*attoAWB m. n-St. ‚Vorfahr, Ahn, atavus‘, nur ein-
mal bezeugt als ato, Gl. 2, 318, 17 (10. Jh.,
obd.); wie die späteren dt. Formen mit -tt-,
desgl. got. atta und viele außergerm. Entspre-
chungen nahelegen, ist es wohl berechtigt, trotz
des einmal überlieferten und vielleicht von ata-
vus beeinflußten ato ein ahd. *atto anzusetzen;
vgl. auch die zahlreich belegten PN Atto (viel
seltener Ato) bei Förstemann, Adt. Namen-
buch2—3 I, 152 ff. und Thes. ling. lat. II, 1148
(„cognomen barbaricum“). — Im Mhd. heißt es
demgemäß atte für ‚Vater‘, aber auch ‚Großva-
ter‘, oder, wie bes. in westobd. Quellen, ätte mit
Umlaut, der wohl, wie schon J. Grimm vermu-
tete, auf Nebenformen mit -jan zurückgehen
mag (vgl. das Nebeneinander der lat. [und
griech.] Formen auf -o, -ōnis und -io, -iōnis
ohne wesentlichen Bed.unterschied, s. W.
Meyer, Arch. f. lat. Lex. 5 [1888], 230); doch ist
als Ursache des Umlauts auch Verallgemeine-
rung der (wohl häufig gebrauchten) gen. dat.
sg.-Formen auf -in nicht auszuschließen, trotz
Braune, Ahd. Gr.¹³ § 221 Anm. 2. — In der dt.
Hochsprache von heute lebt das Wort, das von
jeher der Kinderstube oder einer ländlich-fami-
liären Atmosphäre angehörte, nicht weiter, um
so mehr jedoch in den Mdaa. bes. Ober-
deutschlands (s. u.).
Ahd. Wb. I, 689; Starck-Wells 37; Graff I, 145;
Schade 33; Lexer I, 104; Benecke I, 67; Götze,
Frühnhd. Gl.⁶ 71 (ette obd.); Dt. Wb. I, 595; Kluge²¹
35.
Das ahd. Wort hat im sonstigen Germ. nur spo-
radisch seine Entsprechungen, da es eben vie-
lerorts durch immer neu konkurrierende Syn-
onyme verdrängt wurde: bezeugt sind mndl.
ate; nostfries. atte, ette, nordfries. atte, atje, aite;
skand. nur der aisl. PN Atti sowie anord. Atli,
das zwar zunächst als nom. sg. m. (schwach)
aus atall ‚schrecklich‘ gebildet, dann aber auch
mit dem Namen des Hunnenherrschers (ohne
Umlaut!) identifiziert wurde, vgl. das Wortspiel
in Helga kviða Hjǫrvarðssonar 15, 1 (s. Janzén,
Personnavne 51 f.). Und da ist got. atta, das, un-
zählige Male bei Wulfila belegt, nur bei der
Wiedergabe von ἀββᾶ ὁ πατήρ Galater 4, 6 das
altererbte fadar zu Worte kommen ließ; davon
abgeleitet das hypokoristische Dimin. Attila
‚Väterchen‘, ahd. Etzilo mit regelmäßiger Ver-
schiebung von germ. -tt-, im Gegensatz zu ahd.
atto, das unter dem Druck „stets danebenlau-
fender Neuschöpfung“ (Pokorny) genau so wie
viele andere Lallwörter und schallnachahmende
Bildungen den lautgesetzlichen Regeln wider-
stand und sein -tt- beibehielt. (Über die Mög-
lichkeit eines nachträglich dazu gebildeten ō-
Stammes Uota ‚avia‘ — mhd. Uote mehrmals
die ‚Ahnfrau‘ in dt.-mittelalterlicher Helden-
sage — mit sekundärer Ablautsstufe germ. ō [:a],
s. J. Grimm, ZfdA. 1 [1841], 25.)
Fick III (Germ.)⁴ 10; Verdam, Mndl. handwb. 47;
Dornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 69; Outzen,
Gl. d. fries. Spr. 10; Vries, Anord. et. Wb.² 17; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 62.
Das Wort, das wohl als eine Art familiärer und
affektbetonter „Lallinterjektion“ aus der Kin-
dersprache stammt, wurde im Germ. den n-
Stämmen zugeteilt, höchst wahrscheinlich im
Anschluß an die zahllosen Kurzformen germ.
PN mit intervokalischer Kons.dehnung vom
Typus Hatto, Betto, Sitto, Otto (s. Bach, Dt. Na-
menkunde I, 93, 1 und Martinet, Gémination
consonantique 59 ff.), — letztlich im Zuge der in-
dividualisierenden Funktion der n-Erweite-
rung, wie sie allenthalben in idg. Wortbildung
und Grammatik, ganz besonders aber im Ger-
manischen und seiner Adj.flexion zutage tritt, s.
darüber eingehend Osthoff, Zur Gesch. d. dt.
Adj.
Aus ihrer Natur als Lallwort erklärt sich auch
die lautlich oft identische Form der Bezeich-
nung in weitauseinanderliegenden Sprachen,
wobei allerdings der Verwandtschaftsgrad oder
das menschliche Verhältnis zu der damit ange-
redeten Person sich nicht selten verschiebt: so
heißt es auch in lat. Kindersprache atta für ‚Va-
ter‘, „ut pueri usurpare solent“, nach Festus-Pau-
lus (ed. W. M. Lindsay 13), eine Lallform, deren
ausl. -a, identifiziert mit der substantivierenden
lat. Endung -a (vgl. profuga m. ‚Überläufer‘),
ihre gram. Einordnung in die ā-Dekl. be-
stimmte; das lautgleiche gr. ἄττα, dessen gemi-
nierte intervok. Verschlußlaute nicht, wie im
Griech. so häufig, vereinfacht wurden, ist über-
haupt nur im ‚Vokativ‘, d. h. als ‚Anruf‘ bezeugt;
andererseits hatte sich das zuerst von Fr.
Hrozný, Spr. d. Hethiter 31, mit got. atta etc.
gleichgesetzte heth. attaš in die themat. o-Dekl.
einreihen lassen. Auch über das Idg. hinaus
fehlt es nicht an sehr ähnlich klingenden Wort-
gebilden, so elam. atta, sumer. adda, türk. ata,
magyar. atya, bask. aita, finn. aiti ‚Mutter‘
(germ. finn. Lehnwort?).
Nicht gleich, aber ähnlich lautend sind auch aind.
attā, das sich auf die Mutter oder ältere Schwester be-
zieht, aind. atti- gleichfalls auf die letztere; im Osset.
wird der Vater mit äda angeredet, alb. mit at(ë), wäh-
rend alb. joshë (< *ātsi̯ā?) auf die ‚mütterliche Groß-
mutter‘ geht. Die slav. Gegenstücke beruhen meist
auf einer -k-Erweiterung, vorslav. *atikós (oder *oti-
kós), daraus aksl. otьcъ ‚πατήρ‘, russ. otéc, tschech.
otec, poln. ojciec: hier wurde, nachdem das Wort
durch die substantivierende Endung -ьcь zur ‚offi-
ziellen‘ Bezeichnung von ‚Vater‘ erhoben und dem
Stand des Lallwortes entzogen war, auch die im Slav.
lautgesetzliche Reduktion der ursprl. Geminaten
durchgeführt (vgl. das lautgerechte Etzilo gegenüber
atto im Ahd.). Die Zugehörigkeit von air. aite (<
*attii̯o-), nir. oide ‚Pflegevater‘ wird trotz der Beden-
ken wegen des intervok. -d- (Walde-Pokorny I, 44)
neuerdings wieder verteidigt, s. Vendryes, Lex. ét. de
l’irl. anc. A—52 f.
Walde-Pokorny I, 44; Pokorny 71; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. I, 27 f.; Frisk, Gr. et. Wb. I, 182; Boisacq,
Dict. ét. gr.⁴ 98; Chantraine, Dict. ét. gr. 135; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. I, 77. 850; Ernout-Meillet,
Dict. ét. lat.⁴ 54; Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 20; Traut-
mann, Balt.-Slav. Wb. 16; Miklosich, Et. Wb. d. slav.
Spr. 228; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 290; Tischler, Heth.
et. Gl. 92 f.; Friedrich, Heth. Wb. 38; Puhvel, Hitt. Et.
Dict. I—II, 224 ff.
Während ahd. atto, handschriftlich ato, wie bei
einer familiären Anredeform begreiflich, in der
vorwiegend gelehrten, glossographischen dt.
Überlieferung des frühen Mittelalters, nur ein-
mal bezeugt ist — wohl nahegelegt durch das
lat. Lemma atavus —, sind die sprachl. Ab-
kömmlinge, mit oder ohne Umlaut, mit oder
ohne angefügtes n- und als Anrede an den Va-
ter oder Großvater oder auch an nichtver-
wandte ‚Würdenträger‘ in fast allen dt. Mdaa.
bis heute lebendig geblieben.
Schweiz. Id. I, 583 ff. (im Südalem. z. T. noch atto mit
Bewahrung voller Vokale in Endsilben); Fischer,
Schwäb. Wb. I, 348 f. (auch [nεte]); VI, 1535; Kranz-
mayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. I, 424; Müller,
Rhein. Wb. I, 292; Christmann, Pfälz. Wb. I, 355;
Maurer-Mulch, Südhess. Wb. I, 363; Crecelius, Ober-
hess. Wb. 51 f.; Vilmar, Id. von Kurhessen 95; Westf.
Wb. I, 334 f.; Jungandreas, Ndsächs. Wb. I, 506;
Scheel, Hamb. Wb. I, 175; Mensing, Schleswig-holst.
Wb. I, 43. 54; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. I,
484 f.; Frischbier, Preuß. Wb. I, 34; Ziesemer, Preuß.
Wb. I, 220.
S. auch adal¹.