gleifen sw. v. I, nur in Gl. (1. Beleg aus
der 2. Hälfte des 9. Jh.s) und nur als
Part.Prät.Pass.: ‚schräg; obliquus‘ 〈Var.:
Verschreibungen gilesitǒ, gigleist-, gisleist-,
gileist-〉. — Mhd. gleifen ‚schräg sein, hin-
und herirren‘, frühnhd. gleifen sw. v. ‚ab-
schrägen‘, nhd. mdartl.: schwäb. gleifen ‚mit
einer Schräge versehen‘, hess. gleifen sw. v.
‚eine Wand abschrägen‘, übertragen aus ‚ei-
nen Winkel bilden‘, osächs. gleifen ‚die Bei-
ne spreizen‘, schles. gleifen sw. v. ‚spreizen‘,
zergleifen ‚die Beine spreizen, sich dehnen,
sich geziert benehmen‘.
Ahd. Wb. 4, 303; Splett, Ahd. Wb. 1, 309; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 479; Schützeichel⁶ 135; Starck-Wells
231; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 472 f.; Graff
4, 293; Raven 1963—67: 1, 58; Riecke 1996: 430; Le-
xer 1, 1031; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 439 (obliquus);
Dt. Wb. 7, 8283 f. — Fischer, Schwäb. Wb. 3, 689;
Maurer-Mulch, Südhess. Wb. 2, 1387; Müller-Frau-
reuth, Wb. d. obersächs. Mdaa. 1, 425; Mitzka,
Schles. Wb. 1, 428; 3, 1532.
Ahd. gleifen ist entweder ein denominatives
Verb zu adj. gleif (s. d.) oder vom erst mhd.
belegten st. v. I glîfen ‚schräg, abschüssig
sein‘ < westgerm. *glei̯pe/a- gebildet. Vom
st. Verb glîfen sind mhd. glipfen ‚gleiten‘,
nhd. glipfen ‚gleiten, ausgleiten‘ abgeleitet,
die in mndd., nndd. glippen ‚gleiten, entglei-
ten‘, nfries. glippe ‚auf einer Schräge glei-
ten‘, ndän. glippe ‚mit den Augen blinzeln‘ <
urgerm. *lippō-/ii̯a- eine Entsprechung ha-
ben. Zugehörig ist auch mndl. glippe f. ‚Rit-
ze, Spalt‘ < *lippi̯ōn-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 148 f.; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 245; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2,
1, 121 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 204; Suppl. 59;
Vries, Ndls. et. wb. 211; Et. wb. Ndl. F-Ka 292;
Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 640;
Vries, Anord. et. Wb.² 173; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
379; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 88; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 328; Nielsen, Dansk et.
ordb. 158; Ordb. o. d. danske sprog 6, 1077 f.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 163; Hellquist, Svensk et. ordb.³
285 f.
Als urverwandt mit den westgerm. Wörtern
werden nruss. glipat’ ‚schauen, sich umse-
hen‘, ukrain. hłýpaty ‚blinzeln, matt blicken‘,
hłýpnuty ‚einen Blick werfen‘ betrachtet,
wobei man von den Wurzelvarianten uridg.
*ghlib- und *ghlip- ausgeht (Vasmer, Russ.
et. Wb. 1, 274). Hält man an der Verbindung
der germ. mit den slaw. Wörtern fest, könnte
eine gemeinsame Wz. vorurslaw., vorur-
germ. *ghlei̯p- ‚glänzen‘ vorausgehen. Ur-
germ. *p wäre dann aus einer Intensivbil-
dung *lipp-ō-/ii̯a-, fortgesetzt in mndd.
glippen, mhd. glipfen, hervorgegangen. Aus
der Grundbedeutung ‚glänzen‘ müßten sich
die Bedeutung ‚blicken‘ und über ‚glatt sein‘
auch die Bedeutung ‚gleiten‘ entwickelt ha-
ben. Doch nehmen Falk-Torp (in Fick 3
[Germ.]⁴ 148) wegen der Bedeutung ‚Ritze,
Spalt‘ von mndl. glippe zu Recht an, daß die
Bedeutung ‚offen stehen‘ von nnorw. dial.
glipa sich aus der Bedeutung ‚schräg sein,
Winkel bilden‘ (mndd. glp ‚schief, schräg‘)
entwickelt hat. In diesem Fall entspricht
ndän. glippe ‚mit den Augen blinzeln‘ nicht
unmittelbar der Bedeutung von ukrain.
hłýpaty ‚blinzeln, matt blicken‘, da sich die
Bedeutung ‚blinzeln‘ im Ndän. aus der Bed.
‚oft öffnen‘ (vgl. nschwed. dial. glippa ‚oft
öffnen‘) ergeben haben dürfte.
Wahrscheinlich ist die Wurzel *līp- ‚glei-
ten‘ also überhaupt nicht mit den slaw. Wör-
tern zu verbinden, sondern erst im Germ.
entstanden. Nach dem Vorbild von urgerm.
*slīđ- und *slīp- ‚gleiten‘ könnte zur Wz.
*līđ- ein *līp- ‚gleiten‘ gebildet worden
sein (Lühr 1988: 355).
Berneker, Slav. et. Wb. 1, 304; Trubačev, Et. slov.
slav. jaz. 6, 127 f.