darbaAWBAWB f. ō- und n-St., nur bei Notker und
im Hildebr.: ‚Bedürfnis, Mangel‘ 〈Var.: tarba〉;
zum n-Stamm vgl. Notker, W.Ps. dat. sg. dar-
bun. — Nhd. vereinzelt bis ins 16./17. Jh. Dar-
be ‚Mangel, Not, Armut‘.
Ahd. Wb. II, 305 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 157; Schütz-
eichel⁴ 86; Graff V, 215; Schade 96; Heffner, Word-
Index 22; Sehrt-Legner, Notker-Wortschatz 60; Göt-
ze, Frühnhd. Gl.⁵ 47; Dt. Wb. II, 767; Kluge²² 128;
Pfeifer, Et. Wb. 256.
Während bei Notker die Bedeutungen ‚Nicht-
haben, Fasten, Mangel‘ vorliegen, bedeutet dar-
ba im Hildebr. wohl ‚Bedürfnis‘ (23 f. de〈s〉 ...
detrihhe darba gistuontu〈n〉 fater{er}es mines
wörtlich: ‚nach dem entstand dem Dietrich ein
dringendes Bedürfnis, [nämlich] nach meinem
Vater‘). Die Auffassung E. Karg-Gasterstädts
(PBB 67 [1945], 357 ff.), daß die Familie [dur-
fan] im Ahd. in zwei Gruppen geschieden sei, in
Wörter mit Stammvokal -a-, die eindeutig einen
Mangel ausdrücken, und in Wörter mit Stamm-
vokal -u- mit der Bedeutung ‚Bedürfnis‘, ist un-
haltbar, wie ahd. durft ‚inopia, indigentia‘ (vgl.
die Bedeutungen von got. þarba, s. u.), durft ist
‚opus, necesse est, ich bedarf, habe nötig‘ (as.
tharf is), biderbi ‚nützlich, für einen bestimmten
Zweck geeignet, vorteilhaft‘, biderbi n. a-St.
‚Nutzen‘ zeigen (P. Ramat, IF 76 [1971], 188);
zur Stelle im Hildebr. vgl. unter den zahlreichen
gleichartigen Parallelstellen z. B. Heliand 1187
was im is helpono tharf ‚sie brauchten seine Hil-
fe‘ (s. Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 512 ff.).
Ahd. darba hat außerhalb des Hildebr. zahlrei-
che Entsprechungen: as. tharf st.f. (nicht m.)
‚Bedarf, Bedürfnis, Mangel‘ (thervi ‚nützlich‘,
bitheri ‚nützlich‘, therva f. ‚Bedürfnis‘); afries.
therve, derve f. ‚Bedürfnis‘; ae. ðearf f. ‚Mangel,
Bedarf, Notwendigkeit, Nutzen‘ (ae. ðearfa m.
‚Armer, Bettler‘, adj. ‚arm, elend, bedürftig‘,
ðearflic ‚nützlich‘), me. þarfe, ne. (veraltet)
tharf; aisl. þǫrf f. ‚Bedarf, Mangel, Notwendig-
keit, Nutzen‘ (aisl. þarfr ‚nötig, nützlich‘, þarf-
ni ‚bedürftig‘, þarfligr ‚nötig, nützlich‘), nisl.
þörf f. ‚Bedarf, Bedürfnis‘; nnorw. torv f.
‚Drang, Bedürfnis, Bedarf‘; ndän. tarv ‚Bedarf,
Nutzen, Vorteil‘; aschwed. þarf f. ‚Bedarf, Not-
wendigkeit‘, nschwed. tarv ‚Bedarf, Bedürfnis,
Notwendigkeit‘ (runenschwed. uþaraa-sbA mit
der Entsprechung von aisl. óþǫrf f. bzw. óþarfi
m. ‚unnötiges Tun, Schade‘ und spá ‚Prophezei-
ung‘, s. Krause, Die Runeninschr. im ä. Futhark
141); aus dem Skand.: finn. tarve, gen. -rpeen f.,
estn. tarve, gen. -rbe, liv. tārbiks ‚Bedürfnis,
Mangel‘ (< *þares; s. Thomsen, Saml. afhand-
linger II, 220); got. þarba f. ‚Mangel, Dürftig-
keit‘ (*þarbs ‚nötig, bedürftig‘, þarba m. ‚Ar-
mer‘, alaþarba ‚ganz arm‘).
Die Vorform urgerm. *þarō(n)- von ahd. dar-
ba stellt den geläufigen Wortbildungstyp der
Nomina actionis mit der Kontinuante der o-Stu-
fe der Wz. dar; vgl. lat. teg-ō: toga (Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. III § 69). Dagegen
setzt Karsten, Germ. finn. Lehnw. 102 wegen
ahd. Tatian bitherbisôn ‚nützen, zum Vorteil ge-
reichen‘ (s. d.) einen s-Stamm urgerm. *þares,
-as- n. als Vorform von ahd. darba an. Doch
stellt die Bildung auf -isôn eine Neuerung dar,
weil die germ. Sprachen übereinstimmend auf
einen ō(n)-Stamm weisen und das Suffix -is-
schon im Got. außerhalb von verbalen Ableitun-
gen, die auf der Grundlage von s-Stämmen er-
folgten, verwendet wurde; vgl. got. walwis-on
‚sich wälzen‘ zu walwjan ‚wälzen‘, ahd. hriuwis-
ôn, ae. hrēowsian ‚bereuen‘ zu ahd. hriuwan
(Krahe-Meid, a. a. O. § 187).
Fick III (Germ.)⁴ 182; Holthausen, As. Wb. 77; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 558 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 403; Holthau-
sen, Afries. Wb.² 110; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 400; Verdam, Mndl. handwb. 133;
Richthofen, Afries. Wb. 1069; Holthausen, Ae. et.
Wb. 361; Bosworth-Toller, AS Dict. 1040; Suppl.
728; Stratmann-Bradley, ME Dict.³ 628; OED²
XVII, 867; Vries, Anord. et. Wb.² 631 f.; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 444; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord.
325; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1248 f.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 797; Söderwall, Svenska medeltids-
spr. II, 699 f.; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1167 f.;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog III, 1061; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 490; Lehmann, Gothic Et. Dict.
þ-13.
Idg. Verwandte sind aind. tpyati (dazu
F. Specht, Zfvgl.Spr. 64 [1937], 68 f.), tmpáti,
tpṇóti, tarpati (J. Narten, Sprache 14 [1968],
124) ‚befriedigt sich, sättigt sich (zu dieser Be-
deutung im Rigveda s. W. Schulze, Kl. Schriften
219), genießt, freut sich an etwas‘, Kausativ tar-
páyati ‚sättigt, befriedigt‘ (tptí-, tpti- f. ‚Sätti-
gung, Genüge, Befriedigung‘); av. θrąf(ǝ)δa-
‚ausreichend, reichlich versehen mit‘ (< *tramp-
tha-: aind. tmpáti), θrąfs- n. ‚Zufriedenheit‘,
npers. tulf ‚Vollsein, Übersättigung vom Wein-
traubenessen‘ (< *tfra- mit Dissimilation; s.
G. Morgenstierne, Norsk tidsskrift f. sprogv. 12
[1942], 266); gr. τέρπω ‚sättige, erquicke, er-
götze‘, τέρπομαι ‚sättige mich, erquicke mich,
ergötze mich, genieße‘ (PN Tέρπων als Kurz-
form von τερπότραμις, ἡ τῶν ἀφροδισίων τέρ-
ψις‘, s. Schulze, a. a. O. 715 f.), τέρψις f. ‚Ergöt-
zung, Genuß‘, τερψί-μβροτος ‚Menschen erfreu-
end‘; lit. tarpà f. ‚Gedeihen, Entwicklung, Fort-
schritt‘, tapti (-pstù, -paũ) ‚gedeihen, zuneh-
men, in Wachstum geraten (von Menschen, Tie-
ren, Pflanzen)‘, lett. tãrpa f. ‚Kraft, Gedeihen,
Wachstum‘, trpa ‚Kraft‘, apreuß. enterpo (für
*enterpa) ‚nützt‘ (neben ‚notwendig sein‘, s.
E. Fraenkel, Lexis 2 [1951], 183 f.), enterpon,
enterpen (für *enterpan part. präs.akt.n.sg.)
‚nützlich‘.
Toch. A tsārwa-, B /tsarwa-/ < urtoch. *tsarwa-
‚sich freuen‘, das Pedersen, Zur toch. Spr. § 27, 2 an-
schließt, bleibt fern, weil toch. ts- nicht für antevokali-
sches *t steht (W. Winter, IF 67 [1962], 16 ff.; J. Jasa-
noff, in Cowgill-Gedenkschrift 108).
Die zugrundeliegende Wz. uridg. *terp- ‚sich
sättigen, genießen‘ hat eine Bedeutungsentwick-
lung von ‚woran Befriedigung finden > bedür-
fen‘ (Mann, IE Comp. Dict. 1446) mitgemacht;
vgl. das Nebeneinander der Bedeutungen bei
den lat. und germ. Verben fruor ‚genieße‘ bzw.
got. brūkjan, ahd. brûhhan, as. brūkan, ae. brū-
can ‚brauchen‘, die ebenfalls von einer gemein-
samen Wz. ausgegangen sind.
Dagegen stellt Ramat, a. a. O. 189 f. 194 slav. terp- ‚lei-
den, dulden‘ (russ. terpét’; tschech. trpêti; s. V. Ma-
chek, Zfslav. Ph. 23 [1954], 116 f.) zu der Wz. von
ahd. darba und geht von einem antithetischen Bedeu-
tungspaar (vgl. Vries, a. a. O. 627) mit einem rein posi-
tiven (gr. τέρπομαι) und einem rein negativen Sinnge-
halt (‚darben, entbehren‘) aus. Diese Annahme dürfte
der Parallele ahd. brûhhan, lat. fruor jedoch nicht vor-
zuziehen sein, da es für die slav. Sippe auch eine ande-
re Anschlußmöglichkeit, nämlich an Wörter der Be-
deutung ‚erstarren‘ (lat. torpeō ‚werde steif‘ usw.), gibt
(Vasmer, Russ. et. Wb. III, 98. Demgegenüber rechnet
Seebold [Kluge²² 128] wegen der slav. Wörter der Be-
deutung ‚leiden‘ mit dem Zusammenfall zweier Wur-
zeln). — Seebold, Germ. st. Verben 509 f. erwägt dage-
gen eine Bedeutungsentwicklung von ‚ich habe mich
erfreut‘ (etwa ‚indem ich gesehen habe‘) > ‚ich wün-
sche, brauche jetzt‘, was er aber selbst als konstruiert
bezeichnet, oder — ohne nähere Erläuterung — einen
Bedeutungsübergang über ein Desiderativ. Spekulativ
ist die von R. Meringer, IF 18 (1905—06), 226 vorge-
schlagene Bedeutungsvermittlung: ‚ich habe gegessen‘
[þarf], d. h. ‚mit dem Essen ist’s vorbei‘, ‚habe Hun-
ger, bedarf‘ > ‚ich muß‘. Gleiches gilt für die Auffas-
sung von Betz, Hammerich-Festschrift (1962), 8 f.: die
ursprüngliche Bedeutung ‚eine Sache genießen‘ habe
sich auf der Grundlage „einer gewissen heiter-optimi-
stischen Lebenseinstellung“ zu ‚einer Sache bedürfen‘
und auf der Grundlage „einer asketisch oder ent-
täuscht-pessimistischen Haltung“ — wie sie im „klassi-
schen germanischen Heldenlied“ zu finden sei — zu ‚ei-
ner Sache entbehren‘ entwickelt. Ähnlich W. Meid,
Das germ. Praeteritum (Innsbruck, 1971), 26: ‚ich habe
genossen (und daher nichts mehr übrig, somit habe
ich Mangel) und bedarf‘, wobei der auf eine pessimi-
stische Einstellung weisende Bedeutungswandel viel-
leicht durch die weniger üppigen Lebensverhältnisse
im kargen nördlichen Klima bedingt sei. Daneben er-
wägt Meid ein mediales Präs. mit intensiv-iterativer
(oder habitueller) Bedeutung: ‚ich genieße, gebrauche
gewohnheitlich‘ > ‚ich bedarf‘. Doch deutet der Ab-
laut urgerm. *þarf, *þurum auf die Fortsetzung eines
Perf. (→ durfan).
Unwahrscheinlich ist ferner die von Grienberger,
a. a. O. 214 angenommene Bedeutungsentwicklung:
‚gedeihen, geraten‘ > ‚bedürfen, einer Sache Bedarf
haben‘, wobei das kausativische Verhältnis ‚gedeihen,
gediehen sein einer Sache‘ logisch zu ‚bedürfen einer
Sache, nämlich jener, durch die etwas gediehen, gera-
ten ist‘ umgewertet worden sei. Die Bedeutung von
‚bedürfen‘ zu ‚entbehren‘ beruhe auf dem stillschwei-
gend einseitig gezogenen Schlusse, daß man einer Sa-
che entbehre, sie nicht habe, deren man bedarf, indem
gemeint sei, daß mit dem Besitz auch das Bedürfnis
aufhöre. Verfehlt Grimm, Gesch. d. dt. Spr.³ II, 902:
*þarf ‚ich habe dargebracht, d. h. bin jetzt ohne Op-
fergegenstände und warte auf neue‘.
Zweifelnd zu der Verbindung mit der Wz. uridg.
*terp- ‚sich sättigen, genießen‘ äußert sich Brugmann,
Grdr.² II, 3, 328. 485; ebenso Dt. Wb.² a. a. O. Anders
Feist, a. a. O.: zu aind. asu-tp- ‚den Lebenshauch
stehlend‘, paśu-tp- ‚Vieh stehlend‘, tpú- ‚Dieb‘, av.
tarǝp- ‚stehlen‘ (trǝfiiāt̰ ‚er raube‘; Bartholomae, Ai-
ran. Wb. 643); nach Schade, a. a. O.: eigtl. ‚schweren
Verlust erlitten haben (durch Beraubung) und darum
Not leiden‘. Anschlüsse für die Wz. *terp- ‚rauben‘ au-
ßerhalb des Indo-Iran. sind jedoch unsicher (F. Kluge,
Zfvgl.Spr. 25 [1881], 311 f.; Mayrhofer, K. et. Wb. d.
Aind. I, 523; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 635: Die
Bedeutungen ‚stehlen, rauben‘ von indoiran. *tarp-
seien möglicherweise als Verharmlosung von ‚sich [an
etwas] gütlich tun‘ zu fassen). Ebenso bleiben got.
þrafstjan ‚trösten‘ (Fick I [Idg.]⁴ 61; Fick III [Germ.]⁴
191), aksl. trьpěti ‚ertragen, gedulden‘ (Miklosich, Et.
Wb. d. slav. Spr. 354 f.; Brückner, Słownik et. polsk.
63) und lat. torpēre ‚erstarrt sein‘ fern (s. Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. II, 692; zu got. þrafstjan s. dio-
draft); und air. torbae ‚Nutzen, Gewinn‘ (Dict. of Irish
T-257), das von Fick I (Idg.)⁴ 444 zum Vergleich her-
angezogen wird, gehört zu do⋅rorban ‚kann nützen‘
(< *to-for-ben/ to-ro-for-ben; s. Pedersen, Vgl. Gr. d.
kelt. Spr. II, 445 mit ben- als Form des Verbs bí-
‚sein‘; s. Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. B-34 f.; anders
Thurneysen, Gr. of OIr. § 725 [dazu 683, 157]. 852:
air. torbae < baë ‚Nutzen‘ + Präverb to-ro, wovon
das Verb torban [proteroton] unter Einfluß der Sippe
von ben- ‚schlagen‘ abgeleitet sei). Nicht überzeugend
F. A. Wood, MLN 20 (1905), 102 ff.; ders., MLN 22
(1907), 119 ff.: idg. *terep- ‚reiben, drücken, pressen‘
> lit. *trepti ‚mit den Füßen scharren, zappeln, pol-
tern usw.‘, mhd. verderben ‚unnütz, zunichte werden,
sterben‘, ahd. durfan ‚bedürfen, brauchen‘ usw.
(C. C. Uhlenbeck, Tijdschrift 25 [1906], 299 f.)
Bemerkenswert ist, daß neben der Wz. uridg.
*terp- ‚sich sättigen, genießen‘ voreinzelsprach-
lich eine Wz. *terb(h)- steht, deren Fortsetzun-
gen im Slav. ähnliche Bedeutungen wie die Fort-
setzungen der Wz. *terp- haben, z. B. poln. trze-
ba ‚es ist nötig‘, slovak. treba ‚nötig‘, aruss.
trěbъ ‚notwendig, von Nutzen‘, abulg. trěbovati
‚bedürfen‘ (Vasmer, a. a. O. III, 133 f.). Die Wz.
*terb(h)- ist jedoch von der ahd. darba zugrun-
deliegenden Wz. zu trennen (F. Kluge, Das ger-
manische Präteritum, QuF 32 [1879], 76).
Walde-Pokorny I, 737; Pokorny 1077 f.; F. de Saussu-
re, MSLP 7 (1892), 83 ff.; Mayrhofer, K. et. Wb. d.
Aind. I, 523 f; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 634 f.;
Bartholomae, Airan. Wb. 805 f.; Reichelt, Awest. El.-
buch² 454; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 958 f.; Frisk, Gr. et.
Wb. II, 881 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 1107 f.; Traut-
mann, Balt.-Slav. Wb. 314; Vasmer, Russ. et. Wb. III,
134; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1062 f.; Mühlenbach-End-
zelin, Lett.-dt. Wb. IV, 149; Trautmann, Apreuß.
Spr.denkm. 329; Schmalstieg, OPruss. Gr. 79. 86. 172.
223; Stud. in OPruss. 258.