hertî²
Band IV, Spalte 991
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hertî², hertin f. īn- und ō-St. (zur Dekl.
der urspr. -inō-Stämme burdin und vgl.
Braune-Reiffenstein 2004: § 211 Anm. 3b),
in Gl. seit dem 8. Jh.: Schulterblatt, Schul-
ter, Achsel; scapula, spatula, umerus
Var.:
hartin, harti (zum fehlenden Umlaut vgl.
Braune-Reiffenstein 2004: § 277. Mhd.
herte Schulterblatt.

Ahd. Wb. 4, 1017 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 357 (s. v.
hart¹); Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 520; Starck-Wells
257 (hartin, hartī); Schützeichel, Glossenwortschatz
4, 303; Seebold, ChWdW8 161; Lexer 1, 1266 (s. v.
herte).

Die einzigen germ. Entsprechungen sind aisl.
herðar f.pl. Schultern (< *harþijōz), norw.
dial. herd, ndän. dial. hærde, aschwed. hærþ
Schulter (aus dem Skand. entlehnt finn.
hartio, hartia, weps. hardio-d, lapp. [norw.]
harddo; vgl. Kylstra, Lehnwörter 1, 84).

Fick 3 (Germ.)⁴ 78; Vries, Anord. et. Wb.² 223;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 845; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 112; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 449;
Torp, Nynorsk et. ordb. 210; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 959 (s. v. skuldra).

Urgerm. *χarþi-ō-, -nō- geht wohl auf die
Wz. uridg. *(s)kerH- schneiden zurück,
wahrscheinlich in der Bedeutung ein flaches
(abgespaltenes) Stück
(vgl. G. S. Lane,
JEGP 32 [1933], 293 f.). Anlautendes s- hat
ahd. (Notker) skerte pl. Schultern (s. d.),
nhd. mdartl. schweiz. schert(e), scherten
Schulter(blatt) (Schweiz. Id. 8, 1310 f.). Zur
Bedeutung vgl. bes. mir. scíath Flügel,
Schwinge
(< Schulterblatt; vgl. kymr.
ysgwydd Schulter(blatt), akorn. scuid sca-
pula
, mkorn. scouth, bret. skoaz Schulter;
Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. S-43; Peder-
sen [190913] 1976: 1, § 49, 2) zur Wz.
*sk- schneiden (Pokorny 920), vielleicht
auch ahd. skultira Schulter (s. d.) zur Wz.
*(s)kel- schneiden (etwas anders Pokorny
925; s. u.). Zur Bedeutung ein flaches Stück
vgl. auch lat. spatula Rührlöffel, Schulter-
blatt
, nhd. (Schulter-)Blatt, ne. (shoul-
der-)blade; russ. lopátka Schaufel, poln.
łopatka Schulterblatt (russ. lopáta, poln.
łopata Schaufel, zur Wz. *lep- flach sein,
Hand, Fußfläche, Schulterblatt, Ruderblatt
;
Pokorny 679).

Dagegen wird lat. scapula(e) meistens auf ein Wort
für Schaufel = Gräber zurückgeführt, das wie gr.
σκάπτω grabe, σκαπάνη f. Hacke, Grabscheit zur
idg. Wz. *(s)kap- schneiden, spalten, graben gehört
(vgl. Pokorny 932; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2,
489 f.). Es ist aber möglich, daß auch dieses Wort
stattdessen urspr. ein abgeschnittenes Stück bedeute-
te: zur selben Wz. gehören nämlich russ. epá
Holzspan, lett. pele ein abgesplittertes oder ab-
geschnittenes Stück, das breite Ende am Ruder
, lat.
scāpus m. Schaft, Stiel, Stengel, Stamm, scōpa f.
dünner Zweig, Reis, ahd. skaft Schaft, Speer (s. d.)
usw. (Pokorny 932 f.).

Die zahlreichen Beispiele von Wörtern, die
sowohl Schaufel als auch Schulterblatt
bedeuten (vgl. auch nhd. mdartl. Schaufel
[meist. Dimin.] Schulterblatt eines Schlacht-
tieres
; Schweiz. Id. 8, 384; Fischer, Schwäb.
Wb. 5, 723) gehen fast alle auf eine Grund-
bedeutung ein flaches, abgespaltenes oder
abgeschnittenes Stück
(vgl. auch nhd.
Scheit, zur selben Wz. wie mir. scíath s. o.,
in Grabscheit) zurück. Wahrscheinlich ist
die Bedeutung ein flaches Werkzeug älter,
und das Schulterblatt wurde als ein schau-
felähnliches Stück
bezeichnet. Wenigstens
in den slaw. Sprachen muß das der Fall sein,
da die Wörter für Schulterblatt Diminutiva
von den Wörtern für Schaufel sind. Daß
diese Bezeichnungen aber durch die primiti-
ve Verwendung der Schulterblätter als
Werkzeuge zu erklären sind (Walde-
Hofmann, a. a. O. 2, 489 f.; Pokorny 925.
932), ist sehr unwahrscheinlich, da die ver-
schiedenen Belege räumlich weit verbreitet
sind.

Abzulehnen ist die Erklärung von urgerm. *χarþi-ō-,
-nō- als Substantivierung des Adj. *harþaz hart (
hart, hertî¹) bei Holthausen, a. a. O., Lexer, a. a. O.
u. a. (vgl. Notker, skerte mit s-, auch bildet das -inō-
Suffix keine subst. Adj.); auch der Vergleich mit russ.
kórtyki (Fick 3, a. a. O.; Zupitza 1896: 115; Falk-
Torp, a. a. O. u. a.), denn das russ. Wort bedeutet nicht
Schulter, sondern Lederriemen am Fuße des Jagd-
vogels
(Berneker, Slav. et. Wb. 1, 671; Vasmer, Russ.
et. Wb. 1, 636); ebenso der Vergleich mit lat. cartila-
go (H. Hirt, PBB 23 [1898], 351; vgl. Walde-
Hofmann, a. a. O. 1, 174 f.).

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