igil
Band V, Spalte 22
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igilAWB m. a-St., seit dem 9. Jh. in Gl.,
NBo, Nps und Npg: Igel, Seeigel; choero-
grillum, echinus, ericius, erinacius, pilax

Var.: î-, y-, ie-, hi-; -el. Vermeintliche Be-
lege mit anl. Langvokal, etwa Schreibungen
mit î-, treten nur in Hss. auf, in denen sich
auch andere Belege für die Verwendung von
Zirkumflexen über Vokalen finden, die si-
cher immer kurz waren (RGA² 15 [2000],
335). Sie sind somit nicht beweiskräftig,
zumal dann auch sonst im Nhd. verbrei-
tet Formen mit Diphthongierung zu ei- zu
erwarten wären. Zum Zusammenhang von
igil mit ahd. egala f. n-St. Blutegel s. u.
Ein PN ahd. *Igil(o) lässt sich aus dem
ON Igelingen (12. Jh.), heute Igling (Land-
kreis Landsberg a. Lech) erschließen (von
Reitzenstein 2006: 121 f.).

Unsicher bleibt, ob die Bez. des Igels oder des
Egels, allerdings mit Suff.variante *-ula- (s. u.), in
dem aus dem Westgerm. entlehnten FlN tschech.
Jihlava, dt. Iglau, der später auch auf eine Siedlung
übertragen als ON verwendet wurde, vorliegt: 1227
Ihlaua, 1233 Gyglaua < westgerm. *igul(a)-aō- <
urgerm. *eul(a)-aō- I/Egel-Wasser (vgl. V.
Blaek, in Brozovi Ronevi 2010: 36).

Mhd. igel st.m. Igel, Art Belagerungs-
maschine, Art Geschoß
, frühnhd. igel Igel,
Belagerungsmaschine, Viehkrankheit, Igel-
salz
(die bei Luther [laut Kluge²¹ 324] an-
geblich auch auftretende Form Eigel be-
zeichnet dort nur den Egel, nicht den Igel),
nhd. Igel m. mit Stacheln versehenes, sich
zur Verteidigung zusammenrollendes, brau-
nes kurzbeiniges Säugetier
. Das heutige /ī-/
beruht auf der frühnhd. Dehnung von Kurz-
vok. in offener Silbe.

Aus den osächs. Dial. wurde das Wort in der Bed.
Gerät zum Furchenziehen und Jäten auf den Kartof-
fel- und Rübenfeldern
ins Osorb. entlehnt (Bielfeldt
1933: 149).

Ahd. Wb. 4, 1464 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 420; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 576; Schützeichel⁷ 163; Starck-Wells
297; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 485 ff.; See-
bold, ChWdW9 439 f.; Graff 1, 130 f.; Lexer 1, 1418;
Frühnhd. Wb. 8, 16 f.; Diefenbach Gl. lat.-germ. 207
(ericius); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 216 (echinus). 227
(ericius); Dt. Wb. 10, 2044 ff.; Kluge²¹ 324; Kluge²⁵
s. v. Igel; Pfeifer, Et. Wb.² 571. DRW 6, 193.

Ahd. igil entsprechen in den anderen germ.
Sprachen: as. igil, mndd. ēg(h)el, īgel; mndl.
eg(h)el m., nndl. egel; nwestfries. ychel, igel,
saterfries. tuuniegel; ae. ig(i)l, īl, me. īl
Igel; aisl. igull und ígull Seeigel, ígull-
kttr Igel, nisl. igull und ígull, norw. igle,
dän. igle, ält. dän. auch egel und jœvel,
schwed. igel; got. PN Igila m. n-St.

Das Wort ist in allen (alt)germ. Sprachen mit
Ausnahme des Got., wo es nur in einem PN
begegnet, appellativisch belegt. Diese For-
men führen auf urgerm. *eila- zurück, für
das Aisl. ist zudem mit einer Suff.variante
*eula- zu rechnen. Die Form zeigt den auch
sonst bei diesem Suff. öfter nachweisbaren
Wechsel im Vokal vor der Liquida. Es han-
delt sich bei der Bildung um eine Ableitung
mit dem Denominative bildenden Zugehö-
rigkeitssuff. urgerm. *-(u/i)la- (Krahe-Meid
1969: 3, § 87, 5) zu einem sonst im Germ.
nicht fortgesetzten Wort für Schlange, das
am ehesten als uridg. *h₁ehi- anzusetzen ist
(s. u.). Der Vokal des Suff. ist also urspr.
nicht Teil desselben, sondern beruht auf
Metanalyse des zugrunde liegenden Nomens
urgerm. *ei-la- > *e-ila-. Die urspr. Bed.
wäre mithin der zur Schlange Gehörige im
Sinne von Schlangen fressendes Tier, einer
Benennung nach der Eigenschaft des Igels,
auch kleinere Schlangen oder Blindschlei-
chen etc. zu fressen. Problematisch ist hier-
bei jedoch, dass dies nicht ein typisches Ver-
halten von Igeln ist. Eine andere morpholo-
gische Erklärung schlägt Beekes, Et. dict. of
Gr. 1, 489 vor, der mit Suffixersatz in ererb-
tem urgerm. *eīna- (das eine Wortglei-
chung mit gr. ἐχῖνος m. Igel etc. [s.u.] bil-
den würde) zu urgerm. *eīla- rechnet. Laut-
lich ist diese Lösung zwar einwandfrei, und
der Vorgang der Ersetzung könnte auch
damit begründet werden, dass das Suff. ur-
germ. *-īna- sonst Ableitungen bildet, denen
urgerm. *eīna- aus semantischen Gründen
nicht zugeordnet werden kann (Stoffadj.,
Dimin.; vgl. hierzu Krahe-Meid 1969: 3,
§ 95), es fehlen aber Parallelen für einen
derartigen Ersatz.

Fick 3 (Germ.)⁴ 23. 559; Tiefenbach, As. Handwb.
196; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 81. 197; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 1, 1, 515; 2, 1, 410; Schil-
ler-Lübben, Mndd. Wb. 1, 630; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 2, 583; 3, 806; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
150; Vries, Ndls. et. wb. 152; Et. wb. Ndl. A-E 665;
Fryske wb. 9, 184; Fort, Saterfries. Wb. 175; Holthau-
sen, Ae. et. Wb. 187; Bosworth-Toller, AS Dict. 587;
Suppl. 589; ME Dict. s. v. īl; OED² s. vv. il, ile;
Vries, Anord. et. Wb.² 284; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
51 f.; Magnússon, sl. Orðsb. 418; Fritzner, Ordb. o.
d. g. norske sprog 2, 200; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 142; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 459;
Nielsen, Dansk et. ordb. 204; Ordb. o. d. danske
sprog 9, 74 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 241; NOB s. v.
igle; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 400; Svenska akad.
ordb. s. v. igel; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 290 f.;
Lehmann, Gothic Et. Dict. I-11. Palander 1899:
25 f.; Neuss 1973: 109; RGA² 15, 335 f.

Das der denominativen Zugehörigkeits-
bildung zugrunde liegende Subst. uridg.
*h₁ehi- ist direkt in gr. ἔχις m./(f.) Schlan-
ge, Viper, Otter
fortgesetzt. Neben der
germ. Zugehörigkeitsbildung mit l-haltigem
Suff. begegnen in anderen Sprachfamilien
nach demselben Muster, nur mit anderen
Suff. gebildete Ableitungen: gr. ἐχῖνος m.
Igel, Seeigel, Gefäß, bes. zur Aufbewahrung
gerichtlicher Dokumente, der dritte Magen
der Wiederkäuer, der gerundete Teil des
dorischen Säulenkapitells
(wahrscheinlich
auch im PN myk. nom. E-ki-no /ekhīnos/ KN
Da 1078, gen. E--no-jo /ekhīnoo/ PY An
661. 1; vgl. Aura Jorro-Adrados 1985 ff.: 1,
212) < *h₁ehi-Hno-, das als Lehnwort lat.
echinus übernommen wurde, lit. es, lett.
ezis, aksl. eь, aruss. auch oь, russ. ë, gen.
eá, ukrain. i, iak, wruss. yk, bulg. e,
maked. e, serbo-kroat. j, gen. a, slo-
wen. j, polab. iz, tschech. jeek, poln. je,
osorb. j, ndsorb. je, dial. ja, kaschub. ,
slowinz. jė́ < *h₁ehi-o-, sowie als Ablei-
tung davon tschech. jeice, serbo-kroat. jè-
ica Igel-Weibchen. Dabei ist für das Ur-
slaw. mit einer Synkope des inlautenden
-i- zu rechnen, sofern nicht die balt. und
slaw. Wörter direkt von der Wz. gebildet
sind (*h₁eh-o-). Dagegen liegt in der gr.
und germ. Form bereits ein i-St. vor, von
dem die weitere Ableitung erfolgte.

Weiterhin ist arm. ozni Igel < uridg.
*h₁ohi-h₁n(i)o- mit o-stufiger Wz. und mit
einer für das Arm. typischen Erweiterung
des Nasalsuff. um *-(i)o- hier anzuschließen
(vgl. Olsen 1999: 829831; ähnlich auch
Matzinger 2005: 20: uridg. *h₁ohīnio-s).
Für das Nasalsuff. wird bisweilen auch mit
dem von K. Hoffmann entdeckten Poss.suff.
uridg. *-Hn- bzw. *-h₃n- gerechnet, wodurch
sich uridg. *h₁ohi-Hn-(i)eh₂- ergibt (Mar-
tirosyan, Et. dict. of Arm. 525). Der bei iden-
tischem Suff. ungewöhnliche Ablautunter-
schied zwischen dem gr. und arm. Wort
könnte auf ein der Ableitung zugrunde lie-
gendes urspr. ablautendes akrostatisches
Paradigma eines i-St. st. *(h₁)óh-i-, sw.
*(h₁)éh-i- deuten (vgl. Olsen 1999: 508 f.).
Da gewöhnlich sekundäre Ableitungen vom
sw. St. erfolgen, erwiese sich die arm. Bil-
dung als eine Ausnahme von dieser Regel
oder als innerarm. analogische Neuerung.

Eine der gr. und arm. Bildung nahestehen-
de Ableitung *(h₁)éh-i-no- > uriran. *aźina-
wird in osset. wyzyn, uzun Igel fortgesetzt.

Des Weiteren dürfte ein Zusammenhang von
igil mit ahd. egala f. Blutegel (s. d.) be-
stehen. Ahd. egala setzt dann aber nicht ei-
nen i-St. fort, sondern wiese über urgerm.
*ealōn- < *ea- + -l- + -ō(n)- auf einen
o-St. uridg. *h₁eh-o-, der nur durch das
Germ. indirekt bezeugt wäre.

Eine bisweilen auch in neuerer Zeit noch erwogene
Zusammengehörigkeit des balt. Wortes für den Igel
mit dem für den Barsch, lit. eers < lit. dial. aers,
apreuß. assegis für *asseris (Maiulis, Apreuß. et.
Wb. 1, 104 f.; Toporov, Pruss. jazyk A-D 133 f.) als
stachliges Tier ist aufgrund des hierfür zu fordern-
den wurzelausl. stimmlosen Kons. nicht gegeben.
Dieses balt. Wort gehört zur Wz. uridg. *h₂e- spitz
(Smoczyski, Słow. et. jz. lit. 149; Anikin 1998:
337 f.). Ebenso ist ein Zusammenhang des Igelworts
mit dem gemeinslaw. Wort für die Nadel, *jьgla, nun
obsolet, denn dieses erfordert einerseits eine i-haltige
Wz. und andererseits einen wz.schließenden Velar
(Et. slov. jaz. staroslov. 239). Eine sichere Ablei-
tung vom slaw. Igelwort stellen die slaw. Bez. für die
verschiedenen Arten der Brombeere dar. Die semanti-
sche Verbindung bilden hierbei die Stacheln des Igels
wie der Brombeere: russ. eevíka, oína, russ. dial.
oevíka, aevíka, ukrain. ona, jeevka, wruss.
ana Waldbrombeere (Rubus fructicosus), aruss.
eevika, eeviga, eevica, russ. oíka, tschech. jeina,
jeiník, poln. jeyna Ackerbrombeere (Rubus Cae-
sius) etc. Das gleiche semantische Motiv liegt auch
den morphologisch nahestehenden Ableitungen serbo-
kroat. ina Art essbare Seemuschel, evica Wie-
sengras, Brombeere
, slowen. jeíca stachlige Hülle
(von Kastanien etc.)
zugrunde (Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 266; Trubaëv, t. slov. slav. jaz. 6, 35 f.;
Derksen, Et. dict. of Slav. 149; Vasmer, Russ. et. Wb.
1, 393; 2, 257; ders., t. slov. russ. jaz. 2, 11; 3, 125;
Popowska-Taborska 1984: 69 ff.).

Gr. ὄφις (Frisk, Gr. et. Wb. 2, 453; Chan-
traine, Dict. ét. gr. 842; Beekes, Et. dict. of
Gr. 2, 1134 f.), ai. áhi- (vgl. Mayrhofer,
KEWA 1, 68; ders., EWAia 1, 156), av. ai-
(vgl. Rastorgueva-Edelman, Et. dict. Iran.
lang. 1, 297), aarm. i Schlange müssen
aufgrund der Tatsache, dass bei ihnen im
Wz.auslaut ein alter Labiovelar vorlag, fern-
bleiben; sie sind auf *h₃egh-i-, *h₃ēgh-i-
zurückzuführen. Zudem hätten zu diesem
Etymon gehörige Wortformen urgerm. **a-
resp. **ē- ergeben. Die Verbindung des
Igels mit dem Wort für die Schlange dürfte
in den verschiedenen Sprachen somit auf se-
kundärer volksetym. Angleichung beruhen.

Walde-Pokorny 1, 115; Pokorny 44 f. 292; Rastor-
gueva-Edelman, Et. dict. Iran. lang. 1, 296; Frisk, Gr.
et. Wb. 1, 601 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 391 f.; Bee-
kes, Et. dict. of Gr. 1, 489; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 1, 413 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 191. 200;
Thes. ling. lat. 5, 2, 45 f. 776; Du Cange² 3, 289; Kör-
ting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 3200a. 3273; Meyer-Lüb-
ke, Rom. et. Wb.³ Nr. 2825; Wartburg, Frz. et. Wb. 3,
238; Hübschmann, Arm. Gr. 481; Martirosyan, Et.
dict. of. Arm. 523 ff.; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 14.
73; Berneker, Slav. et. Wb. 1, 266 f.; Trubaëv, t.
slov. slav. jaz. 6, 36; Derksen, Et. dict. of Slav. 149;
Et. slov. jaz. staroslov. 239; Bezlaj, Et. slov. slov. jez.
1, 232; Snoj, Slov. et. slov.² 242; Vasmer, Russ. et.
Wb. 1, 392; ders., t. slov. russ. jaz. 2, 10; Schuster-
ewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 460; Olesch, Thes. ling.
drav. pol. 313; Smoczyski, Słow. et. jz. lit. 150;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 572; Karulis,
Latv. et. vārdnīca 1, 274; Trautmann, Apreuß. Spr.-
denkm. 90. 305; Maiulis, Apreuß. et. Wb. 1, 104 f.; To-
porov, Pruss. jazyk A-D 133 f. Brückner 1927: 207;
F. Specht, ZVSp 66 (1939), 56 f.; Sławski 1952 ff.: 1,
572 f.; 225; Gluhak 1993: 301; Andersen 1996: 55,
86, 92, 103, 114, 149152; Anikin 1998: 343; Ba-
kowski 2000: 1, 591; Schmitt 2007: 65; Orel 2011: 1,
336 (mit veralt. Herleitung aus urgerm. *eala-).

S. egala.

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