biostAWB m. a-St., nur in Gl.: ‚Biest(milch), er-
ste Milch nach dem Gebären, colostrum, lac
novum‘ 〈Var.: schon biest in jüngeren Gl., da-
neben bist; alle drei Formen begegnen mit anl.
p-, ein einmaliges beost, Gl. 2, 12, 27, in Codex
32 des Klosters Einsiedeln, 10. Jh., mit mehre-
ren ags. Einsprengseln bezeichnet durch f,
wird von W. Schröder gleichfalls ae. Herkunft
verdächtigt (ZfdA. 87 [1956/57], 182). — Die
in Gl. 4, 199, 41 belegte Form biostr, zu der
Steinmeyer bemerkt: „-o- zweifelhaft“, — ande-
re lesen biastr, s. Ahd. Wb. I, 993 — dürfte mit
einem möglichen -ia- unter die frk. Dialektfor-
men des Cod. Sem. Trevirensis zu zählen sein;
aber das ausl. -r kann nur als Schreibfehler er-
klärt werden — ein Zusammenhang mit dem in
den späteren Mdaa. häufigen ein- oder ange-
fügten r (ǝr) (s. u.) ist höchst unwahrschein-
lich〉. — Die mhd. Form lautet biest st.m., ein-
mal ist bi(e)nst belegt (im Vocabularius opti-
mus, Ende des 14. Jh.s), dessen -n- sich als
‚umgekehrte Schreibung‘ erklärt: mdartl.
schwindet vielfach der Nasal in der Lautfolge
Vokal + n + Spirant, was zu hyperkorrekter
Nasalierung in Wörtern wie lei(n)se, mei(n)st,
mei(n)ster, seu(n)fzen und keu(n)sch führt (s.
Wilmanns, Dt. Gr. I § 107 Anm. 3; Behaghel,
Gesch. d. dt. Spr.⁵ § 125; Paul, Dt. Gr. I § 241).
— Nhd. Biest wird, um es von seinem meist ver-
ächtlich für ‚Tier‘ oder auch ‚Mensch‘ ge-
brauchten Homonym Biest zu unterscheiden,
häufig zu Biestmilch verdeutlicht.
Ahd. Wb. I, 1082 f. 993 (biastr); Splett, Ahd. Wb. I,
67; Starck-Wells 57; Graff III, 219; Schade 66; Lexer
I, 269; Benecke I, 117; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 133
(colostrum); Dt. Wb. II, 3; Kluge²¹ 75; Kluge²² 84. —
Vgl. auch E. Lidén, Zfvgl.Spr. 61 (1933—34), 1 ff.
Das ahd. Wort, das nicht nur zum Wortschatz
der herkömmlichen (idg.-germ.) Viehzucht ge-
hört, sondern auch eine Bezeichnung der volks-
tümlichen Ernährung darstellt, ist in sämtlichen
westgerm. Dialekten zu belegen, wie es sich
auch in den dt. Mdaa. von heute mit erstaunli-
cher Zähigkeit lebendig erhalten hat. Da sind
as. biost sowie mndd. bēst; mndl. nndl. biest;
nfries. bjist; ae. bēost neben seiner durch -ing
erweiterten und umgelauteten Ableit. bīesting,
me. bēst, bēsting, ne. beest, beestings, biestings;
nur im Nordgerm. fehlt das Gegenstück wie
auch Wulfilas Text keinen Anlaß zu seiner Er-
wähnung gab.
Fick III (Germ.)⁴ 276; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 247; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
282; Verdam, Mndd. handwb. 98; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 63; Vries, Ndls. et. wb. 56; Siebs, Gesch. d.
fries. Spr. 1234; Dijkstra, Friesch Wb. I, 187; Holthau-
sen, Ae. et. Wb. 21. 23; Bosworth-Toller, AS Dict. 87;
Suppl. 80; ME Dict. A—B, 762. 768; OED² II, 59;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 85; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
108 f.
Die Belege in den germ. Einzelsprachen führen auf
eine Grundform *eust-az zurück, für die man an-
fangs im Aind. und Griech. außergerm. Verwandte zu
finden wähnte. Schon Joh. Schmidt stellte (Zfvgl.Spr.
25 [1881], 599), um das Fehlen eines hiatustilgenden
-r- zu beweisen, aind. pīyṣa- ‚colostrum‘ (als urver-
wandt?) neben ahd. piost, biest, verzichtete aber in ei-
ner Fußnote (des folgenden Bandes, 26 [1883], 347)
auf eine genauere Erörterung, da sie ihn „zu weit ab-
seits führen“ würde. Noch weiter „abseits“ ging
S. Bugge (der Schmidt zitierte, PBB 12 [1887], 401
Fn. 1 und 421 f.) in seinem Bemühen, weitere Exempel
dafür zu finden, daß auch anlautendes idg. p-, t-, k-,
je nach der Lagerung des Akzents, nicht nur zu f-, þ-,
x-, sondern gemäß Verners Gesetz über -, đ-, - zu
b-, d-, g- geworden seien. Eines der Beispiele, die er
mit Joh. Schmidt teilte, war ahd. biost: aind. pīyṣa-
(wohl mit Akzentwechsel, wie er meinte, aus pīyūṣá-);
auch zögerte Bugge nicht, so wenig wie Grimm vor
ihm — und nicht weniger verfehlt — (Dt. Wb. II, 3), gr.
πῡός ‚Biestmilch‘ dem genannten Wortpaar als dritten
vermeintlichen Urverwandten zuzugesellen. Und doch
erwies sich gr. πῡός (wie auch gr. πύον, -ος ‚Eiter‘) als
zur Wz. *pū-: *peu̯(ǝ)- ‚faulen‘ und damit zu lat. pūs
‚Eiter‘, ahd. fûl ‚faul‘ (s. d.) gehörig, während aind.
pīyṣa- als Zss. oder Ableitung aufgefaßt wurde, deren
erster Teil zu aind. pī-, páyate ‚schwillt, strotzt‘ ge-
hörte (Mayrhofer K. et. Wb. d. Aind. II, 212; ders.,
Et. Wb. d. Altindoar. II, 83) und deren zweiter Teil
mundiden Ursprungs verdächtig oder, wie M. Bloom-
field, AJPh. 16 (1895), 425 annahm, einem Wort yūṣa
‚Brühe‘ nachgebildet, also gar kein echtes Suffix zu
sein schien (s. Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 295;
Et. Wb. d. Altindoar. II, 138; Monier-Williams, Skt.-
English Dict. 856); wieder anders E. Windisch,
Zfvgl.Spr. 21 (1873), 249. Auch -ūš- von jungav. pi-
piiūšī- ‚die Milch in der Brust hat, säugt‘ (mit av. -ū-
hinter *i̯ gegenüber aind. pipyúṣī-) bleibt fern (s. Bar-
tholomae, Airan. Wb. 848. 906), da es sich bei dieser
Form um das Part. Perf. Akt. der Wz. *pī- (s. o.) han-
delt.
So gilt es, trotz Grimm, Joh. Schmidt und
S. Bugge, von vorn anzufangen: nach junggram.
Spielregeln ist eine germ. Grundform *eust-az
auf die idg. Wz. *bheu̯-: *bhou̯-: *bhu- ‚aufbla-
sen, schwellen‘ zurückzuführen, die sehr häufig
mit s-Erweiterung begegnet wie in mhd. bûs
‚schwellende Fülle‘ (Lexer I, 399), anord. busi
‚Feuer‘ (poet.), norw. baus ‚stolz, übermütig‘ (→
bôsi), nhd. Bausch ‚Wulst‘ (< *bhūs-ko-; →
*bûsc, busc). Noch reicher vertreten sind s-Er-
weiterungen im Slav., vielfach mit Bedeutungen,
die der für germ. *eust-az vorauszusetzenden
sehr nahe kommen: russ. búchnut’ ‚quellen, an-
schwellen‘, slov. búhniti ‚anschwellen, sich auf-
blähen‘, búhor ‚Wasserblase‘; serbo-kroat. bùja-
ti (< buhati) ‚aufgehen‘ (vom Teig), bȕhav adj.
‚schwammig, locker, weich‘; tschech. buchta
‚Schmalzkuchen‘ (vgl. dt.-österr. Buchtel).
S. Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 28 unter der
Grundform *bauṣā- ‚Hochmut‘; auch E. Wad-
stein, PBB 22 (1897), 238 ff. (slav. buch- <
*bhou̯s-).
Walde-Pokorny II, 114 ff. bes. 117 f.; Pokorny 101 f.;
Persson, Beitr. z. idg. Wortf. I, 259 u. Anm. 1. 2. 3;
Vries, Anord. et. Wb.² 66; Dt. Wb. I, 1197 ff.; Sadnik-
Aitzetmüller, Vgl. Wb. d. slav. Spr. Nr. 106; Berneker,
Slav. et. Wb. I, 97 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. I, 156.
Darüber hinaus fehlt es nicht an Bildungen mit
nachträglich suffigiertem -t: zwar sind die
Zs.hänge mit lat. fūstis ‚Stock, Knüttel‘ (<
*bhūd-st-i-) sowohl aus lautlichen wie semanti-
schen Gründen zweifelhaft (s. Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. I, 573 und → bôzan); aber aisl. bey-
sti n. ‚Schinken (< *baustja- ‚geschwollenes
Fleischstück‘), nisl. bústinn ‚rund, plump‘,
nnorw. bausten ‚Appetit habend‘, bausta ‚unge-
stüm, hochmütig sein‘, nhd. mdartl. baust
‚Wulst‘, frühnhd. bausten ‚tumere, turgere‘ u. ä.
(Dt. Wb. I, 1201; s. Wadstein, a. a. O.) sind in-
nerhalb des Germanischen genug an formalen
und inhaltlichen Parallelen, um die Erklärung
von ahd. biost aus *eust-az im Sinne von ‚ge-
quollener, geronnener, verkäster, gelabter, dik-
ker Milch‘ zu rechtfertigen.
Vries, Anord. et. Wb.² 34 f. (beysti); Blöndal, Isl.-
dansk ordb. 121; Aasen, Norsk ordbog² 44; Norsk ord-
bok I, 463 (bausta); Dt. Wb. I, 1201.
Das Wort ist fast in sämtlichen Mdaa. des dt.
Sprachgebiets noch zu belegen, hd. meist als
biǝšt, ndd. als beest. Wenn darüber hinaus aller-
lei entstellte Formen begegnen, so sind sie wohl
großenteils der etym. Vereinzelung des Wortes
zuzuschreiben, zuweilen auch dem Versuch, der
Verwechslung mit seinem Homonym Biest (s. o.)
vorzubeugen.
Beispiele dafür sind etwa nach dem Schweiz. Id. IV,
1195: Biest, Biesch, Briesch, Bienst (s. o.), Brienst,
Briester, Priester; Ochs, Bad. Wb. I, 226 (Biest n.).
325 (briǝs, briǝšdǝr: umgestaltet unter Einwirkung von
Bries ‚Brustdrüse des Kalbs‘ [→ brust] und Priester).
183 (Pfaffe!); Fischer, Schwäb. Wb. I, 1105 (biest);
IV, 805 (kühbriester); Jutz, Vorarlberg. Wb. I, 352
(Biǝšt, Bīǝršt, Bīǝš); Schmeller, Bayer. Wb.² I, 300
(Biest). 1215 (Küebriester ‚Kuchen aus der Biestmilch
einer Kuh‘); Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in
Österr. III, 155 f. (Pienst und andere lautliche Varian-
ten mit epenthetischem r oder n); Müller, Rhein. Wb.
I, 683 (bīšt, auch ohne -t, wechselnd mit bēst, bēstǝr-
[milch]); Christmann, Pfälz. Wb. I, 902. 1220 (Brie-
ster, auch Kuhbriester); Jungandreas, Ndsächs. Wb. I,
790 (Beest[melk]). 793 (auch Beest[er]-, Beister-);
Bretschneider, Brandenb.-berlin. Wb. I, 598 (Biest²,
auch Bienst, Beest n.); Ziesemer, Preuß. Wb. I, 609
(Biest f., daneben auch m.n.).