lizAWB m. a-/i-St., in Gl. 2,172,16 (Clm.
6277, Hs. Anfang des 9. Jh.s, Zeit des Gl.-
eintrags unbekannt, bair.): ‚Vorwand; obten-
tus‘ 〈Var.: nur dat.sg. lizze〉. — Mhd. liz, gen.
litzes st.m., litze sw.m./f. ‚Begehren, Streben,
Laune‘, frühnhd. liz, litze m./f. ‚Laune, Gril-
le, Wahn, Aberglaube, Posse‘, nhd. mdartl.
schwäb., vorarlb. †litz m. ‚Begehren, Lau-
ne‘, bair. litz, litzen m. ‚Gelüste, Laune, Gril-
le, Tücke, Eigenheit‘, tirol. litz m. ‚List,
Kniff‘, litze f. ‚Verschlagenheit‘; vgl. osächs.
litzel m. ‚Unpässlichkeit, harmlose Krank-
heit‘ (mit dimin. l-Suff.).
Ahd. Wb. 5, 1226; Splett, Ahd. Wb. 1, 559; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 733; Schützeichel⁷ 205; Starck-Wells
382; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 137; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 518; Seebold, ChWdW9
535; Graff 2, 317; Lexer 1, 1945 f.; 3, Nachtr. 302;
Frühnhd. Wb. 9, 1275 f.; Dt. Wb. 12, 1072. — Schatz
1927: § 179 (liz mit Affrikate im Auslaut). — Fischer,
Schwäb. Wb. 4, 1260; Jutz, Vorarlberg. Wb. 2, 289;
Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 1547 f.; Schöpf, Tirol. Id.
393; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 1, 392; Frings-Große,
Wb. d. obersächs. Mdaa. 3, 95.
In den anderen germ. Sprachen gibt es keine
unmittelbaren Entsprechungen zu liz < west-
germ. *lita/i-. Formal ähnlich ist got. lita* f.
ō-St. ‚Heuchelei; ὑπόκρισις‘: < urgerm. *li-
tō-. Unklar ist das Verhältnis zwischen dem
Subst. und den Verben ahd. lizzôn ‚täuschen‘
(s. d.) und got. -litjan (in miþlitjan ‚heu-
cheln‘). Entweder handelt es sich um ein je-
weils vom Substantiv abgeleitetes Verb oder
das Substantiv ist eine Rückbildung aus dem
Verb.
Etymologisch gehört die Basis urgerm. *lit-
als schwundstufige Bildung zu der in ur-
germ. *lei̯tila- ‚klein‘ vorliegenden Vollstu-
fe. Semantisch vergleichbar ist das Verhält-
nis zwischen ahd. luzzen ‚schmähen‘ (s. d.)
und luzzi ‚klein, gering‘ (s. d.).
Urgerm. *lei̯tila- ‚klein‘ ist fortgesetzt in:
mndl. lītel (falls nicht litel, das dann eine Va-
riante von lutel [s. luzzi] wäre) ‚klein, gering,
wenig‘, ae. lītel, me. lĭtel, ne. little ‚klein,
wenig‘, aisl., nisl. lítill, fär. lítil ‚klein, ge-
ring, kurz, wenig‘ und got. leitils ‚klein, we-
nig; μικρός‘ (zu den Bildungen urgerm. *lei̯-
tena- und *lei̯tika- ‚klein‘ vgl. Heidermanns,
Et. Wb. d. germ. Primäradj. 371).
Fick 3 (Germ.)⁴ 367; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 371 f.; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 4,
902 ff.; Holthausen, Ae. et. Wb. 209; Bosworth-Toller,
AS Dict. 651; Suppl. 624 f.; ME Dict. s. v. lĭtel adj.;
OED² s. v. little adj., n., and adv.; Vries, Anord. et.
Wb.² 358 f.; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 737; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 537 ff.; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 182; Magnússon, Ísl. Orðsb.
567; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 332; Lehmann, Go-
thic Et. Dict. L-45. — Casaretto 2004: 105.
Die weitere Etymologie von urgerm. *lītila <
*lei̯tila- ‚klein‘ ist ungeklärt. Semantisch und
lautlich möglich ist eine Anbindung an die
Verbalwz. uridg. *lei̯d- ‚(los-)lassen‘, wobei
für ‚klein‘ von der weiterentwickelten Bed.
‚(sich) entspannen‘ auszugehen wäre. Von
der Verbalwz. sind folgende Präs.bildungen
bezeugt: uridg. *léi̯d-/lid- in alit. léidmi
‚lasse los, setze in Bewegung‘; uridg. *lé-
loi̯d/lid- in lat. lūdō ‚spiele‘, ostlit. láist ‚los-
lassen‘, lit. laîst ‚lassen‘; uridg. *li-né/n-d- in
gr. (Hesych) λίνδεσθαι⋅ ἁμιλλᾶσθαι ‚wettei-
fern‘, alb. lind ‚gebiert‘, lindet ‚wird ge-
boren‘.
Unklar bleibt die Zugehörigkeit von gr. λοι-
δορέω ‚schmähe, schelte‘, da dessen Wort-
bildung ungesichert ist (Haplologie aus *λοι-
δο-δορέω?).
Nach Lühr 1982: 500 f. liegt dagegen eine
semantisch mögliche Verbindung mit der
Verbalwz. uridg. *lei̯h₂- ‚aufhören, schwin-
den‘ vor (vgl. dazu LIV² 406; zur weiteren
Etymologie s. bilinnan ‚nachlassen, aufhö-
ren‘). Bei dieser Zusammenstellung müsste
die Wortbildung von *lītila analogisch von
*lūtila- (das als *lū-tila- reanalysiert worden
wäre) übertragen worden sein. Eine unmittel-
bare etym. Verbindung mit urgerm. *lut-
‚klein‘ (s. luzzi) ist lautlich nicht möglich.
Walde-Pokorny 2, 402; Pokorny 666; LIV² 402 f.;
Frisk, Gr. et. Wb. 2, 134; Chantraine, Dict. ét. gr. 645;
Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 869; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. 1, 829; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 368 f.; de
Vaan, Et. dict. of Lat. 350 f.; Demiraj, Alb. Et. 243 f.;
Orel, Alb. et. dict. 228; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 351 f.;
Smoczyński, Słow. et. jęz. lit. 342 f.; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. 2, 411 ff.; Karulis, Latv. et.
vārd. 1, 492 f.
S. lizzôn.