hera adv., zuerst um 800: ‚hierher, an
diesen Ort, an diese Stelle, hierher, auf die
Erde, in, auf diese Welt; adhuc, hic, huc‘.
Temporale Bedeutung hat hera in fona hera
bei N: ‚bis hierher, bis zu diesem Zeitpunkt‘
〈Var.: -rr-; -æ-; her, er in hinthander; fast
ausschließlich alem. hara z. B. N〉. hara ist
wie im Mndl. nach dara (s. u.) gebildet. In
Verbindung mit anderen Adverbien sind be-
legt: hera baz ‚weiter, in Richtung hierher,
näher (heran)‘, hera furi ‚herfür; in medium‘,
hera in ‚her-, hinein‘, hera nâh ‚zu einem
späteren Zeitpunkt, hiernach, im folgenden‘,
hera nidar ‚hernieder auf die Erde, nach un-
ten‘, hera ubari ‚herüber‘, hera ûf ‚herauf, in
die Höhe‘, hera ûz ‚heraus‘, hera zuo
‚hierher, an diese Stelle, hierauf‘, da-
nn/dannân/ennân hera ‚von einem Zeit-
punkt der Vergangenheit ab bis zum jetzi-
gen; usque nunc‘, hier hera ‚hierher‘, hera
unta dara, hin unt her ‚hierhin und dahin‘;
mit Präp. (und Adv.) unz/unzan/unzint hera
‚bis hierher, bis jetzt, bis zu diesem
(Zeit-)Punkt reichend; hactenus, hucusque,
usque huc‘, sîd dannân hera ‚seitdem‘. Als
Präp. erscheint: hera widar ‚gegenüber‘. he-
ra- adverbielles Kompositionsglied in Ver-
bindung mit Verben (z. B. hera queman
‚(ad-)venire‘, hera nidar irbeizen ‚hernieder-
steigen‘; vgl. auch hera funs ‚bereit herzu-
kommen‘). Die Unterscheidung zwischen
hera als selbständigem Adv. und Teil eines
Verbalkompositums ist wie bei hina (s. d.)
schwierig. — Mhd. here, her, vor allem alem.
har adv. ‚her, hierher, bisher, bis jetzt‘, mit
Verben z. B. her varn, her komen, her rîten,
nhd. her, her-, dial. alem. har, här, md. er-
in erab, erauf, eraus, erum, erunter. Im Ge-
gensatz zu hin bezeichnet her die Richtung
auf den Standpunkt des Sprechers, auf zeitli-
che Verhältnisse übertragen einen aus der
Vergangenheit bis in die Gegenwart des
Sprechers reichenden Zeitraum.
Ahd. Wb. 4, 957 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 381; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 535 f.; Schützeichel⁶ 157; Starck-Wells
269; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 279 f.; See-
bold, ChWdW8 160; Graff 4, 694 f.; Lexer 1, 1251; 3,
Nachtr. 236; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 299 (hactenus).
307 (huc). 398 (ad medium). 689 (usque huc); Dt. Wb.
10, 999 ff.; Kluge²¹ 304; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.²
532. — Behaghel 1928: 300 f.; Henzen 1969: 279—293.
Ahd. hera entsprechen: mndd. hēr, hēre adv.
‚her, heran, herzu, in Richtung auf den
Standort zu‘, auch temporal in van ōldinges
‚seit alters‘, lange jār her ‚seit langen
Jahren‘; mndl. hēre, selten her, häufig hare
‚hierher, hier‘ (mit -a- unter Einfluß von dare;
vgl. mndl. hare ende dare ‚hier und da‘ (s. o.
zu ahd. hara), nndl. her ‚her‘ (her- in nndl.
herinneren ‚sich erinnern‘ usw. mit Be-
deutungswandel von ‚zurück, wiederum‘ zu
‚wieder‘ oder eher aus er- < frz. re- mit hy-
perkorrektem h-); nfries. her ‚her, von wo
weg, zurück‘, her- ‚wieder-, zurück-‘. Als
Imper. fungiert got. sg. hiri, pl. hirjiþ, dual
hirjats ‚hierher‘.
Das got. Wort bietet viele Probleme: die Be-
wahrung von -i- vor r, die zugrunde liegende
Wz. und das auslautende -i. Möglicherweise
ist eine Vorform *hir (< *χir oder *χer), eine
Ableitung von dem nahdeiktischen Pronomi-
nalstamm uridg. *k̂i-/*k̂e- + *r (s. u.), mit ei-
ner deiktischen Partikel *ī (vgl. gr. οὑτοσ-
‚dieser‘) versehen (R. Loewe, PBB 41
[1916], 295 ff. als Alternative) oder als Im-
per. auf *ī bzw. auf altem, bei kurzsilbigen
Stämmen zu erwartenden *i neu gestaltet
worden (G. Schmidt 1962: 72 f.). Als Inter-
jektion unterlag dieses Wort besonderen Be-
dingungen, nämlich Kürzung eines mögli-
chen auslautenden *ī und Ausbleiben der
Brechung (dagegen führt F. Cercignani, JIES
12 [1984], 315—344 -i- auf Analogie nach
hidre ‚hierher‘ zurück). Got. hiri ist jeden-
falls als Imper. verstanden worden, was die
Neubildungen des Pl. hirjiþ und Duals hir-
jats hervorrief (Streitberg 1920: 70).
Anders z. B. R. M. S. Heffner, JEGP 28 (1929), 343—
359: got. hiri < *hidar mit Schwund von -da-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 63; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb.
2, 1, 279; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3, 348 f.; Franck,
Et. wb. d. ndl. taal² 246 f.; Suppl. 69 f.; Vries, Ndls. et.
wb. 251 f.; Et. wb. Ndl. F-Ka 416 f.; Fryske wb. 8, 290;
Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 2, 74; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 257 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict.
H-66. — G. Schmidt 1962: 70 f. 76 f.
Die Vorform von ahd. hera ist wie von ahd.
wara ‚wohin‘, dara ‚dorthin‘ (s. d.) gebildet.
Es handelt sich um eine Ableitung mit dem
lokativischen Element *r + Instr.-Endung *-ē
von dem für das Germ. allgemein als *χi-
‚dieser‘ angesetzten nahdeiktischen Prono-
minalstamm (zu *r s. dâr). In diesem Fall
müßte in der westgerm. Fortsetzung von
*χirē a-Umlaut eingetreten sein. Weil aber
dieser Umlaut bei dem Fortsetzer von ur-
germ. *χinē unterblieben ist, könnte im
Germ. auch die Ablautvariante *χe- vorhan-
den gewesen sein, wie sie z. B. in lat. ce- in
cedo ‚gib her‘ < *k̂e-doh₃ auftritt (→ hina).
L. A. Connolly (ZVSp 97 [1984], 272) nimmt für den a-
Umlaut in ahd. hera usw. an, daß dieser durch den Kon-
takt von *i mit einem Laryngal entstanden sei; zustim-
mend B. Prósper, HS 108 (1995), 81. Diese Auffassung
ist jedoch unhaltbar.
Walde-Pokorny 1, 453; Pokorny 609.