. o.
d. danske sprog 6, 584 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 144;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 265; Svenska akad. ordb.
s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 213; Lehmann, Gothic
Et. Dict. G-84. Björkman [190002] 1973: 168 f.

Der Vorform *ghazdho- der germ. Wörter ent-
spricht bis auf das Genus mir. gat f. Weiden-
rute, zusammengedrehter Zweig
, nir. gad (<
vorurkelt. *ghazdheh₂-), von dem das Verb air.
tris.gata, nir. tregtaid durchbohren abgeleitet
ist. Wohl hiermit verwandt ist lat. hasta Stan-
ge, Stab, Schaft, Wurfspieß, Speer
, wozu
auch umbr. hostatu schwer bewaffnet oder
unter Waffen stehend (vgl. lat. hastātus mit
der Lanze bewaffnet
), anhostatu leicht be-
waffnet
oder nicht unter Waffen stehend
gehören. Das -o- (= [å]) müßte dann aus -a-
im Kompositum geschwächt und auf das
Simplex übertragen sein (zur Schwächung von
nebentonigem -a- vgl. das Nebeneinander von
prestota und prestate Beschützerin < *pra-
sta-t- die sich [schützend] davor stellt; Mei-
ser 1986: 270 f.; Untermann, Wb. d. Osk.-
Umbr. 574). Für lat. hasta kommt jedoch nicht
nur eine Vorform uridg. *ghazdheh₂- in Frage
*-zdh- müßte dabei über -sþ- zu -st- gewor-
den sein (Schrijver 1991: 134: uridg. *ghas-
dheh₂), sondern auch *ghasteh₂-; in diesem
Fall wäre lat. hasta mit mir. gass, nir. gas
Schoß, Sproß, Reiß zu verbinden.

Mit ahd. gart¹ wurden einige semantisch nahestehen-
de slaw. Wörter verbunden (vgl. P. J. Cosijn, TNTL 13
[1894], 19 f.; C. C. Uhlenbeck, PBB 19 [1894], 519 f.;
ders., PBB 26 [1901], 298; unentschieden Stender-
Petersen [1927] 1974: 367 f.): aksl. rьdь Stange,
nruss. erd’ lange, dünne Stange (woraus finn. hirsi
Balken, estn. hir Zaunstange entlehnt sind), ukrain.
érdka, wruss. erdź, bulg. dial. ert’, slowen. d,
tschech. erd’, slowak. rd’, poln. zerdź, osorb. erdź,
ndsorb. erź < urslaw. *ьrdь lange Stange. Diese
Verbindung ist jedoch kaum wahrscheinlich, da entwe-
der ahd. gart¹ mit *-r- von got. gazds mit *-z- oder ahd.
gerta Gerte, Rute (s. d.) mit *-r- von ahd. gart¹ mit
*-z- getrennt werden müßte. Die slaw. Wortgruppe ge-
hört vielmehr zu lit. gardìs Gatter, Gitter (vgl. Schu-
ster-ewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 1789).

Die weiterhin zu ahd. gart¹ gestellten slaw. Wörter (so
C. C. Uhlenbeck, PBB 30 [1905], 283; Meillet 190205:
261 f.; unentschieden H. Osthoff, ZVSp 23 [1877], 87 f.)
aksl. gvozdь, nruss. gvozd’ Nagel, ukrain. hvizd’,
wruss. hvozd, bulg. gózdij, serbo-kroat. gvözd, tschech.
hvozděj, slowak. hvozd, poln. gwóźdź, osorb. hózdź,
ndsorb. gózdź < urslaw. *gozdь bleiben wegen des
abweichenden Anlauts ebenfalls fern (idg. Anlautsva-
rianten mit und ohne * sind nur vereinzelt nachweisbar;
vgl. uridg. *ses neben *ses sechs); sie schließen
sich an ahd. questa Schurz aus Laub (s. d.) an (vgl.
Schuster-ewc, a. a. O. 337; daher ist auch die Herlei-
tung der slaw. Wörter durch Grienberger 1900: 97 aus
germ. *azđa- unzutreffend).

Walde-Pokorny 1, 541; Pokorny 412 f.; Untermann,
Wb. d. Osk.-Umbr. 336 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
1, 636; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 290; Thes. ling. lat.
6, 2550 ff.; Du Cange² 4, 173; Berneker, Slav. et. Wb. 1,
366; Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 263. 419; Fick 2 (Kelt.)⁴
108; Dict. of Irish G-48; T-290. A. Walde, ZVSp 34
(1897), 488 ff.; Pedersen [190913] 1976: 1, 88; Thurn-
eysen 1980: 134; R. Thurneysen, ZVSp 63 (1936),
114 f.; K.-H. Schmidt, in Meid 1987: 274; Lühr 2000:
70.

S. auch gartôn, gerta.

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