grâtag
Band IV, Spalte 599
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grâtagAWB adj., nur in Gl. des 8.9. Jh.s:
begierig; (in-)hians. Nhd. (veraltet) grätig
geizig, gierig (s. u.).

Ahd. Wb. 4, 408; Splett, Ahd. Wb. 1, 322; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 489; Schützeichel⁶ 139; Starck-Wells
238; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 36; Dt. Wb.
8, 2056 f.

Germ. Entsprechungen sind: as. grādag
gierig; mndl. gradich, gredich, nndl. graag
gierig, hungrig; ae. grǣdig dss. (daneben
grǣd m. Gier), me. gredi(g), ne. greedy
(auch greed [Hab-]Gier); aisl. gráðugr
gierig, hungrig (gráðr m. Hunger, Gier),
nnorw. graadug, nschwed. grådig, ndän.
graadig; got. gredags hungrig; πεινῶν
(gredus m. Hunger; λιμός).

Fick 3 (Germ.)⁴ 139 f.; Holthausen, As. Wb. 28; Ver-
dam [1911] 2002: 228; Franck, Et. Wb. d. ndl. taal²
210; Suppl. 61; Vries, Ndls. et. wb. 216; Et. wb. Ndl.
F-Ka 315 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 135; Bosworth-
Toller, AS Dict. 486; Suppl. 483; ME Dict. s. v.; OED²
806 f.; Vries, Anord. et. Wb.² 183 f.; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 357; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 93;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 339; Torp, Nynorsk et.
ordb. 178 f.; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 305; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 220; Lehmann, Gothic Et. Dict.
G-103.

Die aus diesen Belegen zu erschließenden
urgerm. Formen *græđu-/-a- (Subst., -îg/
-ag-Adj.; -îg) haben keine sicheren außer-
germ. Verwandten. Wahrscheinlich liegt eine
Erweiterung *hreh₁- der idg. Wz. *her(h₁)-
begehren, gern haben zugrunde (Pokorny
440; ger). Nach H. Hirt, PBB 23 (1898),
291 ist germ. *græđu- ein Verbalabstraktum
mit idg. *tu-Suffix (vgl. Wilmanns [1906
30] 1967: 2 § 254 f. und fluot), aber wenn
lit. gardùs wohlschmeckend, schmackhaft,
lett. gards dss. verwandt sind (vgl. Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 136; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. 1, 602), deuten sie eher auf eine
idg. Wurzelvariante *gher(h₁)dh- : *ghreh₁dh-.

Der verlockende Vergleich mit ai. gdhyati begehrt,
verlangt
, gardha- m. Begierde, jav. gǝrǝδa- gierig,
hastig
(z. B. Vries, Anord. et. Wb.² a. a. O., Feist,
a. a. O., Lehmann, a. a. O. u. a.) muß aufgegeben wer-
den, weil diese Wörter eher mit aksl. gladъ Begier-
de
, poln. głód Hunger, russ. gólod dss., serb.-ksl.
lъdti begehren zu verknüpfen und auf eine idg.
Wz. *gheldh- (Pokorny 434; nach Mayrhofer, Et. wb.
d. Altindoar. 1, 474 *geldh-) zurückzuführen sind;
vgl. Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. 1, 329. 343; Sad-
nik-Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 29. 235
(Nr. 215); Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 287; Sławski
1952 ff.: 1, 294. Ob schon im Uridg. eine Kreuzung
von r- und l-Wurzeln stattgefunden hat, bleibt eine
offene Frage; vgl. Brugmann [190204] 1970: § 174
und idg. *gel- : *ger- verschlingen (Pokorny 365.
474).

Nicht besser Heidermanns, Et. wb. d. germ. Primär-
adj. 252 f.: urspr. triebhaft, zu grât (s. d.) und zur
idg. Wz. *ghrē- : *ghrō- hervorstechen, treiben, wach-
sen
. Diese Erklärung gilt für mndl. gretig begierig
(Kiliaan auch irritieren; grazlîcho), aber kaum für
diese Sippe, deren älteste Bed. (got.) Hunger, hung-
rig
war und auch in den anderen älteren germ. Spra-
chen fast immer hungrig, gefräßig oder gierig bedeu-
tete. Der Begriff sinnliche Begierden kommt nur sel-
ten (in späteren Quellen) vor. Eine spätere Kreuzung
von mehreren Sippen ist aber möglich: vgl. mndl. gre-
tig (oben); aisl. gríd Heftigkeit, mhd. grîtec
begierig ( bigrîtan; vgl. auch els. gritig avidus,
westfäl. griddig gierig, habsüchtig); nhd. (um-
gangsspr.) und mdartl. (schwäb. grätig unwirsch,
leicht reizbar
(< scharf, spitz, zu grât; schweiz.
halsstarrig) neben nhd. (veraltet) grätig (be-)gierig
(s. o.), rhein. gradig dss..

Möglicherweise gehören aisl. graðr unverschnitten,
zeugungsfähig
(norw. grad, gra auch brünstig), aisl.
graðungr Stier (neben griðungr!) nicht zur selben
Sippe wie grâtag, sondern (wie Heidermanns an-
nimmt) zur Sippe von grât und grazlîcho (s.dd.).

Dt. Wb. 9, 6 (greitig); Fischer, Schwäb. Wb. 3, 803;
Schweiz. Id. 2, 821; Martin-Lienhart, Wb. d. els.
Mdaa. 1, 286; Woeste, Wb. d. westf. Mda. 85; Müller,
Rhein. Wb. 2, 1341 f.; Vries, Anord. et. Wb.² 183. 184.
188.

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