lenAWB adj., nur NBo: ‚sanft; lenis‘; lenoAWB
adv., nur NBo: ‚sanft; leniter‘. — Spätmhd.
lên ‚weich‘ (steht im Reim zu gên und ver-
stên), frühnhd. len adj. ‚weich, sanft, nach-
lässig‘, nhd. mdartl. schweiz. lēn ‚weich‘,
schwäb. len ‚lind, weich‘, bair. len ‚weich‘,
kärnt. lēn ‚weich‘, tirol. lēn, lēnε ‚weich,
lind‘, rhein. len ‚locker, weich, schwach,
kraftlos, sacht, gelassen‘, schles. lene ‚weich‘.
Bei den Wörtern mit Langvokal ist die Deh-
nung wohl aus den Flexionsformen, die of-
fene Silbe aufwiesen, übertragen (vgl. Paul
2007: § L 21).
Das bei Lexer 1, 1923 notierte und in and. Wörterbü-
cher übernommene Adj. mhd. lin, -wes, lîn ‚lau, matt,
schlecht‘ existiert nicht. Anstelle von gar bar linwer
wæte ist gar bar slimmer wete ‚frei von verkehrter
Kleidung‘ zu lesen und lîn ist für lîm ‚Pech; bitumen‘
verschrieben (vgl. KS Stackmann 1997: 341 f.).
Ahd. Wb. 5, 805. 812; Splett, Ahd. Wb. 1, 526; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 715; Schützeichel⁷ 197; Graff 2, 218;
Lexer 3, Nachtr. 296; Frühnhd. Wb. 9, 954; Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 371 (lenis); Kluge²¹ 442 (s. v.
lind); Kluge²⁵ s. v. lind. — Schweiz. Id. 3, 1282; Fi-
scher, Schwäb. Wb. 4, 1172; Schmeller, Bayer. Wb.²
1, 1478; Lexer, Kärnt. Wb. 177; Schöpf, Tirol. Id.
386; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 1, 385; Müller,
Rhein. Wb. 5, 388 (len²); Mitzka, Schles. Wb. 2, 806.
Das ahd. Adj. hat vorwiegend im Nordgerm.
Entsprechungen. Im Ndl. und Fries. ist le-
diglich eine Ableitung mit der Kontinuante
des Suff. urgerm. *-a- (s. -îg) fortgesetzt:
frühnndl. lenich, lenig ‚geschmeidig, weich‘,
nndl. lenig ‚geschmeidig, biegsam‘; nwest-
fries. linich adj. ‚geschmeidig‘, nnordfries.
läni ‚geschmeidig‘, inselnordfries. len-
‚glatt, schlicht, eben‘ im Komp. lensköör f.
‚glatter, senkrechter Einschnitt in das Ohr
eines Schafes oder Rindes [als Ohrmarke,
Eigentumszeichen]‘; aisl. linr adj. ‚weich,
nachgiebig‘, nisl., fär. linur, ält. dän. lin
‚weich, gelinde, mild‘, nnorw. (nn.) lin
‚schlapp‘, aschwed. lin, nschwed. len ‚weich,
sanft, mild, sanftmütig‘: < urgerm. *lina-
‚mild, weich‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 365; Seebold, Germ. st. Verben 331 f.
(nur zum st.v.); Heidermanns, Et. Wb. d. germ. Pri-
märadj. 383; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 378 f.;
Suppl. 99; Vries, Ndls. et. wb. 392; Et. wb. Ndl. Ke-R
206; Fryske wb. 12, 320 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 2,
123 f.; Sjölin, Et. Handwb. d. Festlnordfries. 119;
Faltings, Et. Wb. d. fries. Adj. 369 f.; Vries, Anord. et.
Wb.² 358; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 729; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 533 f.; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 182; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
645 f. (s. v. lind); Magnússon, Ísl. Orðsb. 565; Torp,
Nynorsk et. ordb. 380; NOB s. v. (nn.) lin adj.³; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 568; Svenska akad. ordb. s. v.
len adj.
Das germ. Adj. ist ohne direkte außergerm.
Entsprechungen. Das urspr. Verbaladj. ur-
germ. *lina- gehört zum Primärverb urgerm.
*linne/a- < uridg. *li-n-h₂-e/o- (s. bilinnan).
Urgerm. *lina- geht wohl auf ein Transponat
uridg. *lih₂-nó- > *li-h₂nó- > *li-nó- zurück,
bei dem nach der Lex Dybo der Laryngal
ersatzlos geschwunden ist (nach Dybo er-
folgte im Kelt., Germ. und [modifiziert] im It.
Kürzung eines aus Kurzvokal und Laryngal
entstandenen Langvokals vor einem Reso-
nanten, wenn der Langvokal nach grund-
sprachlicher Akzentuierung in vortoniger Sil-
be stand). Am nächsten steht dem germ. Adj.
wahrscheinlich das mit Suff. -ro- gebildete
Adj. gr. λιαρός ‚lau, mild‘ < vorurgr. *lih₂-
ró-. Stimmt diese Annahme, ist das lautlich
ähnliche gr. χλιαρός adj. ‚lauwarm‘ von λια-
ρός zu trennen.
Zugrunde liegt letztendlich die Verbalwz. ur-
idg. *lei̯h₂- ‚aufhören, schwinden‘.
Walde-Pokorny 2, 387 f.; Pokorny 661; LIV² 406
(verbale Anschlüsse); Frisk, Gr. et. Wb. 2, 120; Chan-
traine, Dict. ét. gr. 639; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 859.
S. bilinnan.