farawaAWB, farwaAWB f. ō- (selten n-)St., Gl., Isid.,
Mons. Frg., Otfrid, Notker; daneben farawîAWB f.
īn-St., nur Bened.regel, Otfrid, Gl. 1, 505, 11
(verwe Clm. 22201, 12. Jh.): ‚Farbe, Aussehen,
Gestalt, color, conspersio, facies, forma, fulvus,
nota, tinctura‘ 〈Var.: u-, ph-; -ouu-, -uuu-,
-euu-, -iuu-; zum Sproßvokal vgl. Braune,
Ahd. Gr.¹⁵ § 69; zur n- und īn-Dekl. § 208
Anm. 2. 3〉. — Mhd. varwe, var, nhd. Farbe
(vgl. Paul, Mhd. Gr.²³ § 13. 117).
Ahd. Wb. III, 619 f. 622; Splett, Ahd. Wb. I, 211; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 246; Schützeichel⁵ 130; Starck-
Wells 141; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 63;
Seebold, ChWdW8 123; Graff III, 703; Schade 162;
Lexer III, 26; Benecke III, 241; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 133 (color). 584 (tinctura); Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 116 (color). 140 (conspersio). 253 (facies). 272
(forma). 281 (fulvus). 433 (nota). 666 (tinctura); Dt.
Wb. III, 1321 ff.; Kluge²¹ 184; Kluge²⁴ 275 f.; Pfeifer,
Et. Wb.² 323 f.
Germanische Entsprechungen sind: as. farawi f.
‚facies (caeli)‘ (Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
50, 20. 237), mndd. varwe, verwe f. ‚Farbe‘;
mndl. var(u)we, vaerwe, verwe f. ‚dss.‘, nndl.
verf; afries. ferwe ‚dss.‘, nostfries. farwe, nwest-
fries. ferve, farve; got. farwa dat. sg. eines n.
oder m. a-Stammes oder eines m. i-Stammes:
*farw(s) (Speyerer Fragment) ‚Gestalt, Ausse-
hen, μορφή‘.
Ein oft zitiertes ae. færbu (nach Bosworth-Toller, AS
Dict. 266) existiert nicht (s. Bosworth-Toller, Suppl.
199; O. Szemerényi, Lang. 48 [1972], 7). Die skand.
Wörter ält. ndän. farge, færge, færwe, ndän. farve,
nnorw. farge, aschwed. færgha, nschwed. färg sind aus
mndd. varwe, verwe entlehnt (vgl. bes. Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 206).
Fick III (Germ.)⁴ 234; Holthausen, As. Wb. 18;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 651. 661. 708;
Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V, 199. 208. 245; Ver-
dam, Mndl. handwb. 642; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
731; Vries, Ndls. et. wb. 772 f.; Holthausen, Afries.
Wb.² 26; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
424; Dijkstra, Friesch Wb. I, 338. 345; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 986; Torp, Nynorsk et. ordb. 95; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 254; Lehmann, Gothic Et. Dict. F-
23. — Hoops Reallex.² VIII, 206.
Das Wort hat keine sichere Etymologie. Vor der
Entdeckung der got. Entsprechung (1970—71)
wurde es allgemein für eine Substantivierung ei-
nes Adj. mit der Bed. ‚farbig‘ (vgl. ahd. faro) ge-
halten, die mit -u̯o-Suffix zur idg. Wz. *per-:
*pre- ‚gesprenkelt, bunt‘ gebildet sei (vgl. aind.
pśni- ‚gefleckt, bunt‘, gr. περκνός ‚gesprenkelt,
dunkelfleckig‘, mir. erc ‚gefleckt, dunkelrot‘
usw. (→ forahana, forhana ‚Forelle‘ und vgl. Po-
korny 820 f.). Da aber das got. Wort eine ursprl.
Bed. ‚Gestalt, Form, Aussehen‘ oder Ähnliches
voraussetzt, sah man sich gezwungen, diese
Etymologie aufzugeben (anders aber Griepen-
trog, Wurzelnomina d. Germ. 195).
Ganz ausgeschlossen ist sie jedoch nicht; man verglei-
che F. Solmsens (Zfvgl. Spr. 34 [1897], 23 f.) Deutung
von gr. μορφή ‚Gestalt, Form‘ als ursprl. ‚schimmern-
des, buntes Äußeres‘ zu idg. *mergu̯h etwa ‚flimmern,
bunt glänzen‘. Dennoch ist auch diese Etymologie
höchst unsicher.
Seitdem hat es nicht an etym. Versuchen gefehlt,
die die germ. Sippe mit idg. Wörtern für ‚Form,
Gestalt, Aussehen‘ verknüpfen. Da aber alle rein
hypothetisch sind, ist es kaum möglich, einen
dieser Versuche als die „richtige“ Etymologie
hervorzuheben.
1) Verbindung mit lat. corpus: O. Szemerényi,
a. a. O. 5 ff. führt lat. corpus auf idg. *ku̯erp-,
germ. *farwa- auf eine Metathese der o-Stufe
*ku̯orpó- > *porku̯ó- zurück. Aber erstens feh-
len weitere Stützen für den Anlaut *ku̯- in cor-
pus (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 278,
aber s. u.), und zweitens ist eine (unmotivierte)
Metathese im Germ. durch die nicht metathe-
sierten germ. Entsprechungen von lat. corpus:
ahd. (s. d.), ae. hrif usw. ref‚Bauch, Mutter-
leib‘ widerlegt (vgl. G. Must, IF 86 [1981], 256).
Auch E. Seebold (Kluge²⁴ a. a. O.) verknüpft die
germ. Sippe mit lat. corpus, das er zur idg. Wz.
*ku̯er- ‚machen, gestalten‘ stellt (vgl. Pokorny
641), mit -w-Suffix im Germ., -p-Suffix im Lat.
(corpus) und Aind. (kp- ‚Gestalt‘) und mit
„Wechsel von idg. kw zu g(erm). f vor Labial“.
Wieder ganz hypothetisch (woher kommen die
verschiedenen Suffixe?).
2) Verbindung mit gr. πρέπω ‚in die Augen fal-
len, hervorstechen, sich auszeichnen‘, arm. ere-
vim ‚sichtbar werden, erscheinen‘, erevak ‚Ge-
stalt, Bild, Zeichen‘, air. richt ‚Form, Gestalt‘,
ahd. furben ‚reinigen, putzen, fegen‘ (s. d. und
vgl. Pokorny 845): E. P. Hamp, IF 78 (1973),
142 f. (wie schon Franck, a. a. O.) führt germ.
*farwa- auf idg. *pork-u̯ó zurück; die gr. und
arm. Formen hätten dagegen eine p-Erweite-
rung (nach Franck zu einer idg. Basis *pere-).
Später versucht Hamp (NOWELE 4 [1984],
51 f.), die komplizierten Verhältnisse zu verein-
fachen, indem er auch für das Germ. die idg.
Wz. *prep- ansetzt, und zwar in der Form *pp-
u̯ó-. Daraus sei germ. *farwa- entstanden, wo-
bei * vor w schließlich verloren gegangen sei —
aber idg. * wird im Germ. nie zu ar! Obgleich
der sonst nicht belegte Schwund von vor w
lautlich annehmbar wäre, müßte man von einer
idg. zweisilbigen Basis *perep- (oder wie man
heutzutage meist sagt: von den Wurzelvarianten
*perp- : *prep-) ausgehen, wofür weitere Stützen
fehlen. Deshalb hat G. Must (a. a. O. 257) diese
Etymologie abgelehnt, weil wir „zu viele und zu
weitgehende Rekonstruktionen [brauchten], die
durch nichts nachgewiesen werden können“.
3) Verbindung mit got. fairƕus ‚Welt‘: Bammes-
berger, Beitr. z. et. Wb. d. Ae. 52, erwägt Ver-
knüpfung mit ae. feorh ‚Leben, lebende Person‘,
fīras ‚Männer‘ (got. fairƕus, ahd. firaha ‚Men-
schen‘ [s. d.]), ein Vergleich, der zwar lautlich
einwandfrei wäre, aber uns nicht weiterführen
würde, zumal auch die Etym. dieser Wörter un-
klar ist. Bammesberger beruft sich auf Szeme-
rényis Metathese-Theorie (s. o.) und führt germ.
*ferχwa- auf idg. *ku̯erp- zurück; dagegen hat
J. Vendryes, Rev. celt. 44 (1927), 313 ff., diese
Wörter auf idg. *perku̯-us ‚Eiche‘, dann auch
‚Stärke, Leben‘ zurückgeführt, dessen Wz.
durch eine „tabuistische Metathese“ zu *ku̯erp-
wurde, woraus lat. corpus!
4) Entlehnung: Da germ. *farwa- nur einmal im
Got. vorkommt, im Nordgerm. und Engl. fehlt,
hält G. Must (a. a. O. 255 ff.) das Wort für eine
Entlehnung aus arab. farwa ‚Pelz‘ (ihm zustim-
mend H. Paul, Dt. Wb.⁹ [1992], 261). Also
hätte das germ. Wort mehrere Bed.: ‚Gewand,
Kleid‘, ‚Würde, Ehre‘ und auch ‚Farbe‘ von An-
fang an haben können. Trotz der Überzeu-
gungskraft seiner Argumente ist diese These
auch unbeweisbar, denn sonst sind unmittelbare
(d. h. nicht über das Gr. oder Lat. gekommene)
arab. Entlehnungen ins Got. unbekannt; dazu
sind seine Deutungen des got. Wortes als ‚Ge-
wand, Kleid‘ und die ahd. Isidor-Belege als
‚Würde, Ehre‘ etwas forciert; vgl. auch G. Neu-
mann, Hist. Spr.forschung 108 (1995), 314.
Sicher abzulehnen sind zwei andere Erklärungen:
5) Durch eine Reihe von unwahrscheinlichen Dissimi-
lationen und Variationen verknüpft V. Pisani, Studi
Germanici 10 (1972), 35 ff., germ. *farwa- mit lat. for-
ma.
6) Aus der Zeit vor der Entdeckung des got. Wortes
stammt der Versuch A. Kutzelniggs (ZMF 32 [1965],
221 ff.), ahd. farawa (wie auch anderswo einige andere
Wörter mit der Wurzelsilbe *far-; → fâra, farn) mit
ahd. far, farro ‚Stier‘ zu verknüpfen. Der Vergleich ist
nicht nur semantisch unwahrscheinlich, sondern auch
lautlich nicht möglich: ahd. far(ro) geht auf germ. *far-
za(n) zurück (→ far und vgl. Szemerényi, a. a. O. 6 f.).
Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, wor-
an man anscheinend noch nicht gedacht hat.
Viele Sprachen bilden Nomina mit der Bed.
‚Art, Sorte, Form, Gestalt‘ zu Verben, die
‚schlagen, stoßen u. ä.‘ bedeuten: vgl. nhd.
Schlag und ahd. slahta, gislahti ‚Geschlecht,
Gattung, Art, Stamm‘ (nhd. Geschlecht) zu
schlagen (ahd. slahan, s. d.); gr. τύπος ‚Stoß,
Schlag, Gestalt, Typus‘ zu τύπτω ‚stoße, schla-
ge‘ (Frisk, Gr. et. Wb. II, 945 f.); wohl zur sel-
ben idg. Wz. *(s)teu̯p-/bh- ‚stoßen‘ gehört
kymr. ystum ‚Biegung, Wendung (vgl. dt. ‚ein-
schlagen‘), Gestalt‘ (Pokorny 1034); lett. kava
‚Stich, Schlag, Art, Schicht‘ zu kaût ‚schlagen,
hauen‘ (< idg. *kāu̯- : *kǝu̯- [**keH₂u̯- :
**kǝ₂u̯-]; vgl. lat. cūdo ‚schlage, klopfe‘ usw.;
Pokorny 535; LIV² 345 f.; Walde-Hofmann,
a. a. O. I, 301); abulg. obrazъ ‚εἰκών, τύπος,
μορφή‘, russ. óbraz ‚Bild‘ neben russ. razít’
‚schlagen‘, ksl. režǫ, režati ‚κόπτω‘; vgl. tschech.
raz ‚Schlag, Gepräge, Typus, Charakter‘ (Po-
korny 1181 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 244.
484); ir. cummae ‚act of cutting, act of shaping,
shape, form, appearance‘ (Dict. of Irish C-
620 f.) zu ir. ben- ‚schlagen, schneiden, töten‘
(< idg. *bhei̯[ǝ]- ‚schlagen‘; → bîhal, billa, billi
und vgl. Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. C-288 f.;
Pokorny 117; LIV² 72).
Bei all diesen einzelsprachlichen Bildungen han-
delt es sich gewiß um eine Bed.entwicklung von
‚das durch Schlagen, Stoßen, Hauen usw. Ge-
formte‘ zu ‚Form, Gestalt, Gattung usw.‘. Auf
eine ähnliche Weise ließe sich germ. *farwa-
‚Form, Gestalt‘ auf idg. *por-u̯o-, eine -u̯o-Er-
weiterung der idg. Wz. *per- ‚schlagen‘, zurück-
führen, die auch in ksl. perǫ, pьrati ‚schlagen,
waschen‘, russ. (veraltet) prat’ ‚schlagen, wa-
schen, Wäsche bläuen‘; lit. periù, peti ‚(ein-)
schlagen, stark donnern, mit dem Badequast
schlagen, jmdn. baden‘, lett. pērt ‚schlagen, prü-
geln, baden‘; arm. hari ‚ich schlug‘ (aorist; präs.
harkanem < *pg-: Erweiterung derselben Wz.?
Vgl. Lidén, Arm. Stud. 85 ff.; Pokorny 819);
viell. lat. premō ‚drücke‘ (mit durativem Suffix
-em-); viell. mit t-Formans aind. pt- ‚Kampf,
Streit‘ usw. vorkommt; vgl. A. L. Lloyd, Rauch-
Festschrift 121 ff.
Zum u̯o-Suffix, das u. a. substantivierte Verbal-
adjektiva bildet, s. Krahe-Meid, Germ. Sprach-
wiss. III § 77; Wilmanns, Dt. Gr. II § 183 und
vgl. ahd. (h)lêo, got. hlaiw ‚Grab(hügel), lat.
clīvus ‚Hügel‘ (= ‚das Geneigte, Schräge‘) zur
Wz. *lei̯- ‚neigen, lehnen‘; ahd. melo ‚Mehl‘
(‚das Gemahlene‘) zur Wz. *mel- ‚mahlen‘; ahd.
brîo ‚Brei‘ (‚Gekochtes‘) zur Wz. *bher(ǝ)- ‚auf-
wallen‘ (s. d. d.) usw.
Pokorny 818 f.; LIV² 473; Vasmer, a. a. O. II, 426;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 578; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. III, 210; Walde-Hofmann, a. a. O. II, 360;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 533 f.; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. II, 331; ders., Et. Wb. d. Altindoar. II, 160.