bilarn
Volume II, Column 47
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bilarnAWB m. a- (ursprl. f. ō-?)St., nur in Gl.:
Zahnfleisch (Kieferränder), gingiva (= caro
dentium), palatum, molaris
Var.: pil- sowie
-orn und seit dem 12. Jh., wohl in Anlehnung
an -ri-Bildungen, -ari, -are, -ære, -er(e).
Mhd. bilern, biler, auch noch bilâr, meist im
Pl. Schon frühnhd. führte seine lexikalische
Isolierung wie auch der lautliche Zusammen-
fall mit anderen Substantiven zum Abgang des
Wortes, das heute nur noch mdartl., vor allem
im obd. Süden, geläufig ist (s. u.).

Ahd. Wb. I, 1030; Splett, Ahd. Wb. I, 1211; Starck-
Wells 54; Graff III, 102; Schade 64; Lexer I, 275;
Nachtr. 85; Benecke I, 124; Diefenbach, Gl. lat.-germ.
262 f.; Dt. Wb. II, 24 f.; Kluge²¹ 77; Kluge²² 85.

Ahd. bilarn, das nicht über das dt. Sprachgebiet
hinaus gilt für das Mndd. verzeichnen Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 277; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. VI, 68, biller, bilre ist
wohl eine Bildung mit dem Konglutinat -rn- (<
-zn-) < -sn- zu der idg. Wz. *bhel(ǝ)-
[**bhel(H)-] (auf)schwellen ( bal¹) und
dürfte, dem got. f. ō-St. filusna Vielheit ver-
gleichbar (vgl. Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 56;
Lehmann, Gothic Et. Dict. A-194 [s. v. arƕaz-
na]), auf eine germ. Grundform *bel-uzna-
Schwellung, Schwulst, Wulst zurückgehen mit
e > i vor folgendem u, das seinerseits vor dem
a der Endsilbe zu o wurde, sowie mit z zu r (s.
Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 30c bzw. 32 sowie 82b 1);
ein ursprl. ahd. bilorn mit -o-, das noch mehr-
fach bezeugt ist, erlitt den im Ahd. häufigen
Wandel von -o- zu -a- in schwachbetonter Sil-
be.

Walde-Pokorny II, 17 ff.; Pokorny 120 ff.; Frisk, Gr.
et. Wb. II, 987 f. (φαλλός); Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. I, 524 f. (follis). Vgl. auch W. v. Unwerth, PBB
36 (1910), 21 und W. Foerste, Trier-Festschrift (1964),
140 ff.

Der Versuch, in der Analyse von -rn- ohne die Zwi-
schenstufe -zn- (< -sn-) auszukommen, hat zu der
rein spekulativen Rekonstruktion eines heterokliti-
schen Paradigmas *bhelr-/ *bhelnés (*bhnés) geführt
(vgl. E. Schwyzer, Zfvgl. Spr. 57 [1929], 272; H. Pe-
dersen, ebd. 32 [1893], 240 ff.; Petersson, Idg. Hetero-
klisie bes. 186 f.), die auch den Wandel von *bhel- zu
*bil- nicht begründete. Dagegen läßt sich der wieder-
holte Ansatz eines ursprl. f. ō-St. germ. *bel-uznō, so
Schwyzer, a. a. O. 271 und Specht, Ursprung d. idg.
Dekl. 79. 154, aus der auf Glossen beschränkten ahd.
Überlieferung kaum widerlegen, da Formen wie bilarn
nom. sg. auch den lautgesetzlich zu erwartenden en-
dungslosen Nom. Sg. mehrsilbiger f. ō-Stämme reflek-
tieren könnten; der Übergang zu dem mdartl. noch
vielfach mit dem Fem. oder Neutr. wechselnden Mask.
wäre dann der Assoziation mit -ri- Formen (s. o.), der
mhd. und später verallgemeinerten Endung -er sowie
dem vorwiegenden Gebrauch der Mehrzahl zuzu-
schreiben.

Wie E. Schwyzer a. a. O. dargetan hat, sind in
den sonstigen idg. Sprachen für das Zahn-
fleisch
Bezeichnungen üblich, die nichts mit der
Wz. *bhel(ǝ)- (auf)schwellen zu tun haben. Im-
merhin ist es bemerkenswert, daß die plausibel-
ste Erklärung von lat. gingīva (meist pl.!) das
Wort als Weiterbildung von *gengā Beule,
Buckel
betrachtet und damit zu einer Wz.
*geng-: *gong- Klumpen, klumpig stellt (s.
Solmsen, Beiträge z. gr. Wortf. 219; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 601; anders Walde-Po-
korny I, 638. 642), desgleichen gr. οὖλον mit
dem Verbum εἰλέω, εἴλομαι zusammendrän-
gen, -pressen
verknüpft, also eigtl. Wulst (ne-
ben zwei anderen Möglichkeiten, s. Frisk, Gr.
et. Wb. II, 444); vgl. auch gr. κόνδυλος Wulst
des Zahnfleisches
zu κονδύλωμα harte An-
schwellung, Schwulst, Verhärtung
(Frisk II,
911).

In den Mdaa. der Gegenwart sind lautgerechte Nach-
kömmlinge von ahd. bilarn (bilr[i]) vorwiegend auf
das Obd. konzentriert, meist in einer Mehrzahlform,
mit oder ohne ausl. -n (das wohl als Pl.zeichen aufge-
faßt wurde), aber häufig mit eingeschobenem -d-,
auch -g- zwischen l und r, s. Schweiz. Id. IV, 1169 f.
(Biler[n], Bilder f.; Pilgeri: übertr. das zwischen zwei
Furchen hervorragende Ackerbeet
); Martin-Lienhart,
Wb. d. elsäß. Mdaa. II, 34 (fem., meist pl.); Ochs, Bad.
Wb. I, 229 (Bilger: als Mehrzahl verstanden, ohne
deutliches Geschlecht
); Fischer, Schwäb. Wb. I,
1114 f. (Bill n. aus dem als Pl. gefaßten Biller rückge-
bildet
); Schmeller, Bayer. Wb.² I, 230; Kranzmayer,
Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. III, 169 f. (Piler, -lg-,
-ld-, auch Zand-, verdeutlichend); Maurer-Mulch,
Südhess. Wb. I, 844 (nur Dimin. pl. bilǝrchǝr). Dage-
gen herrschen im Fränk. Mitteldeutschlands Varianten
mit dem ablautenden Stammvokal -a- vor: Luxemb.
Wb. I, 68 (Baller m., bisweilen auch f.); Follmann,
Wb. d. dt.-lothr. Mdaa. 21 (Bällerten, -chen; Balleren);
Crecelius, Oberhess. Wb. 149; Kehrein, Volksspr. u.
Wb. von Nassau 69; Vilmar, Idiotikon von Kurhessen
24 (Bälle: nur im Pl.; gelegentl. die Bällen; noch selt-
ner die fast richtige Form die Bällern
); Müller, Rhein.
Wb. I, 421 f.; Westfälisch: belǝn, gewöhnlich belǝkǝs
und Weiteres aus dem Rheinland bei E. Schwyzer,
a. a. O. 268.

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