lefs
Band V, Spalte 1104
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lefsAWB m. a-St., lefsoAWB m. an-St., Gl.
1,316,25. 336,13. 447,20. 620,37 (alle Ende
des 8./Anfang des 9. Jh.s, alem.) und in
weiteren Gl., in B, GB, Nps, Npg, Npw,
WH: Lippe, Rand, (übertr.) Sprache, Äu-
ßerungen; balbus, labium, labrum, talzim
[lingua ignota, Hildeg.]
Var.: leffs, lefz,
leps, metathiertes lespho. Das sw. Mask. ist
jünger und begegnet erst in Nps und Gl. ab
dem 12. Jh. Mhd. lefs, lesp st.m., lefse
sw.m./f. Lippe, frühnhd. lefze, lefse f., leb-
se, lepse m. Lippe, Mund, Rand, Spalte,
Wundrand
, einer lefzen sein dieselbe Spra-
che sprechen
, daneben auch schon lippe f.,
das fast nur im Pl. verwendet wird und vor-
wiegend in poet. Texten begegnet, nhd. Lef-
ze f. Lippe [bei Hund und Raubwild]. Ab
dem 16. Jh. wird Lefze als Bez. für den Rand
der Mundöffnung beim Menschen von aus
dem Ndd.-Md. stammenden Lippe verdrängt.
Nhd. mdartl. ist mhd. metathiertes lesp fort-
gesetzt: vgl. schweiz. lesp, lespen m. Lippe,
Hängemaul
, els. lespen m., lothr. leschbe
m./f., rhein. lespel f. (mit l-Suff. in dimin.
Funktion oder zur Bez. von Instrumenten),
pfälz. lespe f., lespen m. Lippe.

Ahd. Wb. 5, 716 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 520; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 709; Schützeichel⁷ 194; Starck-
Wells 364 f.; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 10 f.;
Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 296 (II); Seebold,
ChWdW8 187; ders., ChWdW9 502; Graff 2, 206; Le-
xer 1, 1856; 3, Nachtr. 294; Frühnhd. Wb. 9, 606 ff.
1260; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 314 (labium, lab-
rum); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 363 (labium¹); Dt.
Wb. 12, 515 ff.; Kluge²¹ 430 f.; Kluge²⁵ s. v. Lefze;
Pfeifer, Et. Wb.² 805 (s. v. Lippe). Bahder 1925: 34
36. Schweiz. Id. 3, 1462; Martin-Lienhart, Wb. d.
els. Mdaa. 1, 570; Follmann, Wb. d. dt.-lothr. Mdaa.
1, 336; Müller, Rhein. Wb. 5, 404; Christmann, Pfälz.
Wb. 4, 943.

In den anderen germ. Sprachen gibt es keine
Entsprechungen. Dort kommen für Lippe
entweder Entsprechungen von den verwand-
ten Wörtern ahd. leffur (s. d.), nhd. Lippe
(< urgerm. *lepan-) etc. oder abweichende
Bez. (got. wairila, ae. weler, weolar, aisl.
vrr usw.) vor. Auszugehen ist von einer
Vorform westgerm. *lepsa(n)-.

Fick 3 (Germ.)⁴ 362.

Westgerm. *lepsa(n)- ist eine Ableitung von
der Wurzel uridg. *(s)leb- herabhängen,
schlaff
(s. lappa, leffil, slaf, slâfan etc. [wei-
tere Anschlüsse ebd.]; bei Zusammengehö-
rigkeit all dieser Lexeme und der Annah-
me, dass es sich um eine Wz. mit s-mobile
handelt, entfiele der Ansatz einer Wz. uridg.
*sleh₁b- im LIV² 565). Das Wort kann nur
ohne die Annahme analogischer Umbildun-
gen erklärt werden, wenn es die Weiterbil-
dung eines urspr. akrostatischen n. s-St.
vorurgerm. *léb-os, gen. *léb-s-s. ist. Bei der
westgerm. Form liegt dann eine sekundäre
Thematisierung des sw. Stamms. *leb-s- vor.
Bei dem akrostatischen Typ der s-St. handelt
es sich aber um einen sehr archaischen Fle-
xionstyp, der sonst im Germ. nicht fortge-
setzt zu sein scheint. Vielmehr ist für germ.
s-St. eher vom (wohl erst sekundär entstan-
denen) proterokinet. Typ auszugehen. Dieser
flektierte vorurgerm. nom.akk.sg. *léb-os-Ø
> urgerm. *lepaz, gen.sg. *leb-és-os > ur-
germ. *lepisaz, nom.pl. *léb-os-h₂ > *léb-ōs
> urgerm. *lepōz. Ausgehend von diesem Pa-
radigma ist eine Form westgerm. *lepsa(n)-
nur über die Annahme analogischer Umwege
zu gewinnen. Die von N. Wagner, HS 110
(1997), 163 f. gebotene Erklärung aus ei-
nem alten s-St. ist zu verwerfen, da dort
mit falschen Grundannahmen zu Ablaut und
Flexion der s-St. operiert wird: Ausgehend
von idg. Nom.Akk. *léb-os-Ø, Gen. *leb-
és-(e/o)s
kann es in den starken Kasus
*léb-s-
in dem angeführten Paradigma nicht
gegeben haben. Es dürfte insgesamt wahr-
scheinlicher sein, hier gleich mit dem bereits
im Urgerm. durch Metanalyse aus sekundär
thematisierten s-St. gewonnenen Suff. *-sa/ō-
zu rechnen (Krahe-Meid 1969: 3, § 113,1).

Zu anderen, lautlich nicht möglichen Rekonstruk-
tionen wie *lepas, *lepazes (Kluge²¹ a. a. O.) oder un-
wahrscheinlichen etym. Herleitungen vgl. N. Wagner,
HS 110 (1997), 161164.

Außerhalb des Germ. hat die Bildung keine
Entsprechung. Zugehörig sind in erster Linie
it. Bildungen wie lat. labium, labrum n. Lip-
pe
< urit. *labo-, *labro-. Das -a- bereitet
hierbei Schwierigkeiten: Am ehesten handelt
es sich um Vokalisierungen urspr. schwund-
stufiger Formen *b-o-, *b-ro-. Die Annah-
me einer Adstratform (so etwa de Vaan, Et.
dict. of Lat. 319) ist jedoch unnötig. Nicht
endgültig geklärt ist die weitere Verbindung
dieser lat. Wörter mit lat. lābor gleite, schlei-
fe, sinke
mit langem -ā- und labo wanke,
schwanke
.

Walde-Pokorny 2, 431 ff.; Pokorny 655 ff.; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. 1, 738 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 333 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 319 f. N. Wag-
ner, HS 110 (1997): 161165.

S. leffur.

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