hungar
Volume IV, Column 1223
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hungarAWB m. a/i-St., seit dem 8. Jh. in Gl.,
MH, T, O, N, Npg: Hunger, Hungersnot;
esuries, fames, ieiunium, penuria
, hungar
dulten Hunger leiden; esurire Var.: -k-;
-er. Da das Wort nur im Sg. belegt ist,
bleibt die Einordnung in die a- oder i-St.
fraglich (die ehemaligen u-St. sind zwar
mehrheitlich in die i-St. übergetreten, ein
Übertritt in die a-St. ist aber nicht ausge-
schlossen, wie aus ahd. dorn Dorn [s. d.]
hervorgeht; vgl. Braune-Reiffenstein 2004:
§ 220b mit Anm. 1; allgemein zum Schwan-
ken zwischen a- und i-St. Braune-
Reiffenstein 2004: § 216 Anm. 3). Ein Relikt
der ehemaligen u-Flexion liegt im Dat.Sg.
hungiru (O 2, 22, 22: ioh ouh gibit thir thia
uuist, thu hungiru nistirbist und Nahrung
auch verleiht er dir, daß du aus Hunger
nimmer stirbst
) vor; vgl. Franck [1909]
1971: §§ 131, 1. 145, 1; Braune-Reiffenstein
2004: § 220b Anm. 2. Mhd. hunger st. m.
Hunger, nhd. Hunger m. Verlangen nach
Nahrung, starkes Bedürfnis
.

Ahd. Wb. 4, 1358 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 410 f.; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 569; Schützeichel⁶ 170; Starck-
Wells 291. 822; Schützeichel, Glossenwortschatz 4,
434 f.; Seebold, ChWdW8 166; Graff 4, 962 f.; Lexer
1, 1385; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 230 (esuries, esuri-
re). 255 (fames). 312 (ieiunium); Dt. Wb. 10, 1943 ff.;
Kluge²¹ 321; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 564.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. hungar (Übertritt in die m. a-St. [Gallée
1993: § 298 Anm. 1; Holthausen 1921:
§ 304]; vgl. jedoch den einmaligen Instr.Sg.
hungru [Hel 4398: than ik bithuungan was
thurstu endi hungru dann war ich von Durst
und Hunger bezwungen
], der als Rest der
ehemaligen u-Flexion aufgefaßt wird [Gallée
1993: § 325 Anm. 1; Schaffner 2001: 500];
diese Annahme ist aber nicht zwingend, da
die Endung -u auch den a-St. zugeordnet
werden kann [Neri 2003: 293 Anm. 982a;
Gallée 1993: § 297 mit Anm. 4]), mndd.
hunger Hunger; andfrk. hunger (Flexions-
klasse nicht bestimmbar; entweder a- oder i-
St.), mndl. honger, hunger, nndl. honger
Hunger; afries. hunger, honger (Übertritt in
die a-St.; vgl. hierzu Helten 1890: § 179),
nfries. honger Hunger; ae. hungor (Über-
tritt in die m. a-St.; vgl. Brunner 1965:
§ 273), me., ne. hunger Hunger; aisl.
hungr, nisl., fär. hungur, ndän., nnorw.,
aschwed., nschwed. hunger (Übertritt in die
m. a-St.; vgl. Noreen [1923] 1970: § 358
Anm. 2; Noreen 1904: § 383, 1d): < urgerm.
*χungru-. Daneben steht mit grammatischem
Wechsel got. huhrus Hunger (mit Entwick-
lung von *-unχ- > got. *-χ-; vgl. Krahe-
Meid 1969: 1, § 42): < urgerm. *χunχru-.

Vom Subst. abgeleitet ist das sw. Verb
hungaren hungern.

Fick 3 (Germ.)⁴ 70; Holthausen, As. Wb. 38; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 279; Berr, Et. Gl. to Hel. 205 f.; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 387; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 333 (hunger-); Quak, Wort-
konkordanz zu d. am.- u. andfrk. Ps. u. Gl. 94; Quak,
Die am.- u. andfrk. Ps. u. Gl. 200; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 3, 549; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 259;
Vries, Ndls. et. wb. 265; Et. wb. Ndl. F-Ka 451; Holt-
hausen, Afries. Wb.² 48; Richthofen, Afries. Wb. 831;
Fryske wb. 9, 88 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. 2, 116; Dijkstra, Friesch Wb. 1, 537; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 178; Bosworth-Toller, AS Dict.
567; Suppl. 572; ME Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries,
Anord. et. Wb.² 267; Bjorvand, Våre arveord 407 f.;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 226 f.; Fritzner, Ordb. o. d.
g. norske sprog 2, 96; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awest-
nord. 132; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 432; Niel-
sen, Dansk et. ordb. 190; Ordb. o. d. danske sprog 8,
692 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 228; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 371; Svenska akad. ordb. s. v.; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 273; Lehmann, Gothic Et. Dict. H-
102. Schubert 1968: 66.

Das Nebeneinander von urgerm. *χungru-
und *χunχru- setzt ein vorurgerm. Paradigma
mit beweglichem Akzent *kń̥kru-/*kkrú-
voraus, wobei das wurzelhafte Element zur
Verbalwurzel uridg. *kenk- brennen, weh-
tun
gehört. Der Hunger, eigtl. das Brennen,
das Wehtun (des Magens)
, ist also nach dem
Gefühl, das Hunger verursacht, benannt (zu
dieser Grundbedeutung vgl. air. gorte Hun-
ger
, das zur Verbalwurzel *gher- warm
werden, brennen
gehört). Die Verbalwurzel
ist fortgesetzt in: gr. (Phot.) κέγκει πεινᾷ
hat Hunger (< *kenk-e/o-) und lit. keñkti
wehtun (< *kenk-e/o-). Nominale Ablei-
tungen der Verbalwurzel liegen vor in: gr.
-καγκής (in πολυκαγκής sehr brennend),
κάγκανος dürr (< *kk- > urgr. *kak- mit
analogischer Restitution von -n- nach den e-
stufigen Verbalformen; vgl. Schwyzer, Gr.
Gramm.² 1, 343), lit. kankà Schmerz, Qual
(< *konkéh₂). Wegen dem Verb aisl. pla-
gen, quälen
(< *χanχōe/a- < *konkéh₂-
e/o-) ist ein solches Subst. auch für das
Germ. anzunehmen (anders Wissmann 1932:
42, der von einem deverbativen ō-Verb aus-
geht und lit. kankà außer Betracht läßt). Zur
Erklärung des mobilen Akzents gibt es meh-
rere Vorschläge, die jedoch sämtlich auf ei-
ner zu schmalen Materialbasis beruhen. So
setzt Bammesberger 1990: 191 f. einen r-St.
*kénk-r-/*kk-r- an (so bereits Frisk, Gr. et.
Wb. 1, 751), der sekundär in die u-St. einge-
reiht worden wäre; für einen solchen r-St.
gibt es jedoch keine weitere Stütze (vgl. Neri
2003: 295 Anm. 993; Casaretto 2004: 414).
Schaffner 2001: 500 f. geht demgegenüber
von einer ru-Ableitung mit proterodynami-
scher Flexion aus, also nom.sg. *kénk-ru-s,
akk.sg. *kénk-ru-m : dat.sg. *kk-ré-e,
gen.sg. *kk-ré/ó-s, lok.sg. *kk-r[± i],
die im Urgerm. mit Verallgemeinerung der
Schwundstufe ein Paradigma nom.sg.
*χunχruz : gen.sg. *χungraz ergeben hätte,
die Einzelsprachen hätten dann eine der bei-
den Varianten verallgemeinert. Die von ihm
angeführte Parallele ai. nom.sg. átru- m.
Feind, gen.sg. átro (< *át-ru-, *at-
ré/ó-s) ist jedoch ein nomen agentis und
kein nomen actionis; weitere Beispiele eines
proterodynamischen ru-St. fehlen in den idg.
Sprachen (vgl. Neri 2003: 296). Neri 2003:
295 f. nimmt schließlich einen heterokliti-
schen r/n-St. mit amphidynamischer Flexion
an: *kénk-or-/*kk-n-´ Leiden, Qual (Typ
uridg. *éd-or-/*ud-n-´ Wasser; waz-
zar
). Im Urgerm. wäre die Schwundstufe und
das r-Suffix verallgemeinert worden, so daß
sich ein Paradigma urgerm. nom.sg. *χunχō,
gen.sg. *χungriz, akk.pl. *χungrūn, dat.pl.
*χungrumiz ergeben hätte. Der Übertritt in
die u-St. wäre durch die Formen des
Akk./Dat.Pl. ermöglicht. Diese Erklärung hat
den Vorteil, daß mit ihr auch die gr. Formen
aus demselben Paradigma erklärt werden
können: Adj.-Ableitung mit *-o- vom Lok.
Sg. *kk-én- uridg. *kk-en-ó- mit analogi-
scher Einfügung von -n- und Suffixersatz
*kank-an-ó- > gr. κάγκανος.

Sehr unsicher bleibt die Zugehörigkeit von ai.
kkati begehrt zur Verbalwurzel uridg. *kenk-
brennen, wehtun (vgl. Mayrhofer, K. et. Wb. d.
Aind. 1, 194; ders., Et. Wb. d. Altindoar. 1, 335).
Auch der Anschluß der von W. Schulze, KS Schulze
1933: 329 hierher gestellten gr. Wörter Hes. κακιθής
ἄτροφος ἄμπελος schlecht genährt, dürr, Hes.
κακιθές χαλεπόν, λιμηρές schwer, schwierig und
Theognost. κακιθά λιμηρά hungrig ist problema-
tisch, da diese Wörter auch zu gr. κακός schlecht ge-
stellt werden können (Neri 2003: 294).

Walde-Pokorny 1, 401; Pokorny 565; Frisk, Gr. et.
Wb. 1, 750 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 478; Traut-
mann, Balt.-Slav. Wb. 126; Fraenkel, Lit. et. Wb. 240.
Schaffner 2001: 499 ff.; Neri 2003: 292 ff.; Casaret-
to 2004: 414.

S. hungaren.

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