dunniAWB adj. ja-St., Gl., Bened.regel, Notker:
‚dünn, zart, schmal, schwach, tenuis, rarus,
fragilis‘ 〈Var.: dunne, tunne〉, mhd. dünne,
nhd. dünn.
Splett, Ahd. Wb. I, 157; Schützeichel⁴ 94; Starck-
Wells 111. 801; Graff V, 146; Schade 115; Heffner,
Word-Index 36; Lexer I, 476; Benecke I, 403; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 578 (tenuis); Dt. Wb. II, 1552 ff.;
Kluge²¹ 148; Kluge²² 160; Pfeifer, Et. Wb. 319.
Die germ. Verwandten lauten: as. thunni, mndd.
dunn, dünne ‚dünn, schwach, gering, nicht fest,
weitläufig‘; mndl. dunne, dinne, dun, din
‚dünn, selten, knapp, gering, unbedeutend‘,
nndl. dun ‚dünn, schmal‘; nostfries. dün, dünn
‚dünn, weitläufig‘, nwestfries. tin ‚dünn, flüssig,
selten‘; ae. þynne ‚dünn, mager, flüssig,
schwach, arm‘, me. þünne, ne. thin; aisl. þunnr
‚dünn, schwach, klar‘, nisl. þunnur, nnorw.
tunn, ndän. tynd, aschwed. þunder, mschwed.
thynder, nschwed. tunn, nschwed. dial. tönn.
Als Vorform ergibt sich ein urgerm. *þunnu-,
das, wie zumeist die u-Stämme im Westgerm.,
in die ja-Stämme übergetreten ist; vgl. das Ne-
beneinander von ahd. herti und got. hardus
‚hart‘ (Wilmanns, Dt. Gr. II § 307; Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. III § 72). Im Nord-
germ. flektiert das Wort für ‚dünn‘ überwiegend
als a-Stamm; auf den alten u-Stamm weist aber
noch der Umlaut in mschwed. thynder,
nschwed. dial. tönn und ndän. tynd (Noreen,
Aisl. Gr.⁴ § 424 Anm. 2; anders Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 1244 f.: Senkung von u zwi-
schen þ und nn).
Fick III (Germ.)⁴ 178; Holthausen, As. Wb. 79; Wad-
stein, Kl. as. Spr.denkm. 233; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 497 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
598 f.; Verdam, Mndl. handwb. 155; Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 143; Vries, Ndls. et. wb. 145; Dijkstra,
Friesch Wb. IV, 286; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. I, 360; Holthausen, Ae. et. Wb. 374; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 1085; Suppl. 731; Stratmann-
Bradley, ME Dict.³ 640; OED² XVII, 939; Oxf. Dict.
of Engl. Et. 917; Vries, Anord. et. Wb.² 627; Holthau-
sen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 324; Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 1309; Torp, Nynorsk et. ordb. 816; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 513 f. (uf-þanjan); Lehmann,
Gothic Et. Dict. U-16.
Außerhalb des Germ. vergleichbare Adjektive
sind aind. tanú- ‚dünn, schmal, schlank, fein‘
(aind. tánuka- ‚klein, dünn‘, npers. tanuk; kaum
hierher aind. tan- f. ‚Leib, Körper, Person,
Selbst‘, av. tanū- f. ‚dss.‘); gr. τανυ- ursprl.
‚dünn, schmal, schlank‘, z. B. in τανύ-φλοιος
‚mit dünner Rinde‘, τανύ-φυλλος ‚mit schmalen
Blättern‘, τανύ-πεπλος ‚mit langem Oberge-
wand‘, τανεῖαι f. pl. ‚Balken‘, ταναός < *τανα-
ϝός ‚dünn, schmal, lang(gestreckt), hoch‘; lat.
tenuis ‚dünn, fein, zart, schmal, niedrig‘; aksl.
tьnъkъ, aruss. tъnъkъ ‚dünn, hager, fein,
scharf‘ (assimiliert aus *tьnъkъ), russ. tónkij
‚dünn, fein, schlank‘, sloven. tenǝk ‚dünn,
knapp, genau‘ (mit k-Suffix bei der Fortsetzung
von u-Stämmen im Slav.; s. E. P. Hamp, Lingua
61 [1983], 3 f.); lit. tvas ‚schlank, dünn, hager,
fein, zart, hoch‘, lett. tiêvs ‚dünn‘; air. tanae,
akymr., mkymr. teneu, nkymr. tenau ‚dünn‘,
mbret. tanau, nbret. tanao, tano, korn. tanow
‚dünn‘.
Walde-Pokorny I, 724; Pokorny 1069; Fick I (Idg.)⁴
58 f. 223. 442; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I,
474 f.; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 620 ff.; H. Rei-
chelt, Zfvgl.Spr. 39 (1903), 66; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴
441; Frisk, Gr. et. Wb. II, 851 ff.; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. II, 666; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 319;
Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 350; Vasmer, Russ. et.
Wb. III, 119; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1086; Mühlen-
bach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. IV, 215 f.; Fick II
(Kelt.)⁴ 128; Holder, Acelt. Spr. II, 1717; Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. T-26; Dict. of Irish T-69.
Als zugrunde liegende uridg. Form hat man *tén-u-
(H. Hirt, IF 21 [1907], 168), *t-ú- (Walde-Pokorny
I, 724) und *tn-ú- (Fick I [Idg.]⁴ 442; F. Sommer, IF
36 [1916], 175 Anm. 1: *t-nú-) vorgeschlagen, wobei
*tn-ú- jedoch lediglich eine Sieverssche Variante von
*t-ú- darstellt. Ginge man von *t-ú- aus, so müßte
man annehmen, daß in die balt. Lautungen, die allein
mit Sicherheit auf eine e-stufige Bildung weisen, die
Vokalisation des Komparativs eingeführt wurde und
daß der Übertritt in die o-Klasse sekundär ist (Uhlen-
beck, K. et. Wb. d. aind. Spr. 108; s. auch Osthoff-
Brugmann, Morph. Unters. VI, 40). Wegen des Laut-
wandels von * zu lat. en (s. Leumann, Lat. Laut- u.
Formenlehre § 61) spräche lat. tenuis nicht gegen einen
Ansatz mit *, und auch das Indoiran. und Griech.
wären mit einem *t-ú- vereinbar, denn * wird in
diesen Sprachen vor Vokal zu an (Rix, Hist. Gr. d.
Griech.² § 76). Legt man dagegen ein *tén-u- zugrun-
de, so müßte die Form *t-ú- durch Kreuzung aus ei-
nem proterodynamischen Flexionstyp hervorgegangen
sein, ein Flexionstyp, bei dem in den starken Kasus
(Nom., Akk., Lok. Sg., Nom. Pl.) die Wurzel und in
den schwachen Kasus das Suffix betont war (H. Eich-
ner, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 31 [1973], 91 Anm. 33;
J. Schindler, in Flexion und Wortbildung 262 ff.; Rix,
a. a. O. 123; K. Hoffmann, Aufsätze zur Indoiranistik
II, 597 f.). In diesem Fall wäre demnach bei *t-ú- die
schwundstufige Form -u- des Suffixes der starken Ka-
sus (*tén-u-) und die schwundstufige Form der Wur-
zel der schwachen Kasus (*t-éu̯-) erhalten.
Doch ist der Ansatz von Formen wie *tú- mit vokali-
schem Resonant vor Vokal umstritten (R. S. P. Beekes,
Mü. Stud. z. Spr.wiss. 34 [1976], 11). Hinzu kommt,
daß die Stammbildung von gr. ταναός wegen des zwei-
ten α auf eine Vorform *tn̥̄u̯ó- [**tH₂u̯ó-] mit analo-
gischer Entwicklung der unbetonten Lautfolge *n̥̄
[**H₂] > ανα (unbetontes *n̥̄ [**H₂] ergibt wohl
νᾱ > νη; s. Rix, a. a. O. § 83; für das Folgende vgl.
auch die Bemerkungen zu den kelt. und griech. Ver-
wandten von lat. dāma ‚Gemse, Rehkalb‘; → dâm)
oder auf eine Vorform *teu̯o- [**tH₂éu̯o-] (Beekes,
a. a. O.; P. de Bernardo Stempel, Die Vertretung der
idg. liquiden und nasalen Sonanten im Kelt. [Inns-
bruck, 1987], 143 f.) weist. Daß das Suffix -αϝος (da-
zu s. Schwyzer, Gr. Gram.² 472 f.) von einem anderen
Wort bezogen ist, ist unwahrscheinlich, da ταναός
eher das Vorbild für weitere Bildungen mit diesem
Suffix wie gr. ταλαός ‚ausdauernd, ertragend, un-
glücklich‘ abgegeben hat (Chantraine, Dict. ét. gr.
1089. 1091). Auch legen die kelt. Formen (s. o.) eine
Form mit *H₂ nahe, und zwar in gleicher Weise wie im
Griech. entweder ein *tn̥̄-u̯ó- [**tH₂u̯ó-] mit analo-
gischer Entwicklung von *n̥̄ [*H₂] (anstelle von *nā)
oder ein *teu̯o- [**tH₂éu̯o-], das — gegenüber der
Vorform im Korn. und Bret. (zum Korn. s. E. Hamp,
in Evidence for Laryngeals 232) — im Falle des Ir. und
Kymr. zu urkelt. *tanaw(i)i̯os (Thurneysen, Gr. of
OIr. § 205, 3; L. Joseph, Ériu 33 [1982], 39 f.) weiter-
entwickelt ist (zur Palatalisierung im Kymr. vgl.
mkymr. ceneu ‚junger Hund‘ < *kanawō > *kanawū
> *canu̯ü > canáu̯ī mit Umlaut; s. Jackson, Lang. and
Hist. in Early Britain 369. 376 jedoch ohne Erklärung
von mkymr. teneu). Für das Air. wäre daneben eine
Vorform *tenǝu̯o- [**tenH₂u̯o-] mit Assimilation von
*-ena- zu -ana- denkbar (vgl. Joseph, a. a. O.), wobei
die Vollstufe der Wz. im Lit.-Lett. und möglicherweise
auch im Lat. eine Entsprechung hätte (doch s. u.).
Ist für das Wort ‚dünn‘ als Wz. allein eine laryngalhal-
tige Form uridg. *tenǝ- [**tenH₂-] anzusetzen (s.
auch R. S. P. Beekes, Zfvgl.Spr. 96 [1982—83], 306;
ebd. 98 [1985], 47 f.), so beruhen die Vorform
*teu̯(i̯)o- [**tH₂eu̯(i̯)o-] auf dem schwachen Stamm
*t-éu̯-s [**tH₂-éu̯-s] und gr. τανυ- und aind. tanú-
usw. auf der durch Kreuzung entstandenen Vorform
*t-ú- [**tH₂-ú-] (zu idg. *H₂ vor Vokal > gr.,
indoiran. an s. Rix, a. a. O. § 84; anders Beekes, Mü.
Stud. z. Spr.wiss. 34 [1976], 12) des proterodynamisch
flektierenden Paradigmas (s. o.). Dagegen müßte man
wegen der Lautentwicklung von *H₂ vor Konsonant
zu nā für lat. tenuis ein *tenǝ-u̯i- [**tenH₂-u̯i-] vor-
aussetzen, also die Wz.-Form des starken Stammes
dieses Paradigmas (anders Beekes, Zfvgl.Spr. 96
[1982—83], 228: *H > lat. en); dieser Stamm könnte
mit thematischer Umbildung von *ténǝ-u- [**ténH₂-
u-] zu *ténǝ-u̯o- [**ténH₂-u̯o-] dann auch lit. tvas,
lett. tiêvs zugrunde liegen (Beekes, Mü. Stud z.
Spr.wiss. 34 [1976], 11 f.).
Pokorny 1069; zu den unterschiedlichen Suffixen im
Kelt. s. Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. II, 427 (gegen
J. Pokorny, Zfcelt.Ph. 12 [1918], 430); Jackson, Hist.
Phon. of Breton 256; J. Loth, Rev. celt. 36 (1915—16),
141 (mkymr. teneu als Reflex eines Fem. auf -ī); Ven-
dryes, a. a. O.).
Der Vergleich mit dem außergerm. Sprachmate-
rial ergibt für urgerm. *þunnu- eine Vorform
vorurgerm. *tn̥̄-u̯-u- [**tH₂-u̯-u-], in der
(nach der Entwicklung von *H₂ > urgerm.
*un) der gemeingerm. Lautwandel von vorur-
germ. *nw zu *nn vollzogen ist; → kinni (wei-
tere Belege bei Kluge, Urgerm.³ 76; Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. I § 97, 1).
Genaugenommen dürfte die Assimilation zu urgerm.
*nn nicht in der Lautfolge urgerm. *-unw-u- einge-
treten sein — *w wäre vor u geschwunden —, sondern
in einer Lautung wie urgerm. *-unw-e-. Ein Ansatz
[**tH₂-ú-] scheidet aus; denn in der Folge *H₂ ent-
steht nicht *unn (s. o.; zur Resonantengemination
durch Laryngal im Germ. s. Lühr, Mü. Stud. z.
Spr.wiss. 35 [1976], 73 ff.).
Die Grundbedeutung der Vorformen *tn̥̄-ú-
[**tH₂-ú-] usw. war wohl ‚lang gedehnt‘ (zur
Bedeutung vgl. aind. tanóti ‚spannt, zieht aus,
breitet aus, dauert‘; got. uf-þanjan ‚ausstrek-
ken‘, ahd. dennen ‚dehnen‘; für die aind. und
germ. Verben ist allerdings eine Vorform *tenǝ-
[**tenH₂-] nicht erweisbar; → dennen).
In der Bedeutung ‚dünn‘ steht schwundstufiges *t-ú-
[**tH₂-ú-] zu dem gleich gebildeten Adj. uridg.
*bhgh-ú- ‚dick‘ (aind. bahú- ‚viel, reichlich, groß,
ausgedehnt‘, gr. παχύς ‚dick, feist, wohlgenährt,
dicht, gedrungen‘, heth. panku- ‚gesamt, vereint, all-
gemein‘) in semantischer Opposition (s. L. Bloomfield,
Lang. 1 [1925], 89 f., der auf weitere u-stämmige
Reimwortbildungen hinweist).
Hinsichtlich der vorurgerm. Vorform *tn̥̄-u̯-u-
[**tH₂-u̯-u-] ist auf lat. tenuis zu verweisen. Man
nimmt an, daß sich die lat. i-Flexion vom uridg. Fem.
auf -ī dieser Adjektive ausgebreitet hat, indem infolge
der Doppelformen -us beim Mask. und -u̯ī beim Fem.
(vgl. als eine wohl junge Bildung zum Mask. aind. f.
tanv) das -u̯ī auch ins Mask. verschleppt wurde und
schließlich allein übrig blieb. Auch wenn diese Erklä-
rung durchaus möglich ist, so ist doch die parallele
Entwicklung von u̯i- neben u-Stämmen wie aind.
ghṣvi- neben ghṣu- ‚munter‘, heth. parkui- neben
parku- ‚hoch‘ anzuführen (Leumann, a. a. O. § 310
Anm.).
Im Falle des Germ. könnte man als Ausgangspunkt für
die Lautfolge *nn in gleicher Weise wie für das Lat.
ein Fem. auf *-u̯ī erwägen; in diesem Fall hätte die
Kontinuante von *tn̥̄-u̯ [**tH₂-u̯íH₂] aber sicher als
i-Stamm (urgerm. *þunni-) flektiert. Näher liegt da-
her die Annahme, daß im Vorurgerm. Beeinflussung
durch einen hysterodynamischen u-stämmigen Flexi-
onstyp eingetreten ist, der in den schwachen Kasus bei
betonter Endung die Schwundstufe des Suffixes, also
ein *-u̯-és usw., aufwies. In diesem Fall wäre urgerm.
*þunnu- durch Kreuzung von *t-ú- [**tH₂-ú-]
und *tn̥̄-u̯- [**tH₂-u̯-] entstanden.
S. auch dennen.