âhtaAWB f. ō-St. ‚Verfolgung, persecutio‘, viermal
bezeugt bei Notker, Ps. gl., 11./12. Jh. Im Mhd.
lautet das Wort âhte, später âht st. f., daneben
æhte, æht mit Umlaut, wohl in Analogie zum
Verbum æhten (anders J. B. Voyles, Zfvgl. Spr.
90 [1976], 286). Auch frühnhd. ist acht (mit vor
-ht- gekürztem Vokal) noch belegt, aber dann
„mit der Sache selbst aus der Übung gekom-
men“ (so Adelung, 1774) und heute nur noch
als rechtsgeschichtliches Spezialwort im Ge-
brauch, sowie in der erweiterten Formel ‚Acht
und (kirchlicher) Bann‘ (→ ban).
Ahd. Wb. I, 72; Schützeichel³ 3; Starck-Wells 18;
Graff I, 109; Schade 7; Lexer I, 30; Benecke I, 18; Dt.
Wb. I, 166 f.; Kluge²¹ 6. — E. v. Künßberg, Die Acht
(Weimar, 1910); Dt. Rechtswb. I, 361 ff. — Kuhberg,
Verscholl. Sprachgut 34.
Dem ahd. âhta verwandte oder dem Mndd. ent-
lehnte Parallelen sind fast über den ganzen
germ. Umkreis verbreitet: im Asächs. ist zufäl-
lig nur die Verbalableitung belegt (→ âhten),
mndd. heißt es achte, auch acht (mit Vokalkür-
zung, s. Lasch, Mndd. Gr. § 68, 2), häufig im
Sinne von ‚(Christen)Verfolgung‘, sowie von
‚Ächtung, Friedlosigkeit‘; mndl. achte, nndl.
acht; afries. acht(e) und achtene, echtene. Im
Aengl. entspricht ōht f. (< urg. *anχtō, Sievers-
Brunner, Ae. Gr.³ § 80 Anm. 1; Campbell, OE
Gr. § 119). Dagegen scheint im Nord- oder
Ostgerm. ein entsprechendes Appellativum
nicht belegt — die gerade im Anord. so reichent-
wickelte Terminologie für ‚Acht, persecutio‘ legt
einen ganz anderen Wortstamm zugrunde (→
sahha, s. O. Springer in Indo-European and Indo-
Europeans 35 ff.). So sind denn auch alle dem
ahd. âhta entsprechenden neuskand. Ausdrücke
dem Mndd. entlehnt, ndän. Acht (Akt),
nschwed. akt.
Und wenn noch Noreen, Aisl. Gr.⁴ § 116. 229 im er-
sten Teil des anord. Pn.s Óttarr ein älteres *anχtō se-
hen wollte, so neigt man doch immer mehr zur Ver-
knüpfung mit anord. ótti ‚Furcht‘, aus urnord. *ōχtan
(mit Dehnstufe und ohne Nasal, vgl. got. ōgan = φο-
βεῖσθαι), s. Janzén, Personnavne 86. Noch problema-
tischer ist die besonders aus Beowulf und Alfreds
Orosius bekannte Namensform Ōhtere für nordgerm.
Persönlichkeiten: wenn die Assimilation von -ht- zu
-tt- im Anord. nach dem Zeugnis der Eggjum-In-
schrift schon um 700 n. Chr. vollzogen war, so müßte
für diesen Ōhtere mit einer nachträglichen Anleh-
nung an ae. ōht zu rechnen sein, vgl. E. Björkman,
Nordische PN in England (Halle, 1910), 104; ders.,
Studien über die Eigennamen im Beowulf (Halle,
1920), 84 f.; Förster, Flußname Themse 257 Anm.
Fick III (Germ.)⁴ 558 (Nachtr.); Holthausen, As. Wb.
1; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 3; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. I, 3; Holthausen, Afries. Wb. 1;
Richthofen, Afries. Wb. 588; Helten, Lex. d. Aostfries.
7; Holthausen, Ae. et. Wb. 241; Bosworth-Toller, AS
Dict. 744; Vries, Anord. et. Wb.² 422; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 217; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 17. 1430; Ordb. o. d. danske sprog I, 94. 396;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 7 f.; Svenska akad. ordb.
A—840 f.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 380 f. (og).
Diese Übersicht der germ. Varianten führt ein-
deutig auf eine urgerm. Grundform *anχtō, be-
stätigt durch das Anfangsglied des aus dem
1. Jh. n. Chr. überlieferten PN.s Āctumērus (Ta-
citus, Ann. XI, 16: = urg. *Ā(n)χtu-mǣraz mit
-u- < -o-), der allerdings mit einer Form Catu-
mērus variiert; und da es sich um einen Chat-
tenfürsten handeln soll, hat sich R. Much für
die Lesart Catu-mērus, d. i. ahd. Hadu-mâr ent-
schieden, im Gegensatz zu Müllenhoff, Bremer,
Kluge, Brugmann sowie R. Koegel, der überdies
auf den inschriftlich bezeugten PN Acte-mērus
(CIL XII, 1210) verwies. Problematisch bleibt
allerdings die Chronologie des Lautwandels
von frühgerm. -anχ- zu -āχ-.
J. Grimm, Gesch. d. dt. Spr. II (Leipzig, 1848), 580.
615; K. Müllenhoff, ZfdA. 9 (1853), 223 f. 246; ders.,
Dt. Altertumskunde IV, 542 ff.; O. Bremer, PBB 11
(1886), 2 und Anm. 1; ders., ZfdPh. 22 (1890), 251
und Anm. 1; R. Much, ZfdA. 35 (1891), 363 ff.; R.
Koegel, ZfdA. 37 (1893), 227; F. Kluge, Grdr. d. germ.
Phil.² I, 355; Brugmann, Grdr.² I § 421, 3; Förste-
mann, Adt. Namenbuch2—3 I, 43 ff.; Schönfeld, Wb. d.
agerm. PN 1. 61 f.
Sehr viel weniger überzeugend sind die außer-
germ. Zusammenhänge. Am wahrscheinlichsten
ist Verwandtschaft mit gr. und kelt., vielleicht
auch heth. Parallelen. Formal sowohl wie in-
haltlich hat sich von jeher gr. ἀνάγκη ‚Notwen-
digkeit, Zwang‘ aufgedrängt, obwohl die gr.
Vokabel selbst lautgeschichtlich keineswegs
durchsichtig ist (s. die Hinweise bei Frisk).
Noch näherliegend sind Wortbildungen wie air.
écht (< *anktu- oder *ktu-) ‚Totschlag aus
Rache‘, sowie ohne -t-Erweiterung, air. éc, nir.
éag ‚Tod‘, mkymr. angheu ‚dss.‘, und mit Na-
salsuffix air. écen ‚Notwendigkeit, Zwang‘,
mkymr. anghen, nkymr. angen, mbret. anguen,
nbret. korn. anken ‚dss.‘ Insofern als die letzt-
genannten Formen auf einen idg. Ansatz
*kenā, *ankenā (**[H]keneH₂, **H₂enke-
neH₂) zurückführen, hat man ihnen aus dem
Heth. die Sippe von ḫenkan (ḫinkan) ‚Tod,
Seuche‘ zur Seite gestellt; für die verwickelten
Beziehungen zu ahd. âhta sei auf die Übersicht
und bibliog. Hinweise bei Tischler, Heth. et. Gl.
I, 246 ff. verwiesen.
Problematisch bleibt auch nach wie vor die
Herleitung von einer zweisilbigen Basis *ene-,
*one-, *ane- (Wz. **Hne-), die dann mit
Schwundstufe Anschluß an lat. nec- (noc-) in
nex ‚Tod, Mord‘, noxa ‚Schaden‘, necāre ‚töten‘,
gr. νέκῡς ‚Leiche‘ u. a. gestatten würde, sowie
an aind. náçyati ‚kommt um, vergeht‘, av. nasu-
‚Leichnam‘, toch. AB nak-, näk-, B nek- ‚um-
kommen‘. Hamp (brieflich) geht von zwei la-
ryngaltheoretischen Ansätzen: **H₂entu- >
*antu und **H₂(e)n-Vn- > *annā, *nā
aus. Verfehlt waren wohl Anknüpfungen an
got. naus (< *naw-), anord. nár ‚Leiche‘, germ.
Nehalennia und aisl. Naglfar (s. Feist, Vgl. Wb.
d. got. Spr. 372; Vries, Anord. et. Wb.² 404 f.
und insbes. A. M. Sturtevant, PMLA 66 [1951],
279).
Fick I (Idg.)⁴ 96. 272. 501; Walde-Pokorny I, 60; II,
326; Pokorny 45. 762; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind.
II, 145 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 59. 661; Frisk, Gr. et.
Wb. I, 101; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 153 ff.
(necō); Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 439 (nex); Fick
II (Kelt.)⁴ 32; Dict. of Irish E-8 ff. (éc); Dict. of Welsh
50 (angen); Henry, Lex. ét. du breton mod. 11 f.; W.
Stokes, BB 16 (1890), 51; Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt.
Spr. I, 46; Fleuriot, Dict. des gl. en vieux breton 64. —
Zur zweisilbigen idg. Basis: R. Meringer, IF 18
(1905—06), 218 f. (*ene-); Hirt, Ablaut § 629
(*one-); Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 59 (*ane-); Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. II, 154 f. (*ene-, *ane-); vgl.
auch Benveniste, Origines 154 f.