heil¹
Band IV, Spalte 895
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heil¹ adj., seit dem 8. Jh.: heil, gesund,
ganz, vollkommen, unversehrt, errettet, er-
löst; salvatus, salvus, sanatus, sanus, secun-
dus
; als Grußformel oder Interj. heil!, sei
gegrüßt!; ave!, macte!, os(i)anna, salve

Var.: hail. Mhd. heil adj. heil, gesund,
gerettet; salvus
; nhd. heil adj. unbeschä-
digt, unverletzt, gesund
.

Ahd. Wb. 4, 810 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 370; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 526; Schützeichel⁶ 153; Starck-Wells
262. 821; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 232;
Seebold, ChWdW8 156 f.; Graff 4, 861 ff.; Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 67 (ave!). 385 (macte!). 457
(os[i]anna). 586 (salvatus, salvus, sanatus). 588 (sa-
nus); Lexer 1, 1210 f.; Dt. Wb. 10, 815 ff.; Kluge²¹
298; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 523.

Das Wort hat Entsprechungen in allen germ.
Sprachen: as. hēl heil, gesund, ganz; ave!,
mndd. hēl, heil heil, unversehrt, gesund,
ganz, errettet, erlöst
; mndl. heel, heil ganz,
unversehrt, unverletzt, gesund, rein, treu,
aufrecht, heilig
, nndl. heel ganz, heil, un-
versehrt
; afries. hēl heil, unverletzt, ganz;
ae. hāl, hǣl(e) heil, ganz, gesund, unver-
letzt, sicher, echt
, me. hail, heil, hēl, hol(e),
ne. hail (Grußformel), hale, whole; aisl. heill
heil, ganz, gesund, glücklich, treu, ehrlich,
heil!
, nnorw. heil, ndän., nschwed. hel; got.
hails heil, gesund; ὑγιής, ὑγιαίνων, (Gruß-
formel) χαῖρε
.

Fick 3 (Germ.)⁴ 65; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 267 f.; Holthausen, As. Wb. 32; Sehrt, Wb.
z. Hel.² 241; Berr, Et. Gl. to Hel. 182; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 259; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 2, 229 f.; 6, 152; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 3, 208 f. 260; Franck, Et. Wb. d. ndl. taal² 237;
Vries, Ndls. et. wb. 242; Et. wb. Ndl. F-Ka 396 f.;
Holthausen, Afries. Wb.² 41; Richthofen, Afries. Wb.
803; Holthausen, Ae. et. Wb. 148; Bosworth-Toller,
AS Dict. 500. 504; Suppl. 496. 501 f.; ME Dict. s.vv.;
OED² s.vv.; Vries, Anord. et. Wb.² 218; Bjorvand,
Våre arveord 359; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 176; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 109; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 393 f.; Nielsen, Dansk et. ordb.
178; Ordb. o. d. danske sprog 7, 1058 ff.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 206; Hellquist, Svensk et. ordb.³
344; Svenska akad. ordb. s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 232 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. H-12. Baetke
1942: 57 ff. 122 ff. 160 ff. 177 ff. 206 ff.; D. F. H.
Boutkan, HS 111 (1998), 112.

Die Grundbed. von urgerm. *χala- ist um-
stritten. Die ältere Auffassung, daß die reli-
giöse Bed. dieses Wortes und anderer Wörter
dieser Sippe ( heil n. a-St., heilî, heilag,
heilant usw.) aus einer urspr. Bed. gesund,
unverletzt
sekundär entstanden sei (vgl. J.
W. Muller, TsNTL 57 [1938], 63 ff.; immer
noch u. a. bei Heidermanns, a. a. O.), ist
höchst fraglich. Viel wahrscheinlicher ist die
umgekehrte Bed.entwicklung: ein Wort der
vorchristlichen magisch-religiösen Sphäre
heilvoll, voll Heil oder Glück ist in die pro-
fane Sphäre übergegangen. Gesundheit wur-
de als eine Folge des von den Göttern ge-
währten Heils angesehen: wer voll Heil oder
Glück ist, ist auch geistig und körperlich ge-
sund (vgl. Baetke, a. a. O. 74). Auch die Bed.
des Substantivs heil (günstiges) Vorzeichen
(s. d.) erklärt sich als ein konkretes Zeichen
des Glücks (vgl. Baetke 1942: 64; Wesche
1940: 92). Natürlich ist nicht jedes Vorzei-
chen günstig, aber der germ. (und kelt.; s. u.)
Begriff betont das Positive: der Zweck der
Divination war die Suche nach einem gün-
stigen Vorzeichen (vgl. nhd. man versucht
sein Glück
). Diese positive Anschauung
zeigen auch die späteren dt. Übersetzungen
von lat. omen als Glück und fatum als
Glück (von Gott) (vgl. Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 227. 395).

Außergerm. Vergleiche sind: akymr. coilou
auspiciis, coiliauce augur, nkymr. coel
Vorzeichen, Glaube, Vertrauen, abret. coel
(h)aruspicem, akorn. chuillioc augur (air.
cēl augurium ist wohl ein Lehnwort aus
dem Brit.; vgl. Pedersen [190913] 1976: 1,
§ 38); aksl. cě heil, gesund, ganz,
cělitelьnъ heilsam, cělěti heil werden, hei-
len
(intr.), russ. célyj ganz, lauter, heil
usw.; apreuß. kailūstiskan akk.sg. Ge-
sundheit
.

Die germ., slaw. und balt. Formen können
entweder auf idg. *kalo- oder *kolo- zu-
rückgehen, aber die kelt. setzen nur *kalo-
voraus.

In der Hesych-Gl. vorkommendes κοῖλυ τὸ καλόν,
das seit O. Hoffmann (bei Bezzenberger, BB 16
[1890], 240) mit den germ., balt. und slaw. Wörtern
verknüpft worden ist, gehört kaum hierher, weil es
idg. *-o- fortsetzt; dazu ist die Bed. des gr. Wortes
nicht sicher (vgl. Frisk, Gr. et. Wb. 1, 892; nach K.
Latte könnte καλόν für κοῖλον verschrieben sein; vgl.
Chantraine, Dict. ét. gr. 552). Versuche, aufgrund die-
ses höchst unsicheren Beleges das germ. Subst. vom
Adj. zu trennen, indem das Adj. auf idg. *kolo- oder
*kolu- gesund, das Subst. auf *kalo Zeichen zu-
rückgeführt wird (vgl. Kluge²⁴ 401; Heidermanns,
a. a. O., der übrigens gr. κοῖλυ versehentlich zur Sippe
des Subst. stellt), sind verfehlt. Erstens war die
Grundbed. des Adj. wohl nicht gesund (s. o.) und
zweitens gibt es keine uns bekannte idg. Wz. *ke- :
*ko-, von der *kolo-, -u- abgeleitet werden könnte.

Fernzuhalten ist osk. kaíla sakrales Bauwerk (s. Un-
termann, Wb. d. Osk.-Umbr. 363); zu den verschiede-
nen etym. Versuchen vgl. Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 1, 131 (s. v. caelum); Planta [189297] 1973: 2,
23; Buck [1904] 1995: 313; bes. Pokorny 553: <
*kala- zur Wz. *el- bergen, verhüllen.

Walde-Pokorny 1, 329; Pokorny 520; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 15. 220 (Nr.
89); Vasmer, Russ. et. Wb. 3, 288; Trautmann,
Apreuß. Spr.denkm. 350; Fick 2 (Kelt.)⁴ 88 (koilā!);
Schrijver 1991: 268.

Da vorurgerm. *kalo- (-lu-) wohl zum ural-
ten magisch-religiös-kultischen Bereich
gehörte (Pfeifer, a. a. O.), ist eine weitere
Analyse schwierig.

Vielleicht wäre eine Ableitung von der idg. Wz.
*(s)kāi- : *kǝi- hell leuchtend in ai. citrá-, av. ciδra-
augenfällig, hell, klar, ahd. heitar (s. d.); ai. ketú- m.
Lichterscheinung, Helle, Bild, keta- m. Zeichen
(Pokorny 916) zu erwägen, mit einer Grundbed. mit
(göttlichem) Licht erfüllt
. Zur Bed. vgl. lat. Juppiter
Lucetius Lichtbringer, gall. Leucetius Beiname des
Mars (Pokorny 688); lat. deus, gr. Zεύς, anord. Tr, u-
Erweiterungen der Wz. *de(ǝ)- hell glänzen, schei-
nen
(Pokorny 183 ff.). Seebold (Kluge²⁴ a. a. O.) geht
von der Bedeutung Zeichen aus, die aber sowohl im
Ai. als auch im Germ. wohl sekundär ist.

Nach Walde-Pokorny 1, 329 und Pokorny 520 viel-
leicht zur Wz. *kai- allein(?) in ai. kévala-
jemandem ausschließlich eigen, allein, ganz, voll-
ständig
, lat. caelebs ehelos, unvermählt (allein le-
bend
; Pokorny 519). Wenn die Grundbedeutung die-
ser Wz. tatsächlich allein ist, dann ist diese Sippe
sicher fernzuhalten; daß die sekundäre Bedeutung
ganz, vollständig auch bei den germ. Wörtern vor-
kommt, scheint nur Zufall zu sein. Nur auf Grund der
isolierten ai. Bed. jemandem ausschließlich eigen
wäre eine Deutung etwa zu den Göttern ein enges
Verhältnis habend
sehr unwahrscheinlich.

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