gidwden sw. v.(?), gidwdan st. v.(?) ‚über-
treiben, exaggere(?), exaggerare‘(?), nur im Ab-
rogans Gl. 1, 120, 35 in den Formen 3. sg. präs.
Pa caduadic (mit Verschreibung von t zu c), K
kithuuathit, Ra kituuahtit ‚exaggerat‘.
Ahd. Wb. II, 2 (githuuedden mit Fragezeichen und
Verweis); Starck-Wells 113 (dwāden). 801. 841 (gi-
dwedden); Graff V, 268; Schade 120; Raven, Schw.
Verben d. Ahd. 34 (dwaden).
Die Bedeutung von exaggerāre bestimmt Nier-
meyer, Med. Lat. Lexicon 385 als ‚aufschrecken,
erbittern‘. exaggerāre hat jedoch sonst die Be-
deutungen ‚aufhäufen, aufschütten; vermehren,
übertreiben‘; Bedeutungen wie ‚erbittern‘ finden
sich dagegen bei lat. exacerbāre, exacuere (Geor-
ges, Ausführl. lat.-dt. Handwb. I, 2500.
2502 ff.). Hat lat. exaggerat tatsächlich die Be-
deutung ‚erbittert‘, so liegt ein Bezug auf die
Adjektive lat. ācer oder acerbus, die ‚bitter‘ be-
deuten können, vor.
Die etymologisch ungeklärten Verbformen ca-
duadic, kithuuathit, kituuahtit, die sowohl ein
kurzes als auch ein langes stammhaftes ā ent-
halten können, lassen sich nicht auf der Grund-
lage einer Bedeutung wie ‚erbittern‘ deuten. Un-
ter Hinweis auf ahd. gidwedi ‚willfährig, mode-
stus‘ (Gl. 3, 3, 40), mhd. getwede ‚verständig‘, ge-
twedic ‚willfährig, gnädig‘ erwägt Splett, Abro-
gans-Studien 186 f. zweifelnd, ob exaggerat vom
folgenden explorat übersetzt sein kann, das der
ahd. Glossator direkt auf plorare ‚weinen, fle-
hen‘ bezogen hat; vgl. Gl. 1, 120, 36 Pa arpitit, K
irpitit, Ra arpitit. Damit ergäbe sich ein Verb
gidwedden ‚durch Flehen erweichen, willfährig
machen‘.
Geht man jedoch von der Bedeutung ‚übertrei-
ben‘ von exaggerat aus, so ist für die Lesarten in
Pa und K, die nicht nur auf ein sw. Verb, son-
dern auch auf auf ein st. Verb (gidwadan) wei-
sen könnten, ein Anschluß an got. gaþwastjan
‚befestigen‘, eine Ableitung von *þwasta- ‚fest‘,
möglich (vgl. auch got. þwastiþa f. ‚Sicherheit‘).
Während das ahd. Verb mit der Fortsetzung des
Präsensstamm bildenden Suffixes *-te/ to- ver-
sehen wäre (urgerm. *þwa-þan-), wäre im Got.
an die „offene“ Wz. urgerm. *þwa- ein st-Suffix
angetreten; vgl. ahd. trôst (s. d.), ne. trust (Kra-
he-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 128. 189).
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 207. 507. F. Mezger,
Zfvgl.Spr. 70 (1952), 153 vergleicht mit got. þwastiþa
weiterhin aind. tavásā ‚mit Kraft‘, das mit anderer
Wz.-Struktur ebenfalls zu der Wz. einiger griech.
Wörter gehört (s. u.), und verweist auf Abstraktbildun-
gen wie aksl. dobrostъ ‚Güte‘, heth. dalugasti- ‚Länge‘,
eine etymologische Deutung, die Lehmann, Gothic Et.
Dict. þ-66 wegen fehlender Verwandten im Germ. für
„highly uncertain“ hält. Grienbergers (Unters. z. got.
Wortkunde 220) Verbindung von got. þwastiþa mit
aisl. poet. þverst n. ‚mageres Walfleisch‘, nisl. þve(r)-
sti, fär. tvøst (vgl. shetl. twest ‚mageres Fleisch‘) ist
problematisch, weil bei diesem Anschluß das r keine
Erklärung findet (Vries, Anord. et. Wb.² 629).
Kann urgerm. *þwaþa- weiterhin an die in gr.
att. σῶς, ep. poet. σάος ‚heil, gesund, unver-
sehrt‘ < *tu̯ǝ-u̯o- vorliegende Wz. uridg. *tu̯ō-,
*tu̯ǝ- ‚stark sein‘ (in σωρός m. ‚Haufen, Getrei-
dehaufen‘; σῶμα n. ‚lebendiger oder toter Kör-
per, Leib‘?) angeschlossen werden, so hat sich
bei vorurgerm. *tu̯ǝte- ‚stark sein‘ eine Bedeu-
tungsentwicklung von ‚sich brüsten‘ zu ‚über-
treiben‘ vollzogen.
Ist jedoch die Lesart Ra kituuahtit die richtige
und als Bedeutung ‚übertreiben‘ anzunehmen,
so ist allenfalls ein Anschluß an die in gr. att.
σάττω, ion. σάσσω ‚vollstopfen, festdrücken,
bepacken, beladen, ausrüsten‘ (< *tu̯aki̯ō) vor-
liegende Wz. *tu̯ak- ‚fest umschließen, zusam-
menschnüren, fest hineinstopfen‘ zu erwägen,
sofern aus einer Bedeutung wie ‚vollstopfen‘ im
übertragenen Sinn die Bedeutung ‚übertreiben‘
hervorgehen kann; zum Präsensstamm bilden-
den Suffix *-te/ to- bei einer auf Velar auslau-
tenden Wz. vgl. ahd. fehtan, flehtan (s. d. d.).
Pokorny 1080. 1098; Walde-Pokorny I, 706. 746;
Frisk, Gr. et. Wb. II, 681. 844.