dewenAWB, douwenAWB sw. v. I, Gl., Bened.regel,
Notker: ‚auftauen, benetzen, schmelzen, ver-
dauen, essen, auflösen, madefacere, tabescere,
digerere, consumere, egerere‘ 〈Var.: dewan;
douan〉; zum Nebeneinander von Bedeutungen
wie ‚verdauen‘ und ‚auftauen‘ vgl. die Bedeu-
tungen von nschwed. smälta ‚schmelzen, zer-
lassen, verdauen‘. Die bei den Verben auf w
auftretenden unterschiedlichen Lautungen auf
-ew- und -ouw- (-auw-) erklären sich aus
dem Wechsel von ahd. pl., inf. douwen, 1.sg.
douwu usw. und 2. 3. sg. dewis, dewit, wobei
sowohl -ew- (vorherrschend im Alem., Fränk.)
als auch -ouw- (vorwiegend bair.) verallgemei-
nert werden konnte; vgl. prät. dewita, douwita
(prät. gewöhnlich auf -ita, bair. auch Gl.
1, 558, 25 dotun mit Längezeichen in zwei
Hss.). — Aus dem ahd. Verb sind im Mhd. zwei
verschiedene Verben hervorgegangen: döu-
wen, douwen, dowen, däwen, dewen, dougen
intr., trans. ‚verdauen‘, übertragen ‚verwin-
den‘, und mit Anlehnung an den Anlaut von
mhd. touwen ‚mit dem Tode ringen, sterben‘
das Verb touwen, töuwen ‚sich auflösen, zer-
gehen, schmelzen‘ (vgl. bereits vereinzelt ahd.
mit anlautendem t: Gl. 4, 338, 39 3.pl.präs. ta-
gint ‚rigabunt‘, 1, 558, 26 3.pl.prät. tohtin ‚ta-
bescebant‘); entsprechend frühnhd. (Luther)
dawen, dauen, ält. nhd. dauen, däuen ‚verdau-
en‘, ‚verwinden‘ (mdartl. schweiz. daran wird
er noch lange zu däuen haben), (seit dem
17. Jh.) auch ‚geistig verarbeiten‘, nhd. (seit
dem 18. Jh.) fast ausschließlich als Präfixverb
verdauen, das im 17. Jh. das Simplex ver-
drängt, und (frühnhd. Luther verdeutlichend
aufthawen), ält. nhd. thauen, nhd. tauen ‚auf-
tauen‘. Mdartl. hat sich das Simplex in der Be-
deutung ‚verdauen‘ gehalten, so in bair. dauen,
dæuen.
Splett, Ahd. Wb. I, 133; Schützeichel⁴ 98. 840;
Starck-Wells 98; Graff V, 233 f.; Schade 97. 100. 108;
Heffner, Word-Index 35; Lexer I, 455 f.; II, 1485 f.;
Benecke I, 386; III, 62; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 181
(digerere). 196 (egerere). 332 (liquere); Dt. Wb. II,
838 f.; XI, 327; XII, 199; Kluge²¹ 773. 812; Kluge²²
723. 758; Pfeifer, Et. Wb. 1788 f. 1890 f.; Braune,
Ahd. Gr.¹⁴ § 357 Anm. 3. 362 Anm. 5; Schatz, Ahd.
Gr. § 290. 469. 475; ders., Abair. Gr. § 143; Raven,
Schw. Verben d. Ahd. 290 f.; Krüer, Bindevokal 54.
196. 297 f.; Trübners Dt. Wb. VII, 32. 403 f.; Weigand,
Dt. Wb.⁵ II, 1030. 1142; Schmeller, Bayer. Wb.² I,
476 f. Da ein Bedeutungswandel von ‚schmelzen‘ zu
‚verdauen‘ möglich ist (s. o.), erübrigt sich Kögels,
PBB 9 (1884), 532 Ansatz zweier verschiedener Ver-
ben, nämlich eines schwach flektierenden douwen
‚verdauen‘ und eines ursprl. stark flektierenden *þa-
wan, *þōw ‚schmelzen‘, das in dem Prät. dotun mit
Längezeichen in zwei Hss. fortgesetzt sei (s. o.).
Ahd. dewen, douwen entsprechen mndd. dou-
wen, döuwen, döyen, doijen, dōgen ‚tauen,
schmelzen, verdauen‘; mndl. dooyen, doyen,
douwen ‚tauen, schmelzen‘ (die Bedeutung ‚ver-
dauen‘ begegnet nur beim Präfixverb), nndl.
dooien ‚tauen‘; nostfries. deien, deuen, doien,
nwestfries. teije ‚tauen‘; aisl. þeyja ‚zu schmel-
zen anfangen, tauen‘, poet. auch ‚abnehmen,
schwinden‘, nisl. þeyja, nnorw. tøya, ndän. tø,
nschwed. töa ‚tauen‘: < urgerm. *þaujan-. Ein
ōn-Verb setzen ae. ðawian ‚tauen, auftauen‘,
me. þāwen ‚dss.‘, ne. thaw (*þawōjan-) fort
(unrichtig Kluge²² 723: *þau-ja-); ferner ae. ge-
þawenian ‚benetzen‘, aisl. poet. þána sw. v.
‚auftauen‘ < *þawanōn/ ōjan-; nnorw. dial. tæ-
sa ‚tauen, schmelzen‘ < *þawisjan-, nnorw.
dial. tøysa ‚warmes Wasser auf das Heu gießen‘
< *þausjan-. Dazu stellen sich — mit einem von
ahd. tou, as. dau, afries. dāw, ae. dēaw, aisl.
dǫgg ‚Tau‘ (→ tou) abweichenden Dental — die
Substantive ne. thaw ‚Tauen, Tauwetter‘ (ne.
dial. subst. thow[e] als Basis von spätme. thōwe
‚tauen‘?), nndl. dooi ‚Tauwetter‘; aisl. þá
‚schneefreies Feld‘ (< *þawō), aisl. poet. þeyr
m. ‚Tauwind, -wetter‘, nisl. þeyr, fär. toyur,
nnorw. tøyr, nschwed. tö, ndän. tø ‚Tauwetter‘
(< *þawi-). Da das Subst. weniger verbreitet
und im Engl. und Ndl. später als das Verb be-
zeugt ist, dürfte es sich bei den Substantiven um
postverbale Nomina handeln (anders Vries,
Ndls. et. wb. 127). Urgerm. *þaujan- und *þa-
wanōn/ ōjan- sind dann von einer Verbalwz.
abgeleitete Verben (dazu s. u.), wobei im West-
germ. durch die westgerm. Konsonantengemina-
tion in bestimmten Formen (s. o.) Entwicklung
von *þaujan- zu *þawwjan- erfolgte.
Fick III (Germ.)⁴ 175; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 402; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
559; Verdam, Mndl. handwb. 143. 149; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 126; Doornkaat Koolman, Wb. d.
ostfries. Spr. I, 284. 287; Dijkstra, Friesch Wb. III,
273; Holthausen, Ae. et. Wb. 361; Bosworth-Toller,
AS Dict. 453. 1038; Stratmann-Bradley, ME Dict.³
628; OED² XVII, 875 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 914;
Vries, Anord. et. Wb.² 605. 609 f.; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 424; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 312.
315; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1313; Torp, Ny-
norsk et. ordb. 829. 831; Hellquist, Svensk et. ordb.³
1268; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 506 (jedoch als weite-
rer Anschluß zu þwahan ‚waschen‘).
Die ahd. dewen, douwen zugrunde liegende
Wz. urgerm. *þau- ist wegen der im Aind. mög-
lichen Herleitung von ō < *au̯ zu aind. tóyam
(neben tyam) n. ‚Wasser‘ gestellt worden
(*tau̯i̯a- > tóya- und nicht zu *távya-, um ei-
nen Zusammenfall mit távya- ‚kräftig‘ zu ver-
meiden). Möglicherweise handelt es sich jedoch
wie bei anderen aind. Wörtern für ‚Wasser‘ um
ein Lehnwort aus dem Dravidischen; vgl. tamil.
tōy ‚naß sein, naß werden‘. Sicher vergleichbar
sind nur Wörter ohne *u̯: arm. tՙana- (aorist
tՙacՙi) < *t-ā- [**t-e-H₂-] oder *t--ǝ-
[**t--ǝ₂-] ‚etwas kurz in eine Flüssigkeit ein-
tauchen und benetzen; etwas mit etwas benet-
zen, feucht machen‘; aksl. tajati, präs. taje/o-
‚(intr.) tauen, schmelzen‘; osset. taïn, tayun
‚tauen, schmelzen‘ < präs. uridg. *tā-i̯e/ o-
[**teH₂-i̯e/ o-] (aksl. talъ ‚geschmolzen, flüs-
sig‘); ferner die mit *k bzw. *b erweiterten Lau-
tungen gr. τήκω, dor. τκω ‚mache schmelzen‘,
τήκομαι ‚schmelze‘, τακερός ‚schmelzbar‘ bzw.
lat. tābēs f. ‚Zersetzung, Verwesung‘ der Wz. ur-
idg. *tā- [** teH₂-] ‚tauen, schmelzen‘ (von Eis
und Schnee); vgl. auch die auf Wurzelerweite-
rungen beruhenden oder mit Suffix versehenen
Lautungen air. tám ‚Tod, Pest, Betäubung‘,
mkymr. tawd ‚geschmolzen‘, tođ-i ‚schmelzen,
auflösen‘, mbret. teuzyff ‚liquescit‘ wohl mit
Dentalsuffix und nicht aus *tāi̯o-, *tāi̯ō (Peder-
sen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 68; anders Fick II
[Kelt.]⁴ 120 f.; Fleuriot, Dict. des gl. en vieux
breton 314).
Die Erklärung der Wz.-Form urgerm. *þau-
mit kurzem *a ist problematisch. Möglicherwei-
se ist nach dem Vorbild der in deismo (s. d.) vor-
liegenden Wz. uridg. *t-i- [**teH₂-i-] ‚feucht
machen, verschmelzen‘ + *s (uridg. *tai-s-
[**teH₂i-s-] > urgerm. *þais-), in der durch
den intervokalischen Laryngalschwund eine
Lautung mit kurzem *a, *ta-i-, entstanden ist
(möglicherweise in ae. ðān ‚feucht‘, n. ‚bewäs-
sertes Land‘ < *þai-na-), eine Variante *ta-u-
[**teH₂-u-] > urgerm. *þau- gebildet worden,
von der ein primäres Verb urgerm. *þawjan-
[**teH₂u-i̯e/ o-] abgeleitet wurde.
Die Schwundstufe urgerm. *þu- könnte in der Form
*þw- mit *þī-, der schwundstufigen Fortsetzung von
uridg. *tā-i- [**teH₂-i-] (→ deismo), gekreuzt sein
und so Lautungen wie ae. ðwīnan ‚weich werden,
schwinden‘, Kausativ ðwǣnan ‚einweichen, emollire,
irrigare‘, aschwed. thwīna ‚hinschwinden, hin-
schmachten, tabescere, languere‘ ergeben haben.
Walde-Pokorny I, 701 ff.; Pokorny 1054; Fick I
(Idg.)⁴ 439; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 527;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 671; Boisacq, Dict. ét.
gr.⁴ 965 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 639 f.;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 672; Klingenschmitt,
Altarm. Verbum 113 f.; A. Meillet, MSLP 9 (1896),
154; 23 (1935), 50; H. Adjarian, MSLP 20 (1918),
160 f.; P. Kretschmer, Glotta 14 (1925), 221 f.; Brug-
mann, Grdr.² II, 3, 306; H. Pedersen, Zfvgl.Spr. 39
(1966), 371; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 312 f.; Vas-
mer, Russ. et. Wb. III, 84; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1140
(zum Anschluß von lit. tunys ‚Bienenharz‘); Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. T-24 f. (mit Literatur zu dem we-
niger wahrscheinlichen Anschluß von air. tám an aind.
tmyati ‚erstickt, wird betäubt, wird ohnmächtig, er-
schöpft sich‘ usw.); Dict. of Irish T-65; D. S. Evans,
Gr. of Middle Welsh (Dublin, 1964), 166; Ernault, Gl.
moyen-breton 691 f.; J. Loth, Rev. celt. 43 (1926), 415;
F. Wood, AJPh. 21 (1900), 180 f.; H. Pedersen,
Zfvgl.Spr. 36 (1900), 106; E. Lidén, IF 19 (1906),
348 ff.; Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 462 ff. 469 f.
709 f.; J. Otrębski, Lingua Posnaniensis 9 (1963), 11.
Für Försters (Flußname Themse 727 ff.) Verbindung
des Flußnamens Themse mit den kelt. Wörtern ist
aind. tāmaram ‚Wasser‘ kein Bindeglied, da dieses
Wort wohl aus tāmarasám n. ‚Lotos‘ erschlossen ist
(Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 495).
S. auch douwil.