lîdAWB n. a-St., im Abr und weiteren Gl.,
BR, T, OT, MH, O, L, Nps, Npg, Npw: ‚Ge-
tränk, Trank, Flüssigkeit, Obstwein, Wein;
fiala [= phiala], latex, liquor, Lyaeus, po-
culum, potus, sicera, vinum‘, ubil lîd trinkan
‚den Giftbecher schlürfen; malum poculum
trahere‘, bitteres lîdes skenken ‚vom bitteren
Wein einschenken‘ 〈Var.: lid, lith, lieth〉
(zur seltenen Graphie -ie- für /ī/ in Gl.
4,76,49 [Clm. 22201, 12. Jh.] vgl. Braune-
Reiffenstein 2004: § 37 Anm. 1; Weinhold
[1867] 1985: § 107). — Mhd. lît, leit, leut
st.n./m. ‚Obstwein, Gewürzwein‘, frühnhd.,
ält. nhd. leit- in leikauf ‚Gelöbnistrunk
bei Vertragsabschlüssen‘ (vgl. mhd. lîtkouf),
nhd. mdartl. ält. bair. leit n. ‚geistiges Ge-
tränk‘, in den Komp. leithaus ‚Wirtshaus‘,
leitkauf ‚Umtrunk bei Abschluss eines Kauf-
vertrages‘, thür., osächs. leikauf m. ‚Trunk
zur Besiegelung eines Kaufvertrages (insbe-
sondere beim Viehhandel)‘. Die zahlreichen
Schreibvarianten wie leihkauf, leinkauf, leib-
kauf, leutkauf, leugkauf versuchen, das nicht
mehr verstandene VG des Komp. an be-
kannte Wörter anzuschließen.
Urspr. wird mit mhd. lîtkouf (ältester Beleg von 1160;
DRW 8, 1216) die über den Kaufpreis hinausgehende
Leistung des Käufers gegenüber dem Verkäufer be-
zeichnet, die zumeist in einem gemeinsamen Umtrunk
bestand. Die Wendung einen leikauf machen bedeutet
‚einen Dienst- oder Lehrvertrag zwischen Meister und
Auszubildendem abschließen‘. Wie die Übernahme
des Wortes ins Slaw. zeigt, muss das Wort bereits in
ahd. Zeit existiert haben (s. u.).
Ahd. Wb. 5, 902 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 533; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 720; Schützeichel⁷ 199; Starck-Wells
372; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 70; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 681; Seebold, ChWdW8
190; ders., ChWdW9 512; Graff 2, 192; Lexer 1,
1939; Frühnhd. Wb. 9, 879 ff. (leikauf, leitkauf); Die-
fenbach, Gl. lat.-germ. 320 (latex). 329 (lyeus); Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 497 (poculum). 505 (potus). 609
(sicera). 711 (vinum); Dt. Wb. 12, 727. 738. 739; Klu-
ge²¹ 434 (s. v. Leihkauf); Kluge²⁵ s. v. Leikauf. — Schmel-
ler, Bayer. Wb.² 1, 1534 f.; Spangenberg, Thür. Wb. 4,
216 ff.; Frings-Große, Wb. d. obersächs. Mdaa. 3,
70 f. — Urmoneit 1973: 95. — KS Wackernagel 1872:
97 f.; Heyne 1899—1908: 2, 351 f.; DRW 8, 1216—
1221; HRG 2, 1842 f.; I. Schneider, RGA² 12, 3 f.
Die Bezeichnung des aus Obst oder Beeren
bereiteten gegorenen Getränks ist gemein-
germ.: as. līth st.n. ‚Obstwein, Wein, be-
rauschendes Getränk‘, mndd. līt- in lītkōp
(likcop, likop) m. ‚Trunk zum Abschluss und
Bestätigung eines Kaufvertrages‘ (vgl. auch
lītkōpeslǖde ‚Zeugen beim Abschluss eines
Vertrages‘); mndl. im Komp. lijfcoop m.
‚Leitkauf‘ für *lijtcoop mit volksetym. An-
gleichung an lijf ‚Leben‘; afries. līth n.
‚Obstwein, Getränk‘; ae. līþ n. ‚alkoholi-
sches Getränk‘ (nur spärlich belegt); aisl. líð
n. ‚Rauschtrank‘; got. leiþu* n.? ‚Obstwein;
σίκερα‘ (nur akk.sg. leiþu Lk. 1, 15): <
urgerm. *līþu-.
Wegen des n. Genus der westgerm. Sprachen wird
auch für got. leiþu* zumeist ein N. angenommen.
Doch sind die u-Stämme des Got. durchweg M., so
dass auch für das got. Wort m. Genus wahrscheinlich
ist. In den westgerm. Belegen wäre dann beim
Übergang in die a-Deklination ein Genuswechsel
eingetreten; vgl. z.B. got. fairƕus m. ‚Welt‘ : ahd. fe-
rah n., as. ferah n., ae. feorh m./n., aisl. fjǫr n.
‚Leben‘ (s. auch lid).
Das Komp. adän. lithkøp, ndän. lidkøb,
aschwed. liþköp, schwed. dial. lidköp ‚Trank,
der nach einem Vertragsabschluss verab-
reicht wird‘ ist aus mndd. lītkōp entlehnt. Für
ndän. ligköb ist die assimilierte mndd. Form
līkkōp die Entlehnungsgrundlage. Ält. dän.
leikiöb ist dagegen aus ält. nhd. leikauf
übernommen. Zur Entlehnung im Slaw. s. u.
Fick 3 (Germ.)⁴ 364 f.; Tiefenbach, As. Handwb. 47;
Sehrt, Wb. z. Hel.² 335; Berr, Et. Gl. to Hel. 242 f.;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 384; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 705; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 4, 609 f.; Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 306;
Richthofen, Afries. Wb. 906; Holthausen, Ae. et. Wb.
204; Bosworth-Toller, AS Dict. 643; Vries, Anord. et.
Wb.² 354; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 731; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 500; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 180; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
641 (s. v. lidkjøb); Nielsen, Dansk et. ordb. 261 (s. v.
lidkøb); Ordb. o. d. danske sprog 12, 779 f.; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 572; Svenska akad. ordb. s. v. lidköp;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 329; Lehmann, Gothic Et.
Dict. L-34.
Der Rechtsterminus mhd. lîtkouf wurde ins Slaw.
übernommen. Die Übernahme muss schon sehr früh
erfolgt sein, da der fremde f-Laut in slaw. Entleh-
nungen meist als p wiedergegeben wird. Erst nach
dem Schwund der reduzierten Vokale entsteht auch
im Slaw. ein f (vgl. Bräuer 1961—69: 1, § 55, 3). Das
Lehnwort erscheint in den slaw. Sprachen als
atschech., ntschech., aslowak. litkup, ukrain. dial.
łýtkup, osorb. litkup neben metathiertem liptok und
liptonk mit Nasaleinschub vor Tektal und Dental,
ndsorb. litkup neben lindkup (s. o.), litkop mit ak-
zentbedingter Vokalsenkung von u > o. Slowen. lȋkof
‚Gelöbnistrunk‘ (Erstbeleg 1550) ist ebenso wie kroat.
lȉkof, lȉkov(o) ‚Kauf-, Gelöbnistrunk‘, likuf ‚Findel-
geld‘ eine spätere, wohl aus dem Mhd. erfolgte Ent-
lehnung (wie etwa auch slowen. litovž, lituš, lituž
‚Wirtshaus‘ < mhd. lîthûs; vgl. bair. leithaus ‚Schen-
ke‘ und slowen. litkeb, líkeb ‚Wirt‘ [Erstbeleg 1595] <
mhd. lîtgebe). Über poln. litkup gelangte das Lehn-
wort auch ins Russ.: pl. lítki ‚Bewirtung beim Ab-
schluss eines Geschäfts‘. Die russ. Form zeigt eine
(wohl volksetym.) Kürzung des urspr. HG, wodurch
eine Form entstand, die aussah wie eine (dimin.) k-
Ableitung zu einer Form des Verbs russ. lit’ ‚gießen‘.
Urgerm. *līþu- setzt wohl einen protero-
kinetischen st. Stamm vorurgerm. *léi̯H-tu-
mit hochstufiger Wz. und schwundstufigem
Suffix fort. Eine Verallgemeinerung des sw.
Stamms vorurgerm. *liH-téu̯- > urgerm. *lī-
đu- wäre wegen des grammatischen Wech-
sels weniger wahrscheinlich, es sei denn,
man nimmt Verallgemeinerung von *þ nach
dem st. Stamm an. Direkte außergerm. Ent-
sprechungen sind nicht nachzuweisen. Der
scheinbar formal gleiche m. u-St. air. líth
‚Fest, Glück, Wohlstand‘ (auch in Ogam
LIT[ENI]; vgl. Ziegler 1994: 193 f.), VG in
gall. PN Litu-, Lito- (z.B. Litu-genus), abret.
lit, nbret. lid ‚Fest, Freude‘ geht am ehesten
über urkelt. *lītu > *lētu auf uridg. *pleh₁-
tu-, eine Ableitung von *pleh₁- ‚sich füllen,
voll werden‘, zurück (vgl. Irslinger 2002:
113 f.).
Ein sicherer etym. Zusammenhang besteht
mit verbalen balto-slaw. und kelt. Fortset-
zern von uridg. *lei̯H- ‚gießen‘: lit. dial. lejù
(inf. líeti) ‚gieße aus, vergieße, schütte aus,
besprenge‘, daneben lýti ‚regnen‘, lett. leju
(inf. liêt) ‚vergieße, schütte‘, apreuß. pra-
lieiton ‚vergossen‘ und aksl. -liti, lijati ‚gie-
ßen, schütten‘ weisen auf ein wohl akrody-
namisches Wz.präsens *lḗi̯H-/*léi̯H-, das
thematisiert wurde.
Im Kelt. gehören zu dieser Wz. neben ei-
nigen teils deverbalen Bildungen urkelt. *dī-
exs-lii̯-e/o- > kymr. dillydd ‚fließen, laufen,
gießen‘ sowie urspr. partizipiales urkelt. *lii̯-
ant- > air. li(a)e, lía ‚Flut‘, kymr. lliant ‚Flut,
Strömung‘.
Walde-Pokorny 2, 392; Pokorny 664 f.; LIV² 405 f.;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 156; Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 709 f. 724f.; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 15,
157 ff.; Derksen, Et. dict. of Slav. 280. 297; Et. slov.
jaz. staroslov. 423 f.; Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 2, 141.
145; Snoj, Slov. et. slov.² 357. 360; Vasmer, Russ. et.
Wb. 2, 46. 47; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 2, 502 f. 504;
Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 854 f.; Fraenkel,
Lit. et. Wb. 368; Smoczyński, Słow. et. jęz. lit. 352;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 2, 505; Karulis,
Latv. et. vārd. 1, 528; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm.
389. 408; Mažiulis, Apreuß. et. Wb. 3, 341 ff.; Fick 2
(Kelt.)⁴ 247; Holder, Acelt. Spr. 2, 247 ff.; Matasović,
Et. dict. of Proto-Celt. 241 f. 243; Delamarre, Dict.
gaul.³ 173; Hessens Ir. Lex. 2, 67 (lía²). 70 (líth);
Dict. of Irish L-143 (lía²). 168 f. (líth); Dict. of Welsh
1018. 2174. — Hirt 1900: 100; Bielfeldt 1933: 40
(§ 89). 186; Striedter-Temps 1958: 155; dies. 1963:
169 (líkeb, lîkof). 170 (litovž); W. Merlingen, IF 83
(1978), 58; W. P. Schmid, IF 90 (1985), 140; Garovi
1999: 149 f.; Neri 2003: 315—318; Casaretto 2004:
525; Ahačič 2011: 212; Newerkla 2011: 191; Orel
2011: 2, 209.