gnîtan st. v. I (präs. gnitu, prät. gneit,
gnitum, part.prät. gignitan), seit dem 9. Jh.
überliefert, in Gl. und bei N: ‚reiben, sauber
reiben, scheuern; conterere, defricare, frica-
re, refricare‘ 〈Var.: cn-, kn- (Braune-
Reiffenstein 2004: §§ 177, 1. 180, 2); ch-
(Braune-Reiffenstein 2004: § 149 Anm. 8);
-d-〉. Splett 1976: 167 führt das Nebeneinan-
der von gn- und kn-Formen auf Onomato-
pöie zurück. Zu gnîtan gehören weiterhin
mit anaptyktischem Vokal 1.sg.präs. ginitu
(Gl. 4,327,1 [9. Jh., bair.]; Reutercrona 1920:
159) und die Partizipien kichnetan in Gl.
1,277,24 [Rd] mit Wz.-Vokal -e- für -i-
durch folgendes -a- gegenüber kicnitan [Jb]
(vgl. das Nebeneinander von lirnen : lernen,
skirm : skerm; Braune-Reiffenstein 2004:
§ 31b und Anm. 1, 2). Beide Partizipien
glossieren lat. defricāre. Daher ist Graffs 4,
581, Starck-Wells’ 338 und Schützeichels,
Glossenwortschatz 5, 269 Zuordnung zu kne-
tan unzutreffend — defricāre wird sonst nie
durch knetan wiedergegeben. (Die bei Schatz
1927: § 220 angeführten chnito Gl. 3,628,40,
chnite Gl. 3,630,29, chinîto Gl. 4,172,7 sind
finite Formen von knetan). In Gl.
3,238,29/30. 31 (SH) ist die 1.sg.präs.
gnitvn, gniden nach den sw. ōn-Verben ge-
bildet.
Das Verbum simplex muß schon vor dem
9. Jh. existiert haben, da das komp. Verb
firgnîtan (s. d.) bereits im Abr belegt ist.
Zeugnis vom Alter des Verbs legt auch der
mit individualisierendem -n-Suffix abgeleite-
te ahd. PN *Gnito (796—800 Chnito) ab. —
Mhd. gnîten ‚reiben‘, frühnhd. gneiten ‚rei-
ben‘. Im Nhd. ist das Verb nur dial. fortge-
setzt: schwäb. (veraltet) gneiten sw. v. ‚rei-
ben‘, meckl. gniden ‚durch Reiben etwas
glätten‘, preuß. gnieden ‚etwas glätten,
Glanz geben durch Hin- und Herbewegen
mit einem glatt geschliffenen Stein, dem
Gniedstein‘, ndsächs. gnīden st. v. ‚Wäsche
mit dem Gnīdelstein bearbeiten, reiben, zer-
reiben‘ neben sw. Verben mit intensiv-
iterativem -l-Suffix: schleswig-holst. gnie-
deln ‚reiben, glätten‘, gnitteln ‚kräftig scheu-
ern, glätten‘ (mit intensiv-iterativer Doppel-
konsonanz -tt-), meckl. gnideln ‚reiben und
dadurch glätten‘, märk. gniedeln ‚glätten,
massieren‘, ndsächs. gnīdeln ‚Wäsche mit
dem Gnīdelstein bearbeiten, ungeschickt
(mit einem stumpfen Messer) schneiden, rei-
ben‘.
Gleichfalls nur dialektal verbreitet sind die vom Verb
abgeleiteten st-Bildungen tirol. gneist m. ‚Kleinge-
schnittenes oder Abgeschabtes‘, bad., hess. gneist m.
‚Kopfgrind, Schmutz auf der Kopfhaut‘, thür. gneist
m. ‚klebriger, verkrusteter Schmutz, Grind, verkohlter
Dochtrest‘. Die Formen setzen mhd. gnîst st. m.
‚Grind‘ < *nei̯sta- mit -st-Suffix nach dentalem
Wurzelauslaut zu urgerm. *nei̯đe/a- (zum -st-Suffix
s. W. Meid, IF 69 [1964/65], 229) fort. Deverbale Ab-
leitungen sind weiterhin schles. gnetze ‚Hautaus-
schlag, Schorf‘ und das vorwiegend auf Norddeutsch-
land, den Berliner Raum und Thüringen beschränkte
gnitte f. ‚kleine Mücke‘ < mndd. gnitte (< *nittōn-
mit Geminata aus *-tn- aus einem n-stämmigen Para-
digma wie in urgerm. *katt-an/ōn- ‚Katze‘; vgl. Lühr
1988: 260—262), in hochdeutscher Lautung auch gnit-
ze.
Ahd. Wb. 4, 319; Splett, Ahd. Wb. 1, 312; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 481; Schützeichel⁶ 136; Starck-Wells
232. 819; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 483;
Seebold, ChWdW8 146 (firgnîtan); Graff 4, 296; Le-
xer 1, 1042; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 145 (contere-
re). 178 (defricare). 278 (fricare). 561 (refricare); Dt.
Wb. 8, 640. 650 f.; Kluge²¹ 264; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer,
Et. Wb.² 460 f. — Ochs, Bad. Wb. 2, 441; Fischer,
Schwäb. Wb. 3, 728; Maurer-Mulch, Südhess. Wb. 2,
1405; Spangenberg, Thür. Wb. 2, 667; Mitzka, Schles.
Wb. 1, 434; Bretschneider, Brandenb.-berlin. Wb. 2,
374; Jungandreas, Ndsächs. Wb. 5, 567. 568; Kück,
Lüneb. Wb. 1, 585; Mensing, Schleswig-holst. Wb. 2,
411 f. 415; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. 3, 209.
210; Frischbier, Preuß. Wb. 1, 242; 2, 525; Riemann,
Preuß. Wb. 2, 442. — N. Wagner, BNF 28 (1993),
263 f.
Germ. Entsprechungen zu ahd. gnîtan sind:
mndd. gnīden st. v. ‚streichen, glätten‘, refl.
‚reiben‘; nfries. gnīden, gnidden, gnitten
‚drückend und pressend reiben und glätten,
glattstreichen, plätten‘; ae. gnīdan (gnād,
gnidon, gegniden) ‚reiben, mahlen, zerbrök-
keln‘ (davon abgeleitet ae. gnidil ‚Stampfer,
Mörser‘ mit *-ila-Suffix zur Bezeichnung
von Werkzeugen), me. gnīden ‚dss.‘, ne.
(veraltet) gnide ‚dss.‘; aisl. gniða sw. v. ‚rei-
ben‘ (Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 334 und
Pokorny 347 halten Entlehnung aus mndd.
gnīden für möglich), fär. gníggja, nnorw.
gnida (daneben mit intensiv-iterativem r-
bzw. s-Suffix gnidra, gnidsa ‚fortwährend
reiben‘), aschwed. gnidha st. v., nschwed.
gnida, ndän. gnide: < urgerm. *nei̯đe/a-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 138; Seebold, Germ. st. Verben 234;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 125; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 125; Doornkaat Koolman, Wb.
d. ostfries. Spr. 1, 649 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 133;
Bosworth-Toller, AS Dict. 482; Suppl. 477; ME Dict.
s. v.; OED² s. v.; Vries, Anord. et. Wb.² 179; Bjor-
vand, Våre arveord 309; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
339; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 617;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 91; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. a. a. O.; Nielsen, Dansk et. ordb.
159; Ordb. o. d. danske sprog 6, 1129 ff.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 172; Hellquist, Svensk et. ordb.³
291; Svenska akad. ordb. s. v.
Urgerm. *nei̯đe/a- hat zunächst im Slaw.
und Gr. Verwandte: Inf. aksl. gniti, russ.
gnit’, ukrain. hnýty, tschech. hníti, slowak.
hnit’, poln. gnić, osorb. hnić, ndsorb. gniś,
maked. gnije, serbo-kroat. gnjȉti: < urslaw.
*gniti < vorurslaw. *ghnei̯-tei̯; 1.sg. aksl.
gnijǫ, bulg. gnija, osorb. hniju, ndsorb. gniu
< urslaw. *gnьjǫ < vorurslaw. *ghni-i̯e/o-.
Die slaw. Verben bedeuten im Unterschied
zum Germ. allesamt ‚faulen, verwesen‘. Es
hat offenbar eine Bedeutungsentwicklung
von ‚zerrieben werden‘ über ‚zerfallen‘ zu
‚faulen‘ stattgefunden (vgl. Sławski 1952 ff.:
1, 302).
Im Gr. geht χνίει ‚zerreibt‘ (Hes. χνίει ⋅
ψακάζει, θρύπτει [cod. -ττει]) über *χνί-i̯ει
wie das slaw. Verb auf *ghni-i̯e/o- zurück.
Daß die Sippe aber auch im Balt. existiert
haben muß, zeigen lett. gnīde ‚grindige,
schäbige Haut‘ (f. ē-St.) < urbalt. nom.sg.
*gnīd(i̯) < vorurbalt. *ghniHdh- und gnīda
‚Nisse, Lausei‘ < urbalt. gnīdā < vorurbalt.
*ghniHdh-ah₂.
Im Unterschied zur gr.-slaw. Isoglosse be-
ruht die germ.-balt. Vorform *ghnei̯dh-e/o-
dabei auf einer Wurzelerweiterung mit dh.
Die Anlautsgruppe *ghn- hat hier wohl laut-
symbolischen Charakter.
Walde-Pokorny 1, 584 f.; Pokorny a. a. O.; Frisk, Gr.
et. Wb. 2, 1106 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 1265;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 93; Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 313 f.; Trubačev, Et. slov. 6, 176 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Texten 29. 228;
Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 280; Schuster-Šewc, Hist.-et.
Wb. d. Sorb. 296; Fraenkel, Lit. et. Wb. 157 f.; Karulis
1992: 1, 304; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1,
633 f. — Persson 1912: 94—96. 811; J. de Vries, IF 62
(1956), 142.