hantag, -îg
Band IV, Spalte 817
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hantag, -îg adj., seit dem Anfang des
9. Jh.s in Gl., bei N, Npg: spitz, scharf,
herb, rauh, beißend, bitter, blendend, hell,
schlimm, wild, unbändig, leidenschaftlich,
grimmig, grausam, hart, streng; acer, acer-
bus, acidus, aeger, ardens, asper, austerus,
coruscus, ferox, grassans, gravis, intolerabi-
lis, maiora impetu (= hantagôra), mordax,
perursus, potens, saevus, scaber, trux

Var.: -nd-; -eg-. Mhd. hantec, handec
schneidend, stechend, scharf, bitter, nhd.
veralt. handig, händig scharf, heftig, grob.

Ahd. Wb. 4, 689 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 354; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 514; Schützeichel⁶ 149; Starck-Wells
253; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 155; Graff 4,
972; Lexer 1, 1165. 1173; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 9
(acer¹, acerbus). 10 (acidus). 19 (aeger). 51 f. (ardens).
57 (asper). 66 (austerus). 156 (coruscus). 260 (ferox).
293 (grassari). 294 (gravis). 320 (impetus). 351 (intole-
rabilis). 413 (mordax). 486 (perursus). 504 (potens).
584 (saevus). 590 (scaber). 680 (trux); Dt. Wb. 10,
398 f.

Das ahd. Wort hat lediglich in got. handugs
weise (zum semantischen Wandel von
scharf zu klug vgl. lat. acūtus und ne.
sharp) eine unmittelbare Entsprechung; bei-
de gehen auf urgerm. *χandu/a/a- zurück.

Urgerm. *χandu/a/a- gehört mit grammati-
schem Wechsel zu urgerm. *χanþa- scharf,
fortgesetzt in aisl. -hannr (in sjónhannr*
scharf hinsehend, eine erfahrenes Auge, ei-
nen geübten Blick habend
, hann- (in han-
nerð [nisl. hannyrðir] Geschicklichkeit,
Kunstfertigkeit
< *was einen scharfen
Blick, ein geübtes Auge erfordert
).

Die Trennung von ahd. hantag und got. handugs (et-
wa vorgenommen von Krahe-Meid 1969: 3, § 144, b 1
[S. 192]; Schaffner 2001: 296) ist nicht gerechtfertigt
(vgl. Jóhannesson, Isl. et. Wb. 228).

Andere scheinbare Entsprechungen wie mndl. han-
dich gewandt, geschickt, ae. -hendig (in listhendig
adv. geschickt) sind jedoch zu trennen, da es sich
um eindeutige Sekundärbildungen zu urgerm.
*χandu- Hand ( hant) handelt.

Fick 3 (Germ.)⁴ 71; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 278 f.; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3, 75;
Holthausen, Ae. et. Wb. 155; Bosworth-Toller, AS Dict.
643; Vries, Anord. et. Wb.² 209; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 227 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 730;
3, 269; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 106; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 244; Lehmann, Gothic Et. Dict. H-
39.

Die weitere Etymologie ist unsicher. Seman-
tisch unwahrscheinlich ist eine Ableitung zu
urgerm. *χandu- Hand (so u. a. Krahe-
Meid 1969: 3, § 144, b 1 [S. 192]), da die da-
bei anzusetzende Bedeutung mit der Hand
gemacht, zur Hand gehörig
nicht zur Bedeu-
tung scharf, weise führt. Auch die Annah-
me von E. Seebold, TPhS 77 [1975], 166 f.,
daß die Bedeutung Hand über Faust auf
Spitze zurückgeht so daß die Grundbe-
deutung des Adj. spitz wäre führt nicht
weiter, da sich eine solche Bedeutungskette
nicht weiter stützen läßt.

Näher liegend ist die Annahme einer Ablei-
tung von der Verbalwurzel uridg. *ent-
stechen, fortgesetzt in gr. (aor.) κένσαι
stechen < *nt/ént-s- (dazu als Neubil-
dung κεντέω steche < *ent-ee/o-), da sich
hierbei eine plausible Grundbedeutung ste-
chend, scharf
ergibt. Der palatale Anlaut der
zugrunde liegenden Wurzel wird durch lett.
sīts Jagdspieß < *-tó- erwiesen. Jedoch
ist eine direkte Ableitung mit dem Suffix ur-
germ. *-u/a/a- von der Verbalwz. unwahr-
scheinlich, da solche Verbaladj. erst spät
produktiv wurden (vgl. Krahe-Meid 1969: 3,
§ 144a [S. 190]) und somit keinen grammati-
schen Wechsel aufzeigen dürften (nicht zu
vergleichen ist daher die Varianz in urgerm.
*χafa- : *χaa- schwer, gewichtig [
hevîg, hebîg]; vgl. hierzu Schaffner 2001:
294 ff.). Für das Uridg. ist am ehesten eine
oxytone Adj.-Ableitung des Typs W(o)-é/ó-
(vgl. hierzu Schaffner 2001: 266; zum Typ
vgl. uridg. *poo- farbig, verziert > ur-
germ. *faa- [ fêh]) *ont-ó- stechend
anzunehmen, die urgerm. *χanda- ergab.
Diese wurde durch das Adj. modifizierende
Suffix urgerm. *-a- erweitert (zu solchen
Erweiterungen vgl. Krahe-Meid 1969: 3,
§ 144a), wobei das entstehende *-aa- durch
die Suffixvarianten *-ua- (im Got. viel-
leicht bereits durch volksetymologischen
Anschluß an got. handus Hand, da das Suf-
fix *-ua- hier nicht produktiv ist; vgl. Kra-
he-Meid 1969: 3, § 144, b 1) bzw. *-a- ab-
gelöst werden konnte. Die Variante mit Ba-
rytonese urgerm. *χanþa- läßt sich in Anbe-
tracht des Fehlens des Grundverbs wie wei-
terer Ableitungen im Germ., von denen
*χanþa- das -þ- hätte übernehmen können,
am einfachsten als Ablösung der barytonen
Form im Kompositionshinterglied wie es
in aisl. sjónhannr* vorliegt erklären (zur
Akzentuierung von Kompositionshinterglie-
dern vgl. Schaffner 2001: 272).

Walde-Pokorny 1, 402; Pokorny 567; LIV² 326 f.; Frisk,
Gr. et. Wb. 1, 820 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 515; Müh-
lenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 855.

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