heil¹ adj., seit dem 8. Jh.: ‚heil, gesund,
ganz, vollkommen, unversehrt, errettet, er-
löst; salvatus, salvus, sanatus, sanus, secun-
dus‘; als Grußformel oder Interj. ‚heil!, sei
gegrüßt!; ave!, macte!, os(i)anna, salve‘
〈Var.: hail〉. — Mhd. heil adj. ‚heil, gesund,
gerettet; salvus‘; nhd. heil adj. ‚unbeschä-
digt, unverletzt, gesund‘.
Ahd. Wb. 4, 810 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 370; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 526; Schützeichel⁶ 153; Starck-Wells
262. 821; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 232;
Seebold, ChWdW8 156 f.; Graff 4, 861 ff.; Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 67 (ave!). 385 (macte!). 457
(os[i]anna). 586 (salvatus, salvus, sanatus). 588 (sa-
nus); Lexer 1, 1210 f.; Dt. Wb. 10, 815 ff.; Kluge²¹
298; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 523.
Das Wort hat Entsprechungen in allen germ.
Sprachen: as. hēl ‚heil, gesund, ganz; ave!‘,
mndd. hēl, heil ‚heil, unversehrt, gesund,
ganz, errettet, erlöst‘; mndl. heel, heil ‚ganz,
unversehrt, unverletzt, gesund, rein, treu,
aufrecht, heilig‘, nndl. heel ‚ganz, heil, un-
versehrt‘; afries. hēl ‚heil, unverletzt, ganz‘;
ae. hāl, hǣl(e) ‚heil, ganz, gesund, unver-
letzt, sicher, echt‘, me. hail, heil, hēl, hol(e),
ne. hail (Grußformel), hale, whole; aisl. heill
‚heil, ganz, gesund, glücklich, treu, ehrlich,
heil!‘, nnorw. heil, ndän., nschwed. hel; got.
hails ‚heil, gesund; ὑγιής, ὑγιαίνων, (Gruß-
formel) χαῖρε‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 65; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 267 f.; Holthausen, As. Wb. 32; Sehrt, Wb.
z. Hel.² 241; Berr, Et. Gl. to Hel. 182; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 259; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 2, 229 f.; 6, 152; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 3, 208 f. 260; Franck, Et. Wb. d. ndl. taal² 237;
Vries, Ndls. et. wb. 242; Et. wb. Ndl. F-Ka 396 f.;
Holthausen, Afries. Wb.² 41; Richthofen, Afries. Wb.
803; Holthausen, Ae. et. Wb. 148; Bosworth-Toller,
AS Dict. 500. 504; Suppl. 496. 501 f.; ME Dict. s.vv.;
OED² s.vv.; Vries, Anord. et. Wb.² 218; Bjorvand,
Våre arveord 359; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 176; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 109; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 393 f.; Nielsen, Dansk et. ordb.
178; Ordb. o. d. danske sprog 7, 1058 ff.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 206; Hellquist, Svensk et. ordb.³
344; Svenska akad. ordb. s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 232 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. H-12. — Baetke
1942: 57 ff. 122 ff. 160 ff. 177 ff. 206 ff.; D. F. H.
Boutkan, HS 111 (1998), 112.
Die Grundbed. von urgerm. *χai̯la- ist um-
stritten. Die ältere Auffassung, daß die reli-
giöse Bed. dieses Wortes und anderer Wörter
dieser Sippe (→ heil n. a-St., heilî, heilag,
heilant usw.) aus einer urspr. Bed. ‚gesund,
unverletzt‘ sekundär entstanden sei (vgl. J.
W. Muller, TsNTL 57 [1938], 63 ff.; immer
noch u. a. bei Heidermanns, a. a. O.), ist
höchst fraglich. Viel wahrscheinlicher ist die
umgekehrte Bed.entwicklung: ein Wort der
vorchristlichen magisch-religiösen Sphäre
‚heilvoll, voll Heil oder Glück‘ ist in die pro-
fane Sphäre übergegangen. Gesundheit wur-
de als eine Folge des von den Göttern ge-
währten Heils angesehen: wer voll Heil oder
Glück ist, ist auch geistig und körperlich ge-
sund (vgl. Baetke, a. a. O. 74). Auch die Bed.
des Substantivs heil ‚(günstiges) Vorzeichen‘
(s. d.) erklärt sich als ein konkretes Zeichen
des Glücks (vgl. Baetke 1942: 64; Wesche
1940: 92). Natürlich ist nicht jedes Vorzei-
chen günstig, aber der germ. (und kelt.; s. u.)
Begriff betont das Positive: der Zweck der
Divination war die Suche nach einem gün-
stigen Vorzeichen (vgl. nhd. „man versucht
sein Glück“). Diese positive Anschauung
zeigen auch die späteren dt. Übersetzungen
von lat. omen als ‚Glück‘ und fatum als
‚Glück (von Gott)‘ (vgl. Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 227. 395).
Außergerm. Vergleiche sind: akymr. coilou
‚auspiciis‘, coiliauce ‚augur‘, nkymr. coel
‚Vorzeichen, Glaube, Vertrauen‘, abret. coel
‚(h)aruspicem‘, akorn. chuillioc ‚augur‘ (air.
cēl ‚augurium‘ ist wohl ein Lehnwort aus
dem Brit.; vgl. Pedersen [1909—13] 1976: 1,
§ 38); aksl. cělъ ‚heil, gesund, ganz‘,
cělitelьnъ ‚heilsam‘, cělěti ‚heil werden, hei-
len‘ (intr.), russ. célyj ‚ganz, lauter, heil‘
usw.; apreuß. kailūstiskan akk.sg. ‚Ge-
sundheit‘.
Die germ., slaw. und balt. Formen können
entweder auf idg. *kai̯lo- oder *koi̯lo- zu-
rückgehen, aber die kelt. setzen nur *kai̯lo-
voraus.
In der Hesych-Gl. vorkommendes κοῖλυ ⋅ τὸ καλόν,
das seit O. Hoffmann (bei Bezzenberger, BB 16
[1890], 240) mit den germ., balt. und slaw. Wörtern
verknüpft worden ist, gehört kaum hierher, weil es
idg. *-oi̯- fortsetzt; dazu ist die Bed. des gr. Wortes
nicht sicher (vgl. Frisk, Gr. et. Wb. 1, 892; nach K.
Latte könnte καλόν für κοῖλον verschrieben sein; vgl.
Chantraine, Dict. ét. gr. 552). Versuche, aufgrund die-
ses höchst unsicheren Beleges das germ. Subst. vom
Adj. zu trennen, indem das Adj. auf idg. *koi̯lo- oder
*koi̯lu- ‚gesund‘, das Subst. auf *kai̯lo ‚Zeichen‘ zu-
rückgeführt wird (vgl. Kluge²⁴ 401; Heidermanns,
a. a. O., der übrigens gr. κοῖλυ versehentlich zur Sippe
des Subst. stellt), sind verfehlt. Erstens war die
Grundbed. des Adj. wohl nicht ‚gesund‘ (s. o.) und
zweitens gibt es keine uns bekannte idg. Wz. *kei̯- :
*koi̯-, von der *koi̯lo-, -u- abgeleitet werden könnte.
Fernzuhalten ist osk. kaíla ‚sakrales Bauwerk‘ (s. Un-
termann, Wb. d. Osk.-Umbr. 363); zu den verschiede-
nen etym. Versuchen vgl. Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 1, 131 (s. v. caelum); Planta [1892—97] 1973: 2,
23; Buck [1904] 1995: 313; bes. Pokorny 553: <
*kali̯a- zur Wz. *k̂el- ‚bergen, verhüllen‘.
Walde-Pokorny 1, 329; Pokorny 520; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 15. 220 (Nr.
89); Vasmer, Russ. et. Wb. 3, 288; Trautmann,
Apreuß. Spr.denkm. 350; Fick 2 (Kelt.)⁴ 88 (koilā!);
Schrijver 1991: 268.
Da vorurgerm. *kai̯lo- (-lu-) wohl zum ural-
ten „magisch-religiös-kultischen Bereich“
gehörte (Pfeifer, a. a. O.), ist eine weitere
Analyse schwierig.
Vielleicht wäre eine Ableitung von der idg. Wz.
*(s)kāi- : *kǝi- ‚hell leuchtend‘ in ai. citrá-, av. ciδra-
‚augenfällig, hell, klar‘, ahd. heitar (s. d.); ai. ketú- m.
‚Lichterscheinung, Helle, Bild‘, keta- m. ‚Zeichen‘
(Pokorny 916) zu erwägen, mit einer Grundbed. ‚mit
(göttlichem) Licht erfüllt‘. Zur Bed. vgl. lat. Juppiter
Lucetius ‚Lichtbringer‘, gall. Leucetius Beiname des
Mars (Pokorny 688); lat. deus, gr. Zεύς, anord. Týr, u-
Erweiterungen der Wz. *dei̯(ǝ)- ‚hell glänzen, schei-
nen‘ (Pokorny 183 ff.). Seebold (Kluge²⁴ a. a. O.) geht
von der Bedeutung ‚Zeichen‘ aus, die aber sowohl im
Ai. als auch im Germ. wohl sekundär ist.
Nach Walde-Pokorny 1, 329 und Pokorny 520 viel-
leicht zur Wz. *kai- ‚allein(?)‘ in ai. kévala-
‚jemandem ausschließlich eigen, allein, ganz, voll-
ständig‘, lat. caelebs ‚ehelos, unvermählt‘ (‚allein le-
bend‘; Pokorny 519). Wenn die Grundbedeutung die-
ser Wz. tatsächlich ‚allein‘ ist, dann ist diese Sippe
sicher fernzuhalten; daß die sekundäre Bedeutung
‚ganz, vollständig‘ auch bei den germ. Wörtern vor-
kommt, scheint nur Zufall zu sein. Nur auf Grund der
isolierten ai. Bed. ‚jemandem ausschließlich eigen‘
wäre eine Deutung etwa ‚zu den Göttern ein enges
Verhältnis habend‘ sehr unwahrscheinlich.