holuntarAWB, holantarAWB, holderAWB m. a-St., in
zahlreichen Gl., seit dem 9. Jh.: ‚(Schwarzer)
Holunder; acte, amantilla, anagloxena, apifu-
sus, atrapassa, riscus, sambucus‘ (Sambucus
L.) 〈Var.: holnder; -ll-; -ter, -der, -tir, -dir〉.
Die ab dem 11. Jh. vorkommenden verkürzten
Formen mit Mittelsilbenschwund sind durch
die im Ahd. und Mhd. übliche Betonung auf
der ersten Silbe verursacht. — Mhd. holunter,
holunder, holder, holler st. m. ‚Holunder‘, hol-
ler, holre auch als Bezeichnung eines Blasin-
struments aus Holunderholz (vgl. die Kompo-
sita mhd. holr-floite sw. f. ‚Flöte aus Holun-
der‘, holre-rant st. m. ‚ein Blasinstrument‘),
nhd. Holunder, mdartl. treten häufig verkürzte
Formen auf: z. B. schweiz. holder ‚Holunder,
Schneeballstrauch‘, tirol. hôler ‚Holunder‘,
els. holder, hollert ‚Holunder, Knallbüchse
aus Holunderrohr‘, bad. holder, holler ‚Ho-
lunder, Flieder‘, schwäb. holder, bair. holler
‚Holunder‘, lothr. holler ‚Holunder‘, rhein.
holer, holler ‚Holunder, hohler Pflanzensten-
gel‘, übertr. ‚dummer Mensch‘, steir. holler
‚Holunder‘, pfälz. holder, holler ‚Holunder,
Flieder‘, südhess. holder, holer ‚Holunder,
Flieder‘, osächs. holder ‚Holunder, Flieder‘,
thür. holder, brandenb. holder, holler, meckl.
holler ‚Holunder‘.
Der Holunder, ein Holzgewächs mit dickem Mark, ge-
fiederten Blättern und schirmförmigen Blütenständen,
gehört zur Gattung der Geißblattgewächse (Caprifolia-
ceae). Schon in der Antike war die heilende Wirkung
des Holunders bekannt. Auch in der mittelalterlichen
Medizin fand der Holunder als blutreinigendes, abfüh-
rendes, schweißtreibendes und entzündungshemmendes
Mittel Anwendung.
Ahd. Wb. 4, 1216 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 397; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 559; Schützeichel⁶ 165; Starck-Wells
282 f. XLIII; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 370 ff.;
Graff 4, 880; Lexer 1, 1328 f.; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 10 (actix). 27 (amantilla). 40 (apifusus). 57 (atra-
passa). 499 (riscus). 509 (sambucus); Dt. Wb. 10, 1762.
1737. 1757; Kluge²¹ 315; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.²
553. — R. Bergmann, in Bergmann 1987: 1, 554; Paul
1989: § 21 Anm. 1; Relleke 1980: 55 f. (besonders zu
holrerant). — Marzell [1943—1958] 2000: 4, 63—67;
Sauerhoff 2003/04: 553 f.; HDA 4, 261 ff.; RGA² 15,
90 ff. — Reetz 1948 (ausführlich zur mdartl. Laut- und
Wortgeographie von Holunder); Schweiz. Id. 2, 1184 ff.;
Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. 1, 325; Ochs, Bad.
Wb. 2, 775; Fischer, Schwäb. Wb. 3, 1763 f.; Schmeller,
Bayer. Wb.² 1, 1083 f.; Lexer, Kärnt. Wb. 143; Schöpf,
Tirol. Id. 272 f.; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 1, 299; Un-
ger-Khull, Steir. Wortschatz 353; Follmann, Wb. d. dt.-
lothr. Mdaa. 248; Müller, Rhein. Wb. 3, 777 ff.; Christ-
mann, Pfälz. Wb. 3, 1141 f.; Maurer-Mulch, Südhess.
Wb. 3, 661 ff.; Spangenberg, Thür. Wb. 3, 207 f.; Frings-
Große, Wb. d. obersächs. Mdaa. 2, 383; Bretschneider,
Brandenb.-berlin. Wb. 2, 695; Jungandreas, Ndsächs.
Wb. 6, 471. 525; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. 3, 768.
Ahd. holuntar usw. setzt wie as. holondar-
(nur in Gl. im Komp. holondarpīpa sw. f. ‚Ho-
lunderpfeife‘), mndd. holder, holdern, holen-
dor(en), holunder ‚Holunder‘, mndl. holende-
re ‚Flieder‘, einen starken n-St. urgerm.
*χulan- fort, der mit dem für Baumbezeich-
nungen typischen Suffix urgerm. *-đra- (vgl.
ahd. affaltar m., affoltra f. ‚Apfelbaum‘; Kra-
he-Meid 1969: 3, § 138, 3) versehen wurde.
Die nordgerm. Verwandten sind ohne ablei-
tendes Suffix gebildet: nnorw. hyll m.,
aschwed. hylle, nschwed. dial. hyll, hill, ndän.
hyld ‚Holunder‘ neben nschwed. dial. hollbärs
trä ‚viburnum opulus‘. Das Vorderglied von
nschwed. dial. hollbärs setzt dabei einen
schwachen n-St. urgerm. *χull- < *χuln- fort,
während die anderen umgelauteten nordgerm.
Wörter zusätzlich mit dem Suffix *-i̯a- erwei-
tert sind. Demnach ist der dem Wort ‚Holun-
der‘ zugrundeliegende n-St. *χula-n-, *χull-
eine Bildung mit n-Suffix. Benennungsmotiv
für den ‚Holunder‘ im Germ. ist wohl die Ei-
genschaft, daß sein Mark leicht auszuhöhlen
war, wodurch sich ein Anschluß an das Adj.
hol ‚hohl‘ < urgerm. *χula- ergibt. Darauf hat
bereits Kluge⁷ 212 verwiesen (vgl. schon L.
Fuchs, New Kreutterbuch, Basel 1543, 20:
„Holder darumb das seine Zweig inwendig
hol und voller marck seind.“ [zit. nach Mar-
zell, a. a. O. 4, 64], bei Adelung findet sich die
Schreibung Hohlunder in Anlehnung an das
Adj.; vgl. Lühr 1988: 203, sich anschließend
Schaffner 2005: 327 f.). Das Suffix ist somit
als individualisierendes n-Suffix zu bestim-
men, und die Grundbedeutung des ‚Holun-
ders‘ ist ‚der Hohle‘.
Im Unterschied zu den oben angeführten
skand. Wörtern norw. hyll usw. ist nschwed.
holder (1. Beleg 1578), hollunder (1. Beleg
1672) ‚Holunder‘ aus dem Dt. übernommen.
Me. hilder, hiller, hyl ‚Holunder‘ gehört sicher
nicht als Variante mit anlautendem h- zu me.
eller, eldre, ne. elder ‚Holunder‘, sondern ist
eher aus dem Nordgerm. entlehnt.
Die in populären Darstellungen öfters zu findende Deu-
tung des ‚Holunders‘ als ‚Baum der Frau Holle‘ ist eine
mythologisierende Spielerei und etymologisch falsch.
Fick 3 (Germ.)⁴ 95 f.; Holthausen, As. Wb. 36; Wad-
stein, Kl. as. Spr.denkm. 193; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 340; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 287;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3, 534; ME Dict. s. v.;
OED² s. v. elder n.¹; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1,
443; Nielsen, Dansk et. ordb. 195; Ordb. o. d. danske
sprog 8, 958 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 233; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 377; Svenska akad. ordb. s.vv. — E.
Björkman, ZDW 2 (1902), 215 f.; Schaffner, in Tichy
2003: 212 Anm. 41.
Ein anderes Benennungsmotiv für den ‚Ho-
lunder‘ ist für russ. kalína ‚Maßholder,
Schneeballstrauch, Viburnum opulus‘, ukrain.,
bulg. kalína ‚Granatapfel, Eberesche‘, serbo-
kroat. kàlina ‚Rainweide, Eberesche‘,
tschech., slowak., poln., ndsorb. kalina
‚Schneeballstrauch‘, osorb. kalena ‚dss.‘ aus-
zumachen. Es handelt sich am ehesten um ei-
ne Ableitung von urslaw. *kalъ ‚schwarz,
dunkel, feucht‘ (< vorurslaw. *ku̯ah₂l- oder
*kah₂l-) mit dem Suffix -ina- < *-īnā- oder
*-einā- (zum Suffix vgl. Kiparsky 1975:
216 f.). Hier dürften die schwarzen Beeren des
Holunders den Ausschlag für die Benennung
gegeben haben.
In den gängigen Etymologica wird aber russ.
kalína usw. mit ahd. holuntar usw. verbunden,
wobei man für das Germ. von einer Vorform
urgerm. *χolana- ausgeht (so z. B. Kluge²¹
a. a. O., Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. a. a. O.,
Pokorny 547). Abgesehen von dem nicht halt-
baren Ansatz eines urgerm. Wurzelvokals *-o-
anstelle von *-u-, bezweifeln schon Berneker,
Slav. et. Wb. 1, 473 und Vasmer, Russ. et. Wb.
1, 509 einen Zusammenhang zwischen dem
germ. und slaw. Wort.
Walde-Pokorny 1, 441 f.; Pokorny a. a. O.; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 113 f.; Berneker, a. a. O. 1, 473 f.;
Trubačev, Et. slov. slav. jaz. 9, 120 ff.; Vasmer, a. a. O.
1, 509 f.; Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 486 f. —
Herbermann 1974: 92.
Weiteres s. hol.