hintar
Volume IV, Column 1041
Symbol XML file TEI Symbol PDF file PDF Citation symbol Citation

hintarAWB adv., bei N: zurück, nach hin-
ten
. hintarAWB präp., seit dem 10. Jh.: (mit dat.)
hinter, bei, in; intra, post, (mit akk.) hinter;
infra, post, retro
, auch in enger Verbindung
mit Verben, z. B. hintar iro haltan in sich
enthalten
, hintar imo bihabên in sich
schließen
, hintar sih bikêren sich umdre-
hen; retrorsum converti
, hintar sih gistôzan
sich verschaffen. hintar-AWB Kompositions-
glied, seit dem 9. Jh. ( hintarbacho), präv.,
seit dem 10. Jh., z. B. in hintarkêren
umkehren, hintarkôsôn verleumden, hin-
tarqueman staunen, erschrecken, erstaunen,
bestürzt sein über, in Angst sein; commoveri,
exterrere, mirari, terreri, timere, turbari
,
hintarsehan zurücksehen, zurückblicken;
lumina flectere
, hintarskipfen auffangen;
excipere
, hintarskrenkôn betrügen, hinter-
gehen
, hintarsprâchôn verleumden; adver-
sus aliquem loqui
, hintarstân, hintarstantan
unternehmen, auf sich nehmen -d-; -ir,
-er; zur Vokalfarbe s. u.. Mhd. hinder, im
15. Jh. meist hinter, präp. mit akk., dat., gen.
hinter, adv. hinder hinten, zurück, hinder-
präv., z. B. hindergân von hinten herange-
hen, überfallen
, hindergrîfen von hinten
greifen, ergreifen
, hinderkomen hinter-
gehen, betrüben
, nhd. hinter präp., ostmd.,
süddt. betontes hínter- nach hinten präv.,
z. B. hinterbringen, -kommen, -schaffen, ost-
md. hinteressen, -kippen, -schlucken, unbe-
tontes hinter- präv., z. B. hintergehen.

Ahd. Wb. 4, 1115 f. 1117; 5, 126; Splett, Ahd. Wb. 1,
389. 451. 476. 717. 798. 852. 858. 910. 922. 923; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 549 ff.; Schützeichel⁶ 162. 185.
192. 201. 293. 310. 327. 331; Starck-Wells 276. 327.
544. 585. 586; Schützeichel, Glossenwortschatz 4,
324 ff.; 5, 192; 8, 363; 9, 162. 168; Graff 4, 504. 671.
702; 6, 122. 390. 594. 605; Lexer 1, 1293. 1294; 3,
Nachtr. 241; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 337 (infra). 351
(intra). 503 (post). 574 (retro). 575 (retrorsum); Dt. Wb.
10, 1486 ff.; Kluge²¹ 309; Kluge²⁴ s. v. 413; Pfeifer, Et.
Wb.² 544. Henzen 1969: 105 ff.

Ahd. hintar entsprechen: as. hindir- in hin-
dirscrenkig hinterhältig; versutus (falls der
Beleg in Gl. 2,572,5 as. ist; vgl. ahd. hintar-
skrenkîg
hinterlistig, hintarskranc Betrug
[s.dd.]), mndd. hinder präp. mit dat., akk.
hinter, nach, von ... ab; andfrk. (Williram, ca.
1100) hinder präp. hinter (in hinder unser
wande hinter unseren Mauern), mndl., nndl.
nur in Ableitungen (z. B. hinder Ungemach,
Störung
, hinderen hindern; hintaro adj.
kompar., hinteren); vgl. afries. hindera hinter,
dahinter
[ hintaro adv.], nfries. nur in Ab-
leitungen (z. B. hinder Belästigung, Behinde-
rung
, hinderlik störend, lästig, hinderje be-
hindern, belästigen
); ae. hinder adv. hinter,
hinten, nach, zurück
, hinder- (z. B. in hinder-
geap listig, betrügerisch; vgl. got. hindarweis
betrügerisch, eigtl. nach hinten blickend),
me. hnder adj. hintere, hnder- (z. B.
hnderdore Hintertür); aisl. hindr- (in hindr-
vitni Aberglaube, eigtl. Trug); vgl. aisl.
hindardags übermorgen, aschwed. hindra-
dagher, adän. hinderdag Tag nach der Hoch-
zeit
mit nordgerm. *hindra ( hintaro adj.
kompar.), (als mögliches Lehnwort aus dem
Mndd.:) nisl., fär., nnorw., nschwed. hindra,
ndän. hindre hindern; got. hindar präp. mit
dat., akk. hinter, jenseits, bei (Lk. 9, 13
nist hindar uns maizo fimf halbaim jah fiskos
twai nicht ist bei uns mehr als fünf Brote
und zwei Fische
), hindar-, z. B. in hindar-
leiþan hinzugehen, vergehen.

Auf eine urgerm. Vorform *χinder deuten die
Weiterbildungen ahd. hinterôro, hinterôst (
hintaro adj. kompar.). Die Ausgänge -ar, -er,
-ir bei ahd. hintar entsprechen denen von un-
tar, -er, -ir. Sie mögen sich infolge der
lautlichen Ähnlichkeit der beiden Präpositio-
nen einander angeglichen haben. Dagegen
kann in as. hindir- suffixales -e- an das -i-
der Wurzelsilbe assimiliert sein.

Fick 3 (Germ.)⁴ 87; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb.
2, 1, 312; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 270; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 3, 439 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 253; Vries, Ndls. et. wb. 258; Et. wb. Ndl. F-Ka
434 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 44; Richthofen, Afries.
Wb. 814; Fryske wb. 8, 359. 363. 364; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 2, 86 f.; Dijkstra, Friesch
Wb. 1, 518 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 160; Bosworth-
Toller, AS Dict. 537; Suppl. 542; Suppl. 2, 41; ME Dict.
s. v.; OED² s.vv. behind, hind, hinder; Vries, Anord. et.
Wb.² 228; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 252; Fritzner, Ordb.
o. d. g. norske sprog 1, 816; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 114; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1, 406;
Nielsen, Dansk et. ordb. 183 (s. v. hindre); Ordb. o. d.
danske sprog 8, 149 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 214;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 353; Svenska akad. ordb.
s. v. hindra; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 256 f.; Lehmann,
Gothic Et. Dict. H-65. Gallée [1903] 1977: 138.

Ahd. hintar gehört zum Jener-Pron.; vgl. got.
Mk. 10, 1 hindar iaurdanau jenseits, auf der
gegenüberliegenden Seite des Jordan
, Mt. 8,
18 hindar marein auf die gegenüberliegende
Seite des Meeres
. Die Basis bildet also ur-
germ. *χina- jener (s. hintana). Neben der
Bedeutung jenseits hat got. hindar auch die
Bedeutung hinter: Mk. 8, 33 gagg hindar
mik satana ὕπαγε ὀπίσω μου, σατανᾶ; gehe
hinter mich, Satan
. Im Westgerm. ist der Be-
deutungswandel von jenseits, auf der gegenü-
berliegenden Seite
zu hinten, auf der Rück-
seite
ausnahmslos durchgeführt; vgl. auch
ferndeiktisches aisl. hindar-dags übermorgen
(s. o.) wie gr. ἔνη übermorgen. Die vorur-
germ. Vorform von urgerm. *χinder ist nach
G. Klingenschmitt (in KS Klingenschmitt
2005: 254 Anm. 31) *entér (mit Osthoff-
scher Kürzung aus *ēntér) < *e-entér. Wie
bei der Vorform von ahd. hintana (s. d.) läßt
das vorangestellte urspr. nahdeiktische *i-
bzw. *e- als verstärkendes Element die
Deixis des ererbten jener-deiktischen Pro-
nominalstammes *ne/no- unverändert.

Das Suffix *-tér gehört zu dem in idg. Spra-
chen als Komparativsuffix verwendeten Suf-
fix *-ter/o- (ai. -tara-, gr. -τερο-) in der loka-
len Bedeutung an einem Ort, auf einer Seite
befindlich
, eigtl. zu dem einen (Ort), nicht
zu dem anderen (Ort) gehörig
(Lühr 1982:
469). Als Adj. erscheint ahd. hintaro
hintere (s. d.).

Außer lokativischem *-ter erscheint auch ein adver-
bieller Akk.Sg. n. *-terom möglich (Lühr 1982: 472).
Wegen des Dentals ist der unmittelbare Anschluß von
*-r an das -r von dâr (s. d.) unhaltbar.

G. Schmidt (1962: 280 ff.) geht wegen der Bedeutung
bei, mit der got. Präp. und der Bedeutung an der Seite
vorbei
des got. Präfixes (s. o.) für urgerm. *χinder von
der Bedeutung an der Seite vorbei aus; er übernimmt
M. v. Blankensteins (IF 21 [1907], 114 f.) Anschluß an
uridg. *kom mit, bei, zusammen, insbesondere an lat.
contrā(d) gegen. G. Schmidts (1962: 275 ff.) weitere
Verknüpfung mit aisl. hund- in hundvíss sehr weise im
Sinne von herab-weise (< *k-tá) und sein Ansatz ei-
nes gegenüber *kom-ter (> lat. contrā[d] mit uridg.
*-) ablautenden *kem-ter für urgerm. *χinder sind je-
doch nicht überzeugend.

Wegen der nahdeiktischen Bedeutung bleibt air. centar
diesseits (mit -nt- durch Vokalsynkope; Pedersen
[190913] 1976: 2, 44) fern (anders Vendryes, Lex. ét.
de l’irl. anc. C-63). Ein unmittelbarer Anschluß an
uridg. *i- dieser (z. B. Brugmann 1904: 144) kommt
so nicht in Frage ( hintana).

Information

Volume IV, Column 1041

Show print version
Citation symbol Citation
Symbol XML file Download (TEI)
Symbol PDF file Download (PDF)

Lemmas:
Referenced in: