gart¹AWB m. a-St., seit dem 9. Jh. in Gl. und
bei Npg: ‚Stachel, Treibstecken, Stachelstock,
Spitze; aculeus, sceptrum, spiculum, stimulus‘
〈Var.: c-, garat〉. Die Schreibung garat (Diut.
3, 405) mit anaptyktischem Vokal ist einer der
wenigen Fälle, bei denen sich in der Gruppe r
+ Dental ein Sproßvokal findet. — Mhd. gart
st. m. ‚Stachel, Treibstock‘, frühnhd. gart m.
‚Stachel, Treibstock‘.
Ahd. Wb. 4, 119; Splett, Ahd. Wb. 1, 289; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 358; Schützeichel⁶ 130; Starck-Wells 192;
Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 403 f.; Graff 4, 255;
Lexer 1, 740; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 11 (aculeus).
623 (spiculum). 628 (stimulus); Dt. Wb. 5, 1381 f.
3741 ff. (s. v. Gerte); Kluge²¹ 251; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer,
Et. Wb.² 434. — Braune-Reiffenstein 2004: § 69 Anm. 4;
Grimm [1819 ff.] 1999: 1, 581.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. -gard (in PN) ‚Gerte‘, mndd. gart f. ‚Gerte,
Rute, Zweig‘; mndl. gaert ‚Stachel, Spitze‘,
nndl. dial. gard; aisl. gaddr m. ‚Stachel, Spit-
ze‘ (entlehnt in me. gad[d], ne. gad ‚Stachel,
Rute‘), nisl. gaddur, nnorw. gadd, aschwed.
gadder, nschwed. gadd, adän. gad, ndän. dial.
gad, gaj; got. gazds m. ‚Stachel‘: < urgerm.
*azđa-. Wegen der unterschiedlichen Bedeu-
tung ist unklar, ob afrz. jart ‚rauhes Haar in
der Wolle‘ (nfrz. jarre, jars ‚Sommerhaar im
Biberpelz‘) aus westfrk. *gard entlehnt ist
(vgl. Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3683a;
Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 16 ff.).
Zum danebenstehenden ja-St. vgl. gerta ‚Ru-
te, Zweig‘.
Nicht zughörig ist ae. gād ‚Stachel, Spitze‘ (so etwa
Ahd. Wb. a. a. O.), das mit langob. gaida ‚Speer‘ < ur-
germ. *ai̯đō- stammt.
Fick 3 (Germ.)⁴ 133; Holthausen, As. Wb. 24; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 181. 240; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 22; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 15;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 892 f.; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 175; Vries, Ndls. et. wb. 183 f.; Et. wb. Ndl.
F-Ka 169 f.; ME Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries, Anord. et.
Wb.² 151; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 295; Fritzner, Ordb.
o. d. g. norske sprog 1, 536; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 78; Nielsen, Dansk et. ordb. 150; Ordb. o.
d. danske sprog 6, 584 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 144;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 265; Svenska akad. ordb.
s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 213; Lehmann, Gothic
Et. Dict. G-84. — Björkman [1900—02] 1973: 168 f.
Der Vorform *ghazdho- der germ. Wörter ent-
spricht bis auf das Genus mir. gat f. ‚Weiden-
rute, zusammengedrehter Zweig‘, nir. gad (<
vorurkelt. *ghazdheh₂-), von dem das Verb air.
tris.gata, nir. tregtaid ‚durchbohren‘ abgeleitet
ist. Wohl hiermit verwandt ist lat. hasta ‚Stan-
ge, Stab, Schaft, Wurfspieß, Speer‘, wozu
auch umbr. hostatu ‚schwer bewaffnet‘ oder
‚unter Waffen stehend‘ (vgl. lat. hastātus ‚mit
der Lanze bewaffnet‘), anhostatu ‚leicht be-
waffnet‘ oder ‚nicht unter Waffen stehend‘
gehören. Das -o- (= [å]) müßte dann aus -a-
im Kompositum geschwächt und auf das
Simplex übertragen sein (zur Schwächung von
nebentonigem -a- vgl. das Nebeneinander von
prestota und prestate ‚Beschützerin‘ < *prai̯-
sta-t- ‚die sich [schützend] davor stellt‘; Mei-
ser 1986: 270 f.; Untermann, Wb. d. Osk.-
Umbr. 574). Für lat. hasta kommt jedoch nicht
nur eine Vorform uridg. *ghazdheh₂- in Frage
— *-zdh- müßte dabei über -sþ- zu -st- gewor-
den sein (Schrijver 1991: 134: uridg. *ghas-
dheh₂), — sondern auch *ghasteh₂-; in diesem
Fall wäre lat. hasta mit mir. gass, nir. gas
‚Schoß, Sproß, Reiß‘ zu verbinden.
Mit ahd. gart¹ wurden einige — semantisch nahestehen-
de — slaw. Wörter verbunden (vgl. P. J. Cosijn, TNTL 13
[1894], 19 f.; C. C. Uhlenbeck, PBB 19 [1894], 519 f.;
ders., PBB 26 [1901], 298; unentschieden Stender-
Petersen [1927] 1974: 367 f.): aksl. žrьdь ‚Stange‘,
nruss. žerd’ ‚lange, dünne Stange‘ (woraus finn. hirsi
‚Balken‘, estn. hirś ‚Zaunstange‘ entlehnt sind), ukrain.
žérdka, wruss. žerdź, bulg. dial. žert’, slowen. žȓd,
tschech. žerd’, slowak. žrd’, poln. zerdź, osorb. žerdź,
ndsorb. žerź < urslaw. *žьrdь ‚lange Stange‘. Diese
Verbindung ist jedoch kaum wahrscheinlich, da entwe-
der ahd. gart¹ mit *-r- von got. gazds mit *-z- oder ahd.
gerta ‚Gerte, Rute‘ (s. d.) mit *-r- von ahd. gart¹ mit
*-z- getrennt werden müßte. Die slaw. Wortgruppe ge-
hört vielmehr zu lit. gardìs ‚Gatter, Gitter‘ (vgl. Schu-
ster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 1789).
Die weiterhin zu ahd. gart¹ gestellten slaw. Wörter (so
C. C. Uhlenbeck, PBB 30 [1905], 283; Meillet 1902—05:
261 f.; unentschieden H. Osthoff, ZVSp 23 [1877], 87 f.)
aksl. gvozdь, nruss. gvozd’ ‚Nagel‘, ukrain. hvizd’,
wruss. hvozd, bulg. gózdij, serbo-kroat. gvözd, tschech.
hvozděj, slowak. hvozd, poln. gwóźdź, osorb. hózdź,
ndsorb. gózdź < urslaw. *gu̯ozdь bleiben wegen des
abweichenden Anlauts ebenfalls fern (idg. Anlautsva-
rianten mit und ohne *i̯ sind nur vereinzelt nachweisbar;
vgl. uridg. *su̯ek̂s neben *sek̂s ‚sechs‘); sie schließen
sich an ahd. questa ‚Schurz aus Laub‘ (s. d.) an (vgl.
Schuster-Šewc, a. a. O. 337; daher ist auch die Herlei-
tung der slaw. Wörter durch Grienberger 1900: 97 aus
germ. *azđa- unzutreffend).
Walde-Pokorny 1, 541; Pokorny 412 f.; Untermann,
Wb. d. Osk.-Umbr. 336 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
1, 636; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 290; Thes. ling. lat.
6, 2550 ff.; Du Cange² 4, 173; Berneker, Slav. et. Wb. 1,
366; Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 263. 419; Fick 2 (Kelt.)⁴
108; Dict. of Irish G-48; T-290. — A. Walde, ZVSp 34
(1897), 488 ff.; Pedersen [1909—13] 1976: 1, 88; Thurn-
eysen 1980: 134; R. Thurneysen, ZVSp 63 (1936),
114 f.; K.-H. Schmidt, in Meid 1987: 274; Lühr 2000:
70.