hintarAWB adv., bei N: ‚zurück, nach hin-
ten‘. hintarAWB präp., seit dem 10. Jh.: (mit dat.)
‚hinter, bei, in; intra, post‘, (mit akk.) ‚hinter;
infra, post, retro‘, auch in enger Verbindung
mit Verben, z. B. hintar iro haltan ‚in sich
enthalten‘, hintar imo bihabên ‚in sich
schließen‘, hintar sih bikêren ‚sich umdre-
hen; retrorsum converti‘, hintar sih gistôzan
‚sich verschaffen‘. hintar-AWB Kompositions-
glied, seit dem 9. Jh. (→ hintarbacho), präv.,
seit dem 10. Jh., z. B. in hintarkêren
‚umkehren‘, hintarkôsôn ‚verleumden‘, hin-
tarqueman ‚staunen, erschrecken, erstaunen,
bestürzt sein über, in Angst sein; commoveri,
exterrere, mirari, terreri, timere, turbari‘,
hintarsehan ‚zurücksehen, zurückblicken;
lumina flectere‘, hintarskipfen ‚auffangen;
excipere‘, hintarskrenkôn ‚betrügen, hinter-
gehen‘, hintarsprâchôn ‚verleumden; adver-
sus aliquem loqui‘, hintarstân, hintarstantan
‚unternehmen, auf sich nehmen‘ 〈-d-; -ir,
-er; zur Vokalfarbe s. u.〉. — Mhd. hinder, im
15. Jh. meist hinter, präp. mit akk., dat., gen.
‚hinter‘, adv. hinder ‚hinten, zurück‘, hinder-
präv., z. B. hindergân ‚von hinten herange-
hen, überfallen‘, hindergrîfen ‚von hinten
greifen, ergreifen‘, hinderkomen ‚hinter-
gehen, betrüben‘, nhd. hinter präp., ostmd.,
süddt. betontes hínter- ‚nach hinten‘ präv.,
z. B. hinterbringen, -kommen, -schaffen, ost-
md. hinteressen, -kippen, -schlucken, unbe-
tontes hinter- präv., z. B. hintergehen.
Ahd. Wb. 4, 1115 f. 1117; 5, 126; Splett, Ahd. Wb. 1,
389. 451. 476. 717. 798. 852. 858. 910. 922. 923; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 549 ff.; Schützeichel⁶ 162. 185.
192. 201. 293. 310. 327. 331; Starck-Wells 276. 327.
544. 585. 586; Schützeichel, Glossenwortschatz 4,
324 ff.; 5, 192; 8, 363; 9, 162. 168; Graff 4, 504. 671.
702; 6, 122. 390. 594. 605; Lexer 1, 1293. 1294; 3,
Nachtr. 241; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 337 (infra). 351
(intra). 503 (post). 574 (retro). 575 (retrorsum); Dt. Wb.
10, 1486 ff.; Kluge²¹ 309; Kluge²⁴ s. v. 413; Pfeifer, Et.
Wb.² 544. — Henzen 1969: 105 ff.
Ahd. hintar entsprechen: as. hindir- in hin-
dirscrenkig ‚hinterhältig; versutus‘ (falls der
Beleg in Gl. 2,572,5 as. ist; vgl. ahd. hintar-
skrenkîg ‚hinterlistig‘, hintarskranc ‚Betrug‘
[s.dd.]), mndd. hinder präp. mit dat., akk.
‚hinter, nach, von ... ab‘; andfrk. (Williram, ca.
1100) hinder präp. ‚hinter‘ (in hinder unser
wande ‚hinter unseren Mauern‘), mndl., nndl.
nur in Ableitungen (z. B. hinder ‚Ungemach,
Störung‘, hinderen ‚hindern‘; → hintaro adj.
kompar., hinteren); vgl. afries. hindera ‚hinter,
dahinter‘ [→ hintaro adv.], nfries. nur in Ab-
leitungen (z. B. hinder ‚Belästigung, Behinde-
rung‘, hinderlik ‚störend, lästig‘, hinderje ‚be-
hindern, belästigen‘); ae. hinder adv. ‚hinter,
hinten, nach, zurück‘, hinder- (z. B. in hinder-
geap ‚listig, betrügerisch‘; vgl. got. hindarweis
‚betrügerisch‘, eigtl. ‚nach hinten blickend‘),
me. hnder adj. ‚hintere‘, hnder- (z. B.
hnderdore ‚Hintertür‘); aisl. hindr- (in hindr-
vitni ‚Aberglaube‘, eigtl. ‚Trug‘); vgl. aisl.
hindardags ‚übermorgen‘, aschwed. hindra-
dagher, adän. hinderdag ‚Tag nach der Hoch-
zeit‘ mit nordgerm. *hindra (→ hintaro adj.
kompar.), (als mögliches Lehnwort aus dem
Mndd.:) nisl., fär., nnorw., nschwed. hindra,
ndän. hindre ‚hindern‘; got. hindar präp. mit
dat., akk. ‚hinter, jenseits‘, ‚bei‘ (Lk. 9, 13
nist hindar uns maizo fimf halbaim jah fiskos
twai ‚nicht ist bei uns mehr als fünf Brote
und zwei Fische‘), hindar-, z. B. in hindar-
leiþan ‚hinzugehen, vergehen‘.
Auf eine urgerm. Vorform *χinder deuten die
Weiterbildungen ahd. hinterôro, hinterôst (→
hintaro adj. kompar.). Die Ausgänge -ar, -er,
-ir bei ahd. hintar entsprechen denen von un-
tar, -er, -ir. Sie mögen sich — infolge der
lautlichen Ähnlichkeit der beiden Präpositio-
nen — einander angeglichen haben. Dagegen
kann in as. hindir- suffixales -e- an das -i-
der Wurzelsilbe assimiliert sein.
Fick 3 (Germ.)⁴ 87; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb.
2, 1, 312; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 270; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 3, 439 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 253; Vries, Ndls. et. wb. 258; Et. wb. Ndl. F-Ka
434 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 44; Richthofen, Afries.
Wb. 814; Fryske wb. 8, 359. 363. 364; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 2, 86 f.; Dijkstra, Friesch
Wb. 1, 518 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 160; Bosworth-
Toller, AS Dict. 537; Suppl. 542; Suppl. 2, 41; ME Dict.
s. v.; OED² s.vv. behind, hind, hinder; Vries, Anord. et.
Wb.² 228; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 252; Fritzner, Ordb.
o. d. g. norske sprog 1, 816; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 114; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1, 406;
Nielsen, Dansk et. ordb. 183 (s. v. hindre); Ordb. o. d.
danske sprog 8, 149 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 214;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 353; Svenska akad. ordb.
s. v. hindra; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 256 f.; Lehmann,
Gothic Et. Dict. H-65. — Gallée [1903] 1977: 138.
Ahd. hintar gehört zum Jener-Pron.; vgl. got.
Mk. 10, 1 hindar iaurdanau ‚jenseits, auf der
gegenüberliegenden Seite des Jordan‘, Mt. 8,
18 hindar marein ‚auf die gegenüberliegende
Seite des Meeres‘. Die Basis bildet also ur-
germ. *χina- ‚jener‘ (s. hintana). Neben der
Bedeutung ‚jenseits‘ hat got. hindar auch die
Bedeutung ‚hinter‘: Mk. 8, 33 gagg hindar
mik ‚satana ὕπαγε ὀπίσω μου, σατανᾶ; gehe
hinter mich, Satan‘. Im Westgerm. ist der Be-
deutungswandel von ‚jenseits, auf der gegenü-
berliegenden Seite‘ zu ‚hinten, auf der Rück-
seite‘ ausnahmslos durchgeführt; vgl. auch
ferndeiktisches aisl. hindar-dags ‚übermorgen‘
(s. o.) wie gr. ἔνη ‚übermorgen‘. Die vorur-
germ. Vorform von urgerm. *χinder ist nach
G. Klingenschmitt (in KS Klingenschmitt
2005: 254 Anm. 31) *k̂entér (mit Osthoff-
scher Kürzung aus *k̂ēntér) < *k̂e-entér. Wie
bei der Vorform von ahd. hintana (s. d.) läßt
das vorangestellte urspr. nahdeiktische *k̂i-
bzw. *k̂e- als verstärkendes Element die
Deixis des ererbten jener-deiktischen Pro-
nominalstammes *ne/no- unverändert.
Das Suffix *-tér gehört zu dem in idg. Spra-
chen als Komparativsuffix verwendeten Suf-
fix *-ter/o- (ai. -tara-, gr. -τερο-) in der loka-
len Bedeutung ‚an einem Ort, auf einer Seite
befindlich‘, eigtl. ‚zu dem einen (Ort), nicht
zu dem anderen (Ort) gehörig‘ (Lühr 1982:
469). Als Adj. erscheint ahd. hintaro
‚hintere‘ (s. d.).
Außer lokativischem *-ter erscheint auch ein adver-
bieller Akk.Sg. n. *-terom möglich (Lühr 1982: 472).
Wegen des Dentals ist der unmittelbare Anschluß von
*-r an das -r von dâr (s. d.) unhaltbar.
G. Schmidt (1962: 280 ff.) geht wegen der Bedeutung
‚bei, mit‘ der got. Präp. und der Bedeutung ‚an der Seite
vorbei‘ des got. Präfixes (s. o.) für urgerm. *χinder von
der Bedeutung ‚an der Seite vorbei‘ aus; er übernimmt
M. v. Blankensteins (IF 21 [1907], 114 f.) Anschluß an
uridg. *kom ‚mit, bei, zusammen‘, insbesondere an lat.
contrā(d) ‚gegen‘. G. Schmidts (1962: 275 ff.) weitere
Verknüpfung mit aisl. hund- in hundvíss ‚sehr weise‘ im
Sinne von ‚herab-weise‘ (< *k-tá) und sein Ansatz ei-
nes gegenüber *kom-ter (> lat. contrā[d] mit uridg.
*-) ablautenden *kem-ter für urgerm. *χinder sind je-
doch nicht überzeugend.
Wegen der nahdeiktischen Bedeutung bleibt air. centar
‚diesseits‘ (mit -nt- durch Vokalsynkope; Pedersen
[1909—13] 1976: 2, 44) fern (anders Vendryes, Lex. ét.
de l’irl. anc. C-63). Ein unmittelbarer Anschluß an
uridg. *k̂i- ‚dieser‘ (z. B. Brugmann 1904: 144) kommt
so nicht in Frage (→ hintana).