antlizziAWB [-ts-] n. ja-St. ‚Antlitz, Angesicht, fa-
cies‘. Erst spätahd. belegt: Williram, 3 Hss. (11.
Jh. antlizze, 12. Jh. antlitze, 16. Jh. antlicz);
Gl. 3, 69, 60 (12. Jh.); 3, 69, 61 (antlicz, 15. Jh.).
Mhd. antlitze, nhd. Antlitz.
Ahd. Wb. I, 553; Starck-Wells 31; Graff III, 323;
Schade 22; Bartelmez, Williram 140; Lexer I, 81; Be-
necke I, 1060; Dt. Wb. I, 501; Kluge²¹ 26.
Andfrk. *anlito m. (nur dat. und akk. sg. anli-
ton; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 95 [Index].
149 [§ 52]. 163 f. [§ 68]); afries. and-/ondlete; ae.
andwlita m., -wlite n.; aisl. andlit, annlit n.,
nisl. nnorw. andlit, ndän. andlet, nschwed. an-
lete ‚Antlitz‘ sind Zss. aus dem germ. Präf.
*and- (→ ant-) und *wlit-, einem Element, das
auch selbständig in as. wliti m. ‚Glanz, Ausse-
hen, Antlitz‘, afries. wlite m. ‚Äußeres, Gestalt‘,
ae. wlite m. ‚Glanz, Erscheinung, Gestalt, Ge-
sicht‘, aisl. litr m. ‚Farbe, Aussehen, Gestalt,
Schönheit‘, got. wlits m. ‚Aussehen, Gestalt, An-
gesicht‘ vorkommt und zur Verbalwz. *wlīt-,
idg. *u̯lei̯d- ‚blicken, sehen‘ gehört. Dazu auch
ae. wlītan ‚sehen‘, wlātian ‚starren‘, aisl. líta ‚se-
hen, schauen‘, leita ‚suchen‘, got. wlaiton ‚um-
herblicken, spähen‘. Die Zss. *and-wlit- bedeu-
tete also urspr. etwa ‚das Entgegenblickende‘.
Auch in vielen anderen Sprachen entstammen
die Wörter für ‚Gesicht‘ einem Begriff ‚sehen,
Sicht‘ oder ‚Organ des Sehens, Auge‘, z. B. dt.
(An)Gesicht, frz. visage, got. andaugi, aind. ánī-
kam, prátīkam, gr. πρόσωπον, lat. voltus, vultus
(s. u.).
Verwandt ist auch got. andawleizn ‚Angesicht‘, aber
die Bildung ist undurchsichtig. Vgl. Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 48. Afries. and-/ondlete stammt wohl von
*-wlite (germ. *-t-) und gehört nicht zu antlutte
(s.d.: germ. *-d-); vgl. Helten, Aostfries. Gr. § 10. 84
(S. 74).
Im Ahd. wäre auf Grund der oben zitierten
Entsprechungen aus den anderen germ. Spra-
chen ein *antliz [-s] oder *antlizzo [-ss-] zu
erwarten; das Wort ist aber wohl unter dem
Einfluß des gleichbed. jedoch nicht verwandten
Wortes antlutti zu einem ja-St. geworden, da-
her die Gemination, wgerm. *-tt- > ahd. -tz,
-zz-. Umgekehrt kommt aus Kontamination
mit antlizzi neben antlutti auch antluzzi vor.
Mhd. hat gegenseitige Kontamination zu einem
Durcheinander von Formen geführt, das dann
spätmhd. mdartl. durch Entrundung des ü zu i
noch gesteigert wurde (→ antlutti). Die nhd.
Form Antlitz gewann wohl durch den häufigen
Gebrauch in der Lutherbibel die Oberhand.
Fick III (Germ.)⁴ 420; Holthausen, As. Wb. 89; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 712; Berr, Et. Gl. to Hel. 454; Holthau-
sen, Afries. Wb. 3. 132; Richthofen, Afries. Wb. 962.
1157; Holthausen, Ae. et. Wb. 5. 403; Bosworth-Tol-
ler, AS Dict. 41. 1259 f.; Suppl. 41. 749; Vries. Anord.
et. Wb.² 9. 359; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 158; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 4. 182; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 28; Torp, Nynorsk et. ordb. 4;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 23; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 48. 571 f.; Seebold, Germ. st. Verben 563 f.
Außergerm. fehlen genaue Entsprechungen.
Die Wz. *u̯lei̯d- ist aber viell. eine Erweiterung
der Wz. *u̯el- ‚sehen‘ in lat. voltus, vultus ‚Ge-
sichtsausdruck, Gesicht, Blick, Aussehen, Ge-
stalt‘, air. fili (gen. filed), Ogam velitas ‚Dich-
ter‘, urspr. ‚Seher‘, kymr. gweled ‚sehen‘ und im
Namen der germ. Seherin Veleda; viell. auch
got. wulþus ‚Herrlichkeit‘, ae. wuldor ‚Ruhm‘
(Feist, a.a.O. 577). Nach E. Hamp (briefl.) ist
eher an eine Verschmelzung von *u̯el- und
*u̯ei̯d- ‚sehen‘ (→ wizzan) zu denken.
Walde-Pokorny I, 293; Pokorny 1136 f.; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. II, 831; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 751; Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, § 156; II,
§ 447, 3; Thurneysen, Gr. of OIr. § 90, 2; J. Vendryes,
BSLP 22 (1919—21), 24 ff.