jâmar
Band V, Spalte 265
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jâmarAWB adj., seit dem 9. Jh., bei O, in
NBo: betrübt, klagend, beklagend, schmerz-
voll, schwermütig
Var.: â-. Nachahd.
ist nur das substantivierte Adj. fortgesetzt
(s. jâmar m./n. a-St.).

Ahd. Wb. 1, 311; 4, 1781; Splett, Ahd. Wb. 1, 18 f.;
Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 640 (jâmar¹); Schützeichel⁷
168; Starck-Wells 315; Seebold, ChWdW9 452; Graff
1, 597; Dt. Wb. 10, 2250 ff.; Kluge²¹ 330; Kluge²⁵ s. v.
Jammer; Pfeifer, Et. Wb.² 595. Braune-Reiffenstein
2004: § 116 Anm. 4.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen
(oft nur in substantivierter Form): as. jā-
mar-, mndd. jāmer, jammer; andfrk. jamer
subst. Verdruss, Schmerz, Traurigkeit,
mndl. jam(m)er subst. dss., nndl. jammer
adj. betrauernswert; afries. iāmer, jammer
n. Jammer, Elend, Not, nwestfries. jammer
adj., adv., subst., saterfries. jammer subst.;
ae. gēomor, me. yomer, yeo(u)mer, yimer
betrauernswert, schmerzlich: < westgerm.
*ǣm(a)ra-.

Die nordgerm. Subst. norw. jammer, adän.
iæmber, dän. jammer, schwed. jämmer sind
aus dem Mndd. oder auch erst aus dem Nhd.
übernommen. Ebenso sind die fries. Formen
wohl Entlehnungen aus dem Ndd. oder Ndl.

Das Adj. ist am ehesten eine Rückbildung
aus einem westgerm. Verb *()ǣmarō-; vgl.
ae. gēomrian jammern, klagen, ahd. (j)â-
marôn
(s. d.). Nahe stehen mit anderem Vo-
kalismus aisl. amra miauen < urgerm. *a-
m(a)rō-, ohne -r- aisl. emja < urgerm. *a-
m(i)a- heulen. Es könnte sich somit um
eine onomat. Bildung handeln. Möglich ist
eine etym. Verbindung zwischen urgerm.
*am- und urgerm. *ēm-, wenn die Vor-
formen auf uridg. *Hom(H)- und *Hēm(H)-
beruhen (s. u.).

Die Formen mit anl. urgerm. *- müssten
dann aber analogisch erklärt werden, etwa
durch die Einkreuzung eines weiteren se-
mantisch nahestehenden Worts, oder man
müsste von zwei verschiedenen Etyma aus-
gehen, die dann zusammengefallen wären.

Fick 3 (Germ.)⁴ 329; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 323 f.; Tiefenbach, As. Handwb. 195;
Sehrt, Wb. z. Hel.² 298; Berr, Et. Gl. to Hel. 216;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 476; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 397; ONW s. v. jāmar subst.;
VMNW s. v. jamer subst.; Verwijs-Verdam, Mndl. wb.
3, 1011 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 278; Vries,
Ndls. et. wb. 285; Et. wb. Ndl. F-Ka 562; Hofmann-
Popkema, Afries. Wb. 253; Richthofen, Afries. Wb.
837; Fryske wb. 10, 19 (jammer²); Dijkstra, Friesch
Wb. 2, 24; Fort, Saterfries. Wb. 116 (jammerje); Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 142; Bosworth-Toller, AS Dict.
425; Suppl. 385; ME Dict. s. v. yōmer; OED² s. v.
yomer adj.; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 470 f.;
Nielsen, Dansk et. ordb. 210; Ordb. o. d. danske
sprog 9, 761 f.; NOB s. v. jammer; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 426; Svenska akad. ordb. s. v. jämme.

Da es sich bei dem Wort um eine in ihrem
Ursprung vielleicht onomat. Bildung han-
delt, ist fraglich, ob es sich bei den weni-
gen außergerm. Anschlüssen an westgerm.
*()ǣm(a)ra- (< urgerm. *[]ēm[a]ra-?) bzw.
nordgerm. *am(a)ra- um Urverwandtschaft
oder um eigenständige Neubildungen han-
delt. An die -losen Formen sind gege-
benenfalls mir. amar, kymr. afar m. Ge-
sang, Leid, Klage
< urkelt. *amaro- anzu-
schließen.

In vielen Etymologica wird ein Zusam-
menhang von ahd. (j)âmar etc. mit gr.
ἥμερος zahm, zivilisiert, kultiviert ange-
nommen. Sollte es sich bei der Var. gr.
ἅμερος mit Forssman 1966: 4145 um einen
Hyperdorismus sowie sekundäre Anglei-
chung an gr. ἡμέρᾱ Tag (ausgehend von
Komposita) handeln, kann für das gr. Wort
urgr. *ēm° oder *sēm° angesetzt werden. Im
Falle einer Verbindung mit den westgerm.
Wörtern ist eine Vorform uridg. *ēmh₁-ro-
oder *eh₁mh₁-ro- anzusetzen mit der lautge-
setzlichen Entwicklung von uridg. *-h₁-ro-
zu dem Suff. gr. -ερο-. Bei sekundärer Ent-
stehung des Suff. ist es Ersatz für älteres gr.
-ρος. In diesem Falle ist die Vorform uridg.
*ēm-ro- oder uridg. *eh₁m-ro-. Je nach An-
satz der Wz. als uridg. *em- oder uridg.
*eh₁m- wäre dann mit einer Vollstufe oder
sogar Dehnstufe in einem ro-Adj. zu rech-
nen, einer Wortbildungsklasse, die gewöhn-
lich schwundstufige Wz. zeigt. Im ersten
Falle könnte die Wz. uridg. *em- hin-
strecken
(LIV²314) vorliegen; vgl. ai. yác-
chati streckt aus, reicht, lenkt < uridg.
*-sé-ti (mit sekundärer Akzentverschie-
bung; vgl. Mayrhofer, EWAia 2, 399 f.) und
die weiteren indoiran. Anschlüsse. Unter die-
sem Ansatz lassen sich gegebenenfalls die
gr. (hingestreckt > unterworfen > zahm
o. ä.) und ai. Belege semantisch vereinen, für
die germ. Form ist dies indes kaum möglich.

Bei der bei Walde-Pokorny 1, 207; Frisk, Gr. et. Wb.
1, 636; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 519 u. a. angeführten
Form ai. yámati zähmt handelt es sich um ein min-
destens seit Walde-Pokorny tradiertes ghost-word.
Das etwa bei Frisk, a. a. O. und Beekes, a. a. O. ge-
nannte ai. sāntva- n. in der Bed. Milde ist nach
Mayrhofer, EWAia 2, 724 wohl ähnlich zu beurteilen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die
Etym. des ahd. Worts unsicher bleibt. Mit
dem gr. Comparandum kann es nur zusam-
mengestellt werden, wenn man für diese bei-
den eine neue Wz. ansetzt und semantische
Veränderungen auf der einen oder anderen
Seite annimmt. Die Erklärung als Weiter-
entwicklung aus einem urspr. Onomatopoe-
tikon bleibt weiterhin eine Möglichkeit.

Walde-Pokorny 1, 207; Pokorny 505; LIV² 314;
Mayrhofer, KEWA 3, 2 f.; ders., EWAia 2, 399 f.;
Rastorgueva-Edelman, Et. dict. Iran. lang. 4, 68 ff.;
Cheung, Et. dict. of Iran. verb 211 f.; Frisk, Gr. et.
Wb. 1, 635 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 412 f.

S. jâmar m./n. a-St.

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