âtarAWB adj. ‚scharfsinnig, rasch, eifrig, acer‘, nur
einmal belegt Gl. 1, 244, 34 (in 2 Hss., 8. und
10. Jh., alem. mit frk. Einschlägen), zusammen
mit zwei semantisch benachbarten Adj.: sceri
atar edho sniumi zi spuregenne = ‚sagax acer aut
celer ad investigandum‘. Das Wort scheint schon
im Mhd. nicht mehr üblich; im Nhd., auch in
den Mdaa. von heute, ist es nicht mehr nachzu-
weisen.
Ahd. Wb. I, 685; Starck-Wells 36; Graff I, 144. 156;
Schade 33. 4 (ādro).
Das ahd. Wort hat Entsprechungen in sämtli-
chen germ. Dialekten, meist in adv. Form (auf
-o, -e und deshalb ohne den westgerm. Sekun-
därvokal -a-, s. Braune, Ahd. Gr.¹³ § 65) und mit
der Bed. ‚frühe, alsbald‘: as. ādro (Heliand
Cott. 3418. 3462); andfrk. ādro ‚(mane) dilu-
culo‘ (s. Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 19 [Ps.
56, 9]. 58, 4; Ahd. Wb. I, 32); afries. ēdre; ae.
ǣdre, ēdre (Adv., dem „kein Adj. zur Seite
steht“, Sievers-Brunner, Ae. Gr.³ § 315 Anm. 1)
‚sofort, gänzlich‘; aisl. áðr ‚früher, schon‘ (-r-
nicht Komp.endung, s. A. M. Sturtevant, Mod.
Phil. 25 [1927], 146 f.; daneben aisl. áðan ‚vor-
her, kürzlich‘), nisl. áður, nnorw. aader ‚früher‘,
i aans ‚kürzlich‘, ndän. ijons, adän. (i)āthens,
nschwed. i jåns, aschwed. i ādhans; fürs Got.
zeugen PN wie Atravarius, Atreulfus (mit -t-
Schreibung); fürs Langobardische Namen wie
Atrepaldus, Atricausus, die Kurzform Atrio (?)
und, wohl mit ital. Erweichung des -tr- zu -dr-,
Adrevertus, Adrualdus (= ahd. Atarold, Graff I,
156).
Fick III (Germ.)⁴ 559 f.; Holthausen, As. Wb. 1; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 2; Berr, Et. Gl. to Hel. 15; Holthausen,
Afries. Wb. 18; Richthofen, Afries. Wb. 698; Holthau-
sen, Ae. et. Wb. 9; Bosworth-Toller, AS Dict. 9. 239;
Vries, Anord. et. Wb.² 2; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 53;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 1; Torp, Nynorsk
et. ordb. 11; Holthausen, Got. et. Wb. 1 (adra-);
Bruckner, Spr. d. Langob. § 10. 40 Anm. 1. 58. 92 und
Anm. 3. — Vgl. auch Förstemann, Adt. Namenbuch2—3
I, 183 f.
Während sich so ein wohlverbürgter Ansatz
von urg. *ǣđra- (< idg. *ētró-, < **[H₁]eH₁-
tró-? oder Vddhi einer Basis **[H₁]et-?) er-
gibt, haben sich die meisten oberflächlich an-
klingenden idg. Verknüpfungen als irreführend
erwiesen. So etwa das auch semantisch anspre-
chende gr. ὀτραλέος (neben ὀτρηρός) ‚schnell‘
(vgl. E. Zupitza, Zfvgl. Spr. 37 [1904], 406; Fick
a.a.O.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 725; Torp a.a.O.),
das jedoch, wenn anl. ὀ- als spezifisch griech.
Zusatz auszuscheiden ist, sich als schwundstu-
fige Ableit. von der idg. Wz. *tu̯er- ‚schnell her-
umdrehen‘, aind. tvárate ‚eilen‘ entpuppt (s.
Schwyzer, Gr. Gram. I, 301). So erst recht lat.
āter ‚(tief)schwarz‘, da dies (mit einer interpo-
lierten Bed. ‚feuergeschwärzt‘) zu av. ātar-,
npers. āδar ‚Feuer‘ (s. W. Prellwitz, BB 23
[1897], 68 f.) oder auch zu ae. adel(a) ‚Kot‘ (s.
J. Scheftelowitz, IF 33 [1913/14], 167) gestellt
worden ist, also bedeutungsmäßig mit ahd. âtar
nichts zu tun haben kann. Das Heranziehen
von lit. aitrùs ‚bitter, herb, scharf‘ und Ver-
wandtem scheitert schon an der Unvereinbar-
keit des anl. Vokalismus, und die lautlich an-
klingenden Vokabeln atär und etre (früher als
etär gelesen) aus dem Tocharischen A bzw. B
mit der Bed. ‚Held‘ sind neuerdings als Zss.
analysiert und in ihrem Hauptteil -tär (-tre) mit
aind. turá- ‚stark, kräftig‘ zusammengebracht
worden (s. Windekens, Lex. ét. tokh. 23 und
ders., Le tokharien I, 152). Ganz abwegig war
schließlich der Versuch von Heinertz, Et. Stud.
z. Ahd. 5 f., ahd. âtar sowohl wie ahd. âdra
‚Ader‘ auf die idg. Wz. *ei̯- ‚gehen‘ zurückzu-
führen.
So bleibt nur noch die Verknüpfung mit lett.
ãtrs ‚rasch, heftig, hitzig‘, lit. otrùs ‚lebhaft, tem-
peramentvoll‘, lett. ãtri adv. ‚schnell‘ und die
Ableit. ãtrumã ‚in der Eile‘ (s. A. Bezzenberger,
BB 27 [1902], 174), die auf eine idg. Grund-
form *ātro- (Fick, a.a.O.; Torp, a.a.O. und an-
dere hatten idg. *ōtro- vorausgesetzt) zurück-
führen, und so mit dem aus germ. *ǣđra- zu
erschließenden idg. *ētró- im Ablautsverhältnis
ā: ē stehen würden, wofür es aber kaum irgend-
welche überzeugende Beispiele gibt (etwa idg.
*i̯ā- : *i̯ē- in lat. iānus ‚Durchgang‘: mhd. jân
(< *jǣn-) ‚Reihe, Gang‘ oder idg. *mēk- in dt.
Mohn (< *mǣh-) : idg. *māk- in gr. μκων,
μήκων, s. Hirt, Idg. Gr. II, 192; Schwyzer, Gr.
Gram. I, 674).
Walde-Pokorny I, 118; Pokorny 345; Frisk, Gr. et.
Wb. II, 440; Chantraine, Dict. ét. gr. 835; Boisacq,
Dict. ét. gr.⁴ 725; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I,
75 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 53 f.; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 203; Fraenkel, Lit. et. Wb. 4. 518 f.;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. I, 245.