frastmuntiAWB n. ja-St. oder frastmuntîAWB f. īn-
St., nur Himmel u. Hölle (12. Jh.), Gl.
2, 283, 25 (10./11. Jh.): ‚Beherztheit, Kühnheit,
heimlicher Ort, Abgeschiedenheit, secretum‘
(zur Bed. s. Rooth, Vrastmunt) 〈Var.: uras-;
-munde (dat. sg.)〉. — Mhd. vrastmunt f. ‚Kühn-
heit, Mut‘, vrasmunt m.(?) ‚geschützter, siche-
rer Ort‘ (nicht mit Lexer III, 499 in vreismunt
zu ändern; vgl. Rooth, a. a. O. 45 ff.), auch
vrastmunde, -muntlîchen adv. ‚mutig, herz-
haft, freimütig‘, vrast f. ‚Kühnheit, Mut‘ usw.,
nhd. mdartl. schweiz. (veraltet) franschmüete,
-müetigkeit ‚Kühnheit, Frechheit‘ (Schweiz. Id.
IV, 583; Rooth, a. a. O. 40 ff.).
Ahd. Wb. III, 1224 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 261. 597;
Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 326; Starck-Wells 176;
Schützeichel, Glossenwortschatz III, 286; Graff II,
813; III, 834; Schade 220; Lexer III, 491 f. 499;
Benecke III, 395; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 596 (se-
cretum); Dt. Wb. IV, 1, 1, 64.
Bedeutung, Bildungsweise und Etymologie des
Wortes sind unsicher. E. Rooth, a. a. O., ist es
gelungen, manches zur Bed. und Bildungsweise
des Wortes zu klären, aber sein Versuch (wie
schon der von J. Grimm, Dt. Wb. a. a. O. und
später Piirainen, Germ. *frōđ- u. germ. *klōk-),
das Wort mit ahd. fruot ‚klug, weise, erfahren‘,
got. fraþjan ‚denken, erkennen, verstehen‘ zu
verknüpfen, ist nicht überzeugend (→ fruot und
vgl. N. Törnqvist, Studia neoph. 13 [1940—41],
307; 15 [1942—43], 282 ff.).
Rooth hat mit großem Scharfsinn gezeigt, daß
sich die beiden scheinbar unvereinbaren Bedeu-
tungen von ahd./mhd. frastmunt(i) ‚Beherztheit‘
und ‚geschützter, heimlicher Ort‘ doch auf die-
selbe Grundbed. zurückführen lassen: ‚Zuver-
sicht, Selbstsicherheit‘ > ‚Sicherheit, Schutz‘ >
‚sicherer, geschützter Ort‘. Wenn diese Deutung
richtig ist, kann es sich in beiden Fällen um eine
Zss. mit germ. *-munti-, idg. *-mtí- ‚Sinn‘, zur
idg. Wz. *men- ‚denken‘ (Pokorny 59 ff.) han-
deln; späterer Einfluß von germ. *-munt-
‚Schutz‘ ist aber nicht ganz auszuschließen
(Rooth, a. a. O. 59 ff.).
Ob ahd. frast-, mhd. vrast- mit got. frasts ‚Kind,
τέκνον‘, frasti-sibja ‚Kindschaft, υἱοθεσία‘ ver-
wandt ist, bleibt umstritten (Rooth, a. a. O. 55.
58 hält einen Zusammenhang für möglich;
Grienberger, Unters. z. got. Wortkunde 75 lehnt
ihn ausdrücklich ab, indem er die Sippe von
mhd. vrast zu ahd. fradi [eigentl. frad s. d.]
‚tüchtig‘ stellt — ohne die weitere Etym. dieses
Wortes zu besprechen). Sicherheit ist hier wohl
unmöglich, solange die Etym. der got. Wörter
ungeklärt bleibt (s. u.). Dennoch läßt sich ohne
Weiteres die Möglichkeit einer Entwicklung von
‚Kind‘ zu ‚junger Mann, Kämpfer, Held‘ anneh-
men; vgl. ahd. degan (s. d.); eine Zss. frastmunti
könnte dann ‚Heldenmut, Kühnheit, Selbstsi-
cherheit‘ bedeuten; vgl. ahd. deganheit ‚Tapfer-
keit‘, deganlîcho ‚tapfer, standhaft‘ usw.
Unter den zahlreichen Versuchen, got. frasts zu
etymologisieren (vgl. Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
165 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. F-85;
N. Törnqvist, Studia neoph. 15 [1942—43],
276 ff.) sind die meisten wenig wahrscheinlich.
Sicher abzulehnen ist J. Grimms Verknüpfung
mit got. fraþjan (Dt. Wb. a. a. O.). Erwägens-
wert sind nur die folgenden:
1) -s-ti-Abstraktum zur idg. Wz. *per- ‚gebä-
ren, hervorbringen‘ (Meyer, Got. Spr. 75. 94;
R. Koegel, ZfdA. 37 [1893], 218 u. a.); vgl. gr.
πόρτις ‚Kalb‘, lat. partus ‚Geburt, Sproß‘, viell.
arm. ortՙ ‚Kalb‘ (wenn aus *por-s-t-; → far); aus
lautlichen Gründen von H. Osthoff, PBB 20
(1895), 90 f. und Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
II, 255 abgelehnt.
2) Zss. aus idg. *pro- und der Nullstufe der idg.
Wz. *sēi̯- ‚säen‘: *pro-s-ti- (Osthoff, a. a. O.
92 f.; nach A. Meillet, MSLP 12 [1901—03], 219
aus *pro-sǝ-ti-); vgl. lat. prō-satus ‚hervorge-
bracht, entsprossen, erzeugt‘. Pokorny 890 ver-
gleicht auch mir. ross n. ‚(Lein-)Samen‘ (zwei-
felnd Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. R-43 f.).
Ähnlich H. Pedersen, Zwei sprachliche Aufsätze
(Lund, 1917), 13, der aber nur idg. *pros-ti-
‚Sproß, Sprößling‘ ansetzt, ohne die Wz. näher
zu bestimmen, und auch aslaw. proso ‚Hirse‘
vergleicht (sicher verfehlt; vgl. Vasmer, Russ. et.
Wb. II, 443). Obgleich diese Etym. mehrfach
Zustimmung gewonnen hat (vgl. Törnqvist,
a. a. O. 277 Anm. 1), ist sie lautlich schwierig
(Verlust des Wurzelvokals einer schweren Basis)
und wird von Feist, a. a. O. als „wenig glaub-
haft“ bezeichnet.
Osthoffs zweiter Vorschlag (a. a. O. 93 f.): idg. *pro-
s(p)-tis zu lat. prō-sāp-ia, prō-sāp-iēs ‚Sippschaft, Ge-
schlecht, Familie‘ und weiter zu lat. sōpiō ‚Penis‘ ist si-
cher verfehlt (vgl. Feist, a. a. O.; Walde-Hofmann,
a. a. O. II, 374 f.).
3) nach N. Törnqvist, a. a. O. 284 ff. ist got. frasts
ein -ti-Abstraktum zu einem germ. Verb. *fra-
astjan- ‚Äste treiben, propagari‘ (oder *fra-
astēn?; vgl. ahd. bartên ‚bärtig werden‘, hornên
‚Hörner bekommen‘ usw.) → ast ‚Ast, Zweig‘.
Zwar ist dieses Verb in der älteren Sprache nicht
belegt, aber spätmhd. (schwäb.) kommt asten
‚sich fortpflanzen(?)‘ vor (so er [der Habicht]
astet und junge hat [vgl. Lexer I, 102; Fischer,
Schwäb. Wb. I, 346]). Die Erklärung Fischers:
„offenbar von der Paarung, die auf einem Ast
vor sich geht“ ist weniger glaubhaft; vgl. nhd.
ästen ‚Äste teilen, propagari‘ (Dt. Wb. I, 589),
verasten, verästeln ‚sich in Äste teilen‘ (nicht
aber, wie Törnqvist behauptet, ‚sich fortpflan-
zen‘). Der Mangel an sicheren Belegen des germ.
Verbs mindert diese sonst ganz plausible Etym.
4) nach Fr. Mezger, Lang. 19 (1943), 262 f. <
*pro-s-ti̯o-, aus idg. *pro- (= germ. fra-) + s-
Erweiterung + Suffix -ti̯o-, das auch in got.
niþjis ‚Verwandter, συγγενής‘ (*ni- + *-ti̯o-
‚der drinnen [in der Familie] ist‘) enthalten ist
und soziale oder verwandtschaftliche Verhält-
nisse bezeichnet (vgl. E. Benveniste, Hitt. et. IE
102 ff.; Schulze, Kl. Schriften 69 ff.; Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. III § 120, 2; die Etym.
von got. niþjis ist umstritten [vgl. Lehmann,
Gothic Et. Dict. N-22], aber wahrscheinlich
richtig). Weitere Bildungen mit diesem Suffix
sind: got. framaþeis ‚fremd‘ (→ fremidi); aind.
nítya- ‚beständig, eigen‘ (zu ni- ‚in‘), níṣṭya-
‚auswärtig, fremd‘ (zu niḥ ‚hinaus‘), amtya-
‚Hausgenosse, Angehöriger‘ (zu am ‚zu
Hause‘); viell. gall. Volksname Nitiobroges (zu
*ni-: ‚die im eigenen Land wohnenden(?)‘; an-
ders Holder, Acelt. Spr. II, 750 f.; Feist, a. a. O.
374; Lehmann, a. a. O. N-15: zu *nitio ‚Kampf‘,
air. níth ‚Kampf‘; → nîd); aksl. obьštь ‚gemein-
sam‘ (zu ob[ь] ‚um‘), ništь ‚arm, niedrig‘ (zu
ni- ‚nieder‘); lit. svẽčias ‚Fremder, Gast‘ (zu
sve- ‚für sich, abgesondert‘); zu den heth. Adj.
auf -ezzi s. Benveniste, a. a. O.
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 44; II, 162. 169;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 95; II, 43. 48; E. Lewy,
Lexis I (1948), 186 ff.; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb.
zu den aksl. Texten 70. 72. 275 (Nr. 578). 276 (Nr.
592); Fraenkel, Lit. et. Wb. 950. 952 (svetỹs).
Die einzige Schwäche dieser Etym. ist die pro-
blematische s-Erweiterung. Das idg. Präfix
*pro- ist sonst nie als *pros- belegt; zwar gibt es
verwandte Formen mit auslautendem s, wie gr.
πρός adv./präp. ‚überdies, dazu, von - her, bei
usw.‘ (aber das s kann durch Assibilierung aus t
entstanden sein; vgl. Frisk, Gr. et. Wb. II,
600 f.), mit anderer Ablautstufe gr. πρες- in
πρέσβυς ‚der Alte, Greis‘, aind. puraḥ ‚voran,
vorn‘, aber nur das Präfix *pro- (ohne s) scheint
in Wörtern, die Abstammung bezeichnen, vor-
zukommen; vgl. die Zss. lat. prōgeniēs ‚Abstam-
mung, Nachkommenschaft‘, aind. praj- ‚Nach-
kommenschaft‘, av. fražaintiš ‚dss.‘ (vgl. Mez-
ger, a. a. O. 263 Anm. 9).